Der Stadtrat beschloss am 21.5.2014 die Fortführung der Kommunalen Gesamstrategie „Leipzig. Ort der Vielfalt“. Auf Antrag der Linksfraktion wird die Stadt ihren finanziellen Beitrag nicht absenken. Außerdem wurde der Versuch der CDU, die Strategie auf den Kampf gegen „Linksextremismus“ auszuweiten, deutlich zurückgewiesen
Meine Rede in der Ratsversammlung am 21.5.2014
Die uns heute zur Beschlussfassung vorliegende Fortschreibung der Kommunalen Gesamtstrategie „Leipzig Ort der Vielfalt“ ist längst überfällig. Seitdem wir im Dezember 2010 die erste Phase dieser Strategie beschlossen haben, ist viel passiert. Eine Vielzahl von Projekten für eine demokratische Kultur, für Vielfalt, Toleranz und gegen neonazistische Bestrebungen ist gefördert worden und im Begleitausschuss, dem Gremium aus Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft das die Umsetzung und Weiterentwicklung der Strategie unterstützt, sind zum Teil lebhafte Diskussionen geführt worden.
Andererseits müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Situation fragil ist, dass Leipzig doch nicht so weltoffen ist, wie es gern proklamiert wird. In den letzten beiden Jahren gab es im Zusammenhang mit der von uns politisch gewollten menschenwürdigeren Unterbringung und Integration von Asylsuchenden oder dem Moscheebau in Gohlis immer wieder xenophob bis rassistisch gefärbte Reaktionen. Auch aus der so genannten Mitte der Gesellschaft. Wer die Informationsveranstaltungen in der Michaeliskirche am Nordplatz oder in der Gedächtniskirche in Schönefeld erlebt hat, weiß wovon ich spreche. Auch die Naziszene hat sich nach einer kurzen Flaute wieder reorganisiert. Ihren menschenfeindlichen Aktionismus konnten wir vor allem rings um die Notunterbringung für Asylsuchende im ehemaligen Fechner-Gymnasium in Schönefeld beobachten. Das Bild von fackeltragenden Nazis vor einem Haus, in dem geflüchtete Kinder und Erwachsende Schutz suchen, müsste jede und jeden von uns wachgerüttelt haben.
Die jährlich herausgegebene Statistik der Opferberatungsstelle der RAA macht im Schlepptau genau dieser Mobilisierungen einen sprunghaften Anstieg von rechts motivierten und rassistischen Übergriffen in der Stadt Leipzig aus. Von 23 im Jahr 2012 ist die Zahl auf 58 im Jahr 2013 gestiegen. Betroffen sind vor allem Menschen mit Migrationshintergrund! Nicht erfasst werden Alltagsdiskriminierungen, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Lebensweise oder ihres sozialen Status erfahren müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sollte uns alarmieren.
Vor diesem Hintergrund verstehen wir beim besten Willen nicht, warum die Gelder, die die Stadt Leipzig zur Umsetzung der Kommunalen Gesamtstrategie beisteuert, abgesenkt werden sollen. In den vergangenen drei Jahren waren es 35.000 – von nun an sollen es nur noch 25.000 Euro sein. Gleichzeitig ist das Absinken der Fördermittel von Bund und Land zu erwarten. Wir finden, dass dies ein schlechtes Zeichen ist. Wir brauchen das Geld um wirksame Strategien gegen die genannten, besorgniserregenden Entwicklungen zu entwickeln. Dies hat auch etwas mit Wertschätzung zivilgesellschaftlicher Akteure zu tun, die einen großen Teil ihrer Arbeit ehrenamtlich leisten!
In diesem Zusammenhang möchte ich explizit noch einmal mein Missfallen über den Umgang mit der Fortschreibung der Kommunalen Gesamtstrategie äußern! Bereits im Oktober hat der Begleitausschuss eine lang und ausführlich diskutierte Version in die Ebenen der Verwaltung gegeben. Hier waren auch zahlreiche Vorschläge aus einem eigens veranstalteten zivilgesellschaftlichen Treffen eingeflossen. Erst nach einem halben Jahr gelangte die entsprechende Vorlage in den Stadtrat und noch dazu inhaltlich verändert. Weggefallen sind – ohne Rückkommunikation mit dem Ausschuss – vor allem konkrete Aufgaben, die die formulierten Handlungsziele konkretisieren. Mutmaßlich aus Kostengründen. Wir wollen dem neuen Begleitausschuss auf den Weg geben, diese konkreten Schritte zu reformulieren, um die Kommunale Gesamtstrategie zum Erfolg zu führen. In diesem Zusammenhang wollen wir ein bereits Ende 2012 fixiertes Vorhaben in Erinnerung rufen und per Beschluss bestärken, nämlich die Erarbeitung einer Studie, die eine belastbare Situationseinschätzung vornimmt und daraus Handlungsbedarfe und Maßnahmen ableitet. So kann die wichtige Arbeit in diesem Bereich auf stabilere Füsse gestellt werden und zielgenauer erfolgen.
Zum Schluss noch zum Antrag der CDU.
Es ist schon befremdlich, dass sie hier ein Bundesprogramm bemühen, das es ab Juni gar nicht mehr gibt – und dies aus gutem Grund. Das Deutsche Jugendinstitut, das das von der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder auf den Weg gebrachte und umstrittene Sonderprogramm gegen „Linksextremismus“ wissenschaftlich begleitet, empfiehlt genau dieses Programm zu beenden. Warum? Weil es dafür keinen Bedarf gibt und weil die Grundlage für ein solches Programm fehlt. Unisono mit zahlreichen renommierten ForscherInnen stellt das Jugendinstitut das Phänomen Linksextremismus gänzlich infrage.
Natürlich gibt es vereinzelt Probleme mit Gewaltanwendung, von einem geschlossenen oder gar antidemokratischen Weltbild, das die Zusammenfassung von linken politischen Anschauungen unter einem Label „Linksextremismus“ zulässt, sei allerdings nicht zu sprechen.
Es waren Nazis, die in den letzten 24 Jahren in Deutschland mehr als 150 Menschen ermordet haben, aus rassistischen, sozialdarwinistischen, homophoben oder politischen Gründen. Ein linksmotivierter Mord ist den Statistiken dagegen nicht bekannt. Auch darum ist es eine Frechheit, dass sie hier das verstaubte und politisch höchst zweifelhafte Extremismusparadigma aus der Schublade ziehen und rechts und links auf eine Stufe heben wollen!
Vorbeigegangen ist an ihnen offenbar auch die von Deutschlands bedeutendsten Nachrichtenmagazin Spiegel formulierte Skepsis bezüglich der Belastbarkeit der Zahlen zu so genannter linksmotivierter Kriminalität. Es sind insbesondere Demonstrationen und breit getragene zivilgesellschaftliche Interventionen auf der Straße, die diese Statistik in die Höhe schnellen lässt. Wer sich in eine gewaltfreie Blockade gegen Naziaufmärsche einreiht, landet nicht selten in der Statistik. Dass dies verfälschend ist, hat inzwischen sogar das Bundeskriminalamt eingestanden und hat vor kurzem eine Überarbeitung der Erfassungskriterien angekündigt.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. Das Maß der Dinge ist die Menschenwürde. Diese sehe ich in dieser Stadt vor allem durch Rassismus, Antisemitismus und andere menschenfeindliche Einstellungen gefährdet.
Ich bitte sie herzlich um Zustimmung zu unserem Antrag und selbstverständlich zur Kommunalen Gesamtstrategie in ihrer jetzigen Zielrichtung!
>>> Vorlage „Kommunale Gesamtstrategie „Leipzig. Ort der Vielfalt“ 2014 – 2016“
>>> Änderungsantrag der Linksfraktion (Abstimmungsergebnis: 30/ 26/ 1)