Kapitalismus kritisieren und nicht nur „Nebeneffekte“ – Dokumentation des Red-Star-Supports-Club (RSSC) -Redebeitrages auf der Kundgebung „Love football. Hate the world cup“ am 16. Juni in Leipzig-Connewitz
„Mit zirka elf Milliarden Euro ist die WM in Brasilien die teuerste ihrer Art ever. Allein die Sicherheitsmaßnahmen mit dem Einsatz von Polizei, Soldaten und privaten Sicherheitsmaßnahmen kosten sage und schreibe 630 Millionen – so sollen die sozialen Proteste gegen vom Fußballfestvolk fern gehalten werden. Für die von der Kohle gebauten 12 Stadien, Unterkünfte und Trainingsorte wurden zehntausende Menschen umgesiedelt, Straßenkinder und Wohnungslose gezielt vertrieben. Ganz zu schweigen von den Niedriglöhnen und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen, denen die ArbeiterInnen ausgesetzt waren.
So drastisch das klingt, so wenig neu ist die Szenerie. Erinnert sei an die Olympischen Spiele in Sotschie oder die vergangenen Fussball WM in Südafrika. Sportgroßevents rollen in das auserwählte Land, das eilig seine Infrastruktur aufpoliert, und verschwinden wieder. Sie sind Teil der globalen Verwertungsmaschinerie.
Um so mehr verwundert es, dass im Aufruf zu dieser Kundgebung kein einziges Mal der Begriff „Kapitalismus“ auftaucht. Warum eigentlich nicht, liegt es doch im Falle der Großveranstaltung Fifa-Fußball-WM geradezu auf der Hand, das große Ganze zu kritisieren, statt nur die schlimmsten Auswirkungen des global agierenden Fußballunternehmens FIFA.
Die Auswirkungen liegen natürlich auf der Hand. Die FIFA braucht für ihr Produkt weltweit Milliarden Konsument_innen. Und die WM ist so groß, dass sie überall – wie derzeit gegen die Menschen in Brasilien – durchgesetzt werden muss. Die ausrichtenden Staaten sind dabei schon lange nur noch die ausführenden Organe der FIFA. Das kostet: Geld, was woanders besser angelegt wäre. Es geht um Räume, die den Menschen genommen werden. Und um Rechte, die der Staat zugunsten einer Großveranstaltung im großen Stil einschränkt.
Das ist allerdings nichts neues: das war in Südafrika so, das wird in Russland und in Katar sicherlich nicht deutlich besser. Und wer 2006 bei der WM in Deutschland seine antifaschistische Aufmerksamkeit nicht nur den freidrehenden Kartoffeln gewidmet hat, wird Kontinuitäten erkennen. Nur dass 2006 in Deutschland kaum jemand demonstriert hat.
Soweit, so bekannt, so Scheiße. Aber warum hier mit der Kritik stehen bleiben? Der Kapitalismus muss überwunden werden, nicht die FIFA. Und so kommt das Motto der heutigen Kundgebung „Love football, hate the world cup“ als hilfoser Versuch daher, den (Leistungs-)Sport vor dem bösen Kapitalismus zu retten. Liebe FussballfreundInnen, das greift zu kurz!
Und damit zum eigentlichen Punkt: Das Verhältnis zwischen der radikalen Linken und dem Fußball – gerade in Leipzig – ist ein eigentümliches. Viele gehen zum Roten Stern, viele gehen zur BSG Chemie. Und glauben, damit zu den Guten zu gehören: Als ob es sowas wie guten und schlechten Fußball gäbe. Wer aber den vermeintlich guten Fußball zu verteidigen glaubt: wahlweise gegen Kommerz, gegen den sogenannten „modernen Fußball“, oder gegen ein „Konstrukt“, der greift mit der Kritik zu kurz. Der Vereinsfußball mit allem Drum und Dran ist Teil der bürgerlichen Gesellschaft, er wurde nicht von irgendwelchen Mächtigen mit Geld gekapert. Das Sponsoring, auf das auch unsere Lieblingsvereine angewiesen sind, gehört genauso zum kapitalistischen Verwertungskreislauf wie die Kohle, die bei internationalen Sportwettbewerben fließt. „Es gibt keinen richtigen Ballsport im Falschen“ behauptet Jan Tölva gerade, und schreibt: „Folglich muss eine Kritik an Verhältnissen innerhalb des Sports stets auch eine Kritik an den herrschenden Verhältnissen implizieren.“ Mit solchen Binsenweisheiten reist Tölva derzeit auf Kosten der Rosa-Luxemburg-Stiftung durch die Lande; ja: mit solchen Binsenweisheiten läßt sich gerade Geld verdienen.
Als im DFB organisierter Fußballverein in einer kapitalistischen Welt machen wir bei allem mit, auf die ein oder andere Art und Weise.
Mit anderen Worten: „Wir scheißen auf die WM“, so steht’s im Aufruf. Der Spagat, der hier gemacht wird, verdeutlicht das Problem: Denn ein gewisser Teil der hier anwesenden Leute wird sich wohl das ein oder andere WM-Spiel angucken. Und es wäre ja auch albern, zu glauben, dass das Anschauen der Spiele das Problem ist. Dass die Welt besser wird, wenn wir bestimmte Produkte nicht konsumieren, glauben nur Hippies.
Wie weit reicht denn unsere internationale Solidarität? Wer von uns hat die sozialen Proteste in Brasilien, die bereits vor einem Jahr begonnen haben und sich gegen Armut und Preissteigerungen für öffentliche Daseinsvorsorge-Leistungen richten, verfolgt? Klar, die FIFA-WM verschärft die Verhältnisse. Doch ohne wäre längst nicht alles gut!
Gesucht wird also wie immer: Der Weg zur Überwindung des Kapitalismus. Nicht mehr und nicht weniger. Soziale Proteste, die das Große und Ganze in den Blick nehmen, sind die richtigen Ansprechpartnerinnen für Solidaritätsadressen. Aber wir sollten uns doch wenigstens ein kleines Stück weiter aus dem Fenster lehnen, als Gewerkschaften und Sozialdemokratie und MoralistInnen aller Couleur.
In diesem Sinne und angelehnt an das bescheuertste aller WM- Motti: Den Rhythmus stören! Aber richtig! Solidarität mit den sozialen Kämpfen in Brasilien und anderswo.“