Migrantenbeiratswahl in Leipzig: Ein Kompromiss am Ende eines langen, nervenzehrenden Prozesse

Fünf, wenn nicht gar sechs Jahre wehrt der die Debatte um die Wahl des Migrantenbeirats. Und ich stehe hier und sage klar: Diese Zeit war kräftezehrend und voller Rückschläge und Wirrungen. Die Wahl wurde von vielen Seiten mit Bedeutung aufgeladen, dabei geht es am  Ende nicht um das Wahlrecht für Menschen ohne deutschen Pass, sondern um die demokratische Legitimation des Gremiums, das die Stadt Leipzig in Migrationsfragen berät. Im Leipziger Stadtrat wurde am 07. Oktober ein Kompromiss beschlossen. Hier dokumentiere ich meine Rede:

Lassen sie mich kurz rekapitulieren:

2014 beauftragte der Stadtrat die Verwaltung, ein Wahlverfahren zu indirekten Wahl der Mitglieder des Migrantenbeirates zu entwickeln. Dies war ein Meilenstein für aktive Migrant*innen. Ging und geht es doch darum wenigstens ein klein wenig eine Repräsentationslücke zu schließen für die, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind einerseits. Und andererseits darum den Menschen, die die Stadt in migrationspolitischen Angelegenheiten beraten mit einer Legitimation derer auszustatten, die selbst migriert sind.

2015 wurde eine Wahlordnung vorgelegt, nach der die Mitglieder des Beirates, die nicht den Fraktionen angehören, also Migrant*innen mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft, indirekt gewählt werden sollen. Der Vorschlag war weitreichend und gut, er umfasste die 1. und 2. Generation der Eingewanderten und sah sogar eine zwingende Geschlechter-Quotierung der Wahllisten vor. Diese Vorlage kam niemals zur Abstimmung.

Eine AG des Migrantenbeirates, an der ich beteiligt war, erarbeitete dann in einem einjährigen Prozess Vorschläge für ein Wahlverfahren. Demnach sollten bei der Wahl auch Quotierungen nach Herkunftsländern und nach Geschlecht implementiert und die Wahl trotz sprachlicher Barrieren ermöglicht werden. Dieser Änderungsantrag wurde im März 2018 im Beirat beschlossen. Die Verwaltung legte im September 2018 eine Vorlage vor, in der komplett von einer Wahl abgerückt und ausschließlich das bisherige Bewerbungs- und Benennungsverfahren vorgeschlagen wurde. Mit Verlaub: Ein Affront im Hinblick auf den Stadtratsbeschluss von 2014 und das Votum des Migrantenbeirats. Die Vorlage war weder im Migrantenbeirat noch bei einem Gros der Fraktionen im Stadtrat konsensfähig. Im Oktober 2019 wurde darum eine neue Fassung vorgelegt, die nun eine differenzierte Verfahrensweise bezüglich der verschiedenen Migrant*innengruppen vorsah. Menschen ohne Staatsangehörigkeit soll(t)en demnach sich aktiv und passiv an der Wahl beteiligen können, Eingebürgerte dagegen mit einem Benennungsverfahren ergänzt werden.

Heute und hier lässt sich sagen: Es herrscht trotz des langen Prozesse und der zahlreichen Verständigungsrunde nicht mal annähernd ein Konsens über die Wahl des Migrantenbeirats. Der Verwaltungsvorschlag fand schlussendlich im Migrantenbeirat keine Mehrheit. Stattdessen reichte er Beirat einen Antrag ein, der auf die erwähnte Wahlordnung von 2015 zurückgreift.

Für Teile des Migrantenbeirates und des Stadtrates ist es wichtig, dass auch Eingebürgerte das passive und aktive Wahlrecht haben. Eine Spaltung der Migrant*innen in die, die wählen dürfen und die, die sich bewerben können und dann als „Expert*innen“ ausgewählt werden, ist für sie nicht tragbar. Diese Kritik trage auch ich vollumfänglich mit. Der Verwaltungsvorschlag unterstellt mit seinen 2 Säulen, dass gewählte Repräsentant*innen nicht qualifiziert sind. Dass Repräsentation und Qualifikation auch zusammenfallen können, zeigt wohl dieses Gremium hier.

Ich sage es ganz deutlich: Mir wäre ein Modell nach dem alle Mitglieder des Beirats, die nicht den Fraktionen angehören, gewählt werden und das mit geschlechterquotierten Wahllisten und einem Korrektiv, das die Vertretung von Menschen aus möglichst vielen Herkunftsregionen sichert, am liebsten. Dafür haben wir im Beirat über Jahre gekämpft. Und wenn der zuständige Bürgermetister Probleme mit der – wohlgemerkt – freiwilligen Eintragung von Migrant*innen mit deutschem Pass ins Wahlregister hat, kann ich nur entgegnen: Die Daten müssen doch von der Verwaltung geschützt werden. Dieses Prozedere ist in anderen Städten wie Jena, Freiburg oder Köln Usus.

Als Linksfraktion haben wir vor kurzem einen Kompromiss vorgeschlagen: Unter Beibehaltung des fragwürdigen Säulenmodells wollen wir, dass die erste Säule der Wahl für Eingebürgerte geöffnet wird. Ja, diese Menschen können sich durchaus auch an den regulären Wahlen beteiligen. Aber nicht wenige erheben – wie z.B. mit der Petition – den Anspruch am Wahlakt teilzuhaben und fühlen sich nicht als gleichwertige Staatsbürger*innen. Dies zu ändern – dafür sind wir alle in der Pflicht, dies erfordert aber der gesamten Gesellschaft noch viel ab. Diskriminierungserfahrungen und Benachteiligung sind eben auch für Migrant*innen der 1. und 2. Generation Realität. Dies sollten wir anerkennen und ihnen das aktive und passive Wahlrecht für die Migrant*innenbeiratswahl zugestehen. Diese Idee greift nun ein sehr kurzfristiger ÄA einzelner Stadträte auf. Mit Verlaub weise ich darauf hin, dass dieser Kompromiss vor allem ein Ergebnis der Beharrlichkeit des Vorsitzenden des Migrantenbeirats Kanwal Sethi und dem emphatischen Einmischen des Sozialbürgermeisters Prof. Fabian ist. Danke dafür!

Ich ziehe den Änderungsantrag der Linksfraktion hiermit zugunsten dieses neuen Vorschlages zurück.

Lassen sie uns den sehr schwierigen und kontroversen Prozess um die Wahl des Migrantenbeirats heute positiv beenden.

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