Wohnungslosigkeit ist regelmäßig mit dem Einbruch kälterer Jahreszeiten ein großes Thema. Zahlreiche Medienbeiträge, politische Initiativen und kurzzeitige Emphatie sind dafür charakteristisch. Doch ist Thema ist ein ganzjähriges, was fundamentaler Lösungen bedarf.
Die Unterbringung obdachloser Menschen ist kein good will, sondern Teil der öffentlichen Aufgabe zur Beseitigung von Gefahren für die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Die Unterbringung so genannter „unfreiwillig obdachloser“ Menschen ist damit eine Pflichtaufgabe nach Polizeigesetz (in Sachsen §1 Absatz 1 SächsPolG, konkretisiert durch die Empfehlung von SMS und SMI). (Die konkrete Rechtslage samt Unterscheidung wie „freiwillige“ und „unfreiwillige“ Obdachlosigkeit abgegrenzt werden wird in einem Rechtsgutachten von Karl-Heinz Ruder im Auftrag der BAG Wohnungslosenhilfe erläutert)
Die Zahl wohnungsloser Menschen in Leipzig kann nicht genau beziffert werden. Die Stadt Leipzig antwortete auf eine Anfrage der Linksfraktion im Stadtrat, dass im Jahr 2016 818 Menschen Notübernachtungsmöglichkeiten in Anspruch genommen haben. Die Zahl hat sich im Vergleich zu 2015 um zirka 100 erhöht. Darunter auch eine wachsende Zahl von EU-AusländerInnen.
Es gibt in Leipzig drei Notschlafstellen: Das Übernachtungshaus für Männer in der Rückmarsdorfer Strasse, für Frauen in der Scharnhorststraße und für Drogenabhängige in der Chopinstraße. Komplementär dazu gibt es die beiden Tagestreffs „Oase“ (Nürnberger Straße) und „Insel“ (Plautstraße).
Die Zahl wohnungsloser Menschen dürfte jedoch um einiges höher sein, als es die Zahlen der Stadtverwaltung abbilden. Nach Aussagen von SozialarbeiterInnen meidet eine ungewisse Zahl von Menschen die Notübernachtungen und hält sich stattdessen in Abrisshäusern auf oder schläft wechselnd bei Bekannten. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Betroffene die Situation in den Notübernachtungen als zu restriktiv empfinden und im Freien mehr Privatsphäre und Bewegungsfreiheit finden als in den Mehrbettzimmern und zugangsmäßig zeitlich reglementierten Übernachtungshäusern.
Denn: Menschen sind mehr als ein Dach über dem Kopf. Das Problem der Wohnungslosigkeit allein mit Übernachtungshäusern lösen zu wollen, greift zu kurz. Es braucht Möglichkeiten selbstbestimmt seinen Alltag bestreiten zu können, wozu auch das selbstbestimmte Wohnen gehört. Nach jahrelanger Wohnungslosigkeit und aufgrund vielfältiger zusätzlicher Problemlagen – wie Drogenabhängigkeit (inklusive Alkohol) oder psychischen Erkrankungen – nehmen Motivation und Möglichkeiten ein anderes Leben zu beginnen in der Regel ab.
Die Idee des „housing first“ knüpft daran an und formuliert einen grundsätzlich anderen Anspruch. Nicht Demut, „Anpassungswilligkeit“ und ein Ende z.B. des Konsums von Drogen (inklusive Alkohol) sind im Sinne dieses Konzept ausschlaggebend für das Recht auf eine eigene Wohnung, sondern der menschenrechtliche Gedanke des Rechts auf Wohnen und der Verselbstständigung. Der eigene Wohnraum steht nicht am Ende des Hilfeprozesses sondern am Anfang und wird mit Unterstützungsangeboten verknüpft.
Insbesondere der Mangel an bezahlbarem Wohnraum macht Wohnungslosigkeit auch in Leipzig zu einem immer komplizierteren Problem. Zwar stellt die Stadt Leipzig vorrangig für betroffene Familien Gewährleistungswohnungen zur Verfügung. Die Unterbringung hier ist allerdings zeitlich beschränkt.
Die Chancen auf dauerhafte Alternativen auf dem regulären Wohnungsmarkt sinken derzeit rapide.
Hinzu kommen wachsenden Stimmungsmache und restriktive Methoden gegen arme und wohnungslose Menschen im öffentlichen Raum. Auch wenn die Stadtratsfraktion der AfD in Leipzig vor geraumer Zeit einen Antrag auf Schaffung zusätzlicher Notunterkünfte für Wohnungslose in ehemaligen Asylunterkünften ins Verfahren gebracht hat, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere die rechtspopulistische Partei, deren AnhängerInnen und auch Stimmen aus der Unternehmerschaft immer wieder und mehr Stimmung gegen sichtbare arme Menschen machen, und diiese Frage rassistisch aufladen. Denn unter den Wohnungslosen sind zunehmend auch MigrantInnen.
So fordert der Unternehmerverband Sachsen eine „bettelfreie Leipziger Innenstadt“ und schwadroniert über organisierte Bettelringe. Um den Hauptbahnhof aufhältige Menschen, die wohnungslos, bettelnd und/oder drogenabhängig sind, werden als Belästigung empfunden und zu städtischen Verdrängungsmethoden geklatscht. Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht ausgeblendet werden, dass EU-AusländerInnen auch in Leipzig zunehmend armutsgefährdet sind. Durch bundesgesetzliche Neuregelungen haben EU-AusländerInnen, die nicht erwerbstätig sind und nicht über ein Daueraufenthaltsrecht verfügen, keinen Anspruch auf Sozialleistungen – ausgenommen Überbrückungsleistungen und Heimreisekosten. Zwar entscheiden eine Reihe von Gerichten auch nach dieser Gesetzesneuregelung für einen Leistungsanspruch von KlägerInnen. Die Stadt Leipzig versagt Betroffenen – außer im Winter – allerdings die Notübernachtung bzw. die notwendige Refinanzierung wenn sie keine Überbrückungsleistungen beantragen.
Wohnungslosigkeit muss gerade in diesen Zeiten und auch jenseits der Phasen kälterer Temperaturen auf die Tagesordnung rücken. Wohnungslosigkeit ist Resultat dieser gesellschaftlichen Verhältnisse. Wohnungslosigkeit ist eine der negativen Facetten des Kapitalismus. Darauf mit restriktiven Mitteln zu reagieren ist der komplett falsche Weg. Aber auch die Reparatur-Mittel stoßen an ihre Grenzen. Es braucht auch in Leipzig fundamental andere Wege um Wohnungslosigkeit ganz und gar verschwinden zu lassen.
Als einen ersten Schritt, der im Sinne der Reparaturlogik verbleibt, hat die Linksfraktion kürzlich beantragt einen Kältebus für Leipzig einzuführen. Mit einem solchen Instrument sollen krasse Notlagen vor allem in kalten Jahreszeiten gelindert werden. Darüber hinaus – das ist klar – braucht es anknüpfende Konzepte und Ideen, die sich konsequent an der Wahrung der Menschenrechte orientieren, wozu auch das Recht auf Wohnen gehört. „Housing first“ ist ein solcher Ansatz, der in den kommenden Monaten auch in Leipzig stärker in den Fokus gerückt werden wird. Komplementär und verknüpft mit Kämpfen für leistbares Wohnen und eine existenzsicherende und repressionsfreie soziale Absicherung für jede und jeden.
Bildquelle: Jean Pierre Hintze „Bettler in der Breiten Strasse“ / flickr / CC BY-SA 2.0