Meine Rede zum Jahresbericht 2017 des Sächsischen Ausländerbeauftragten. Es fehlt an Konzept, Strategie und einem engagiert verfolgten Projekt zur Verbesserung der Lebenssituation von Migrant*innen in Sachsen.
Vor uns liegt der Jahresbericht des Sächsischen Ausländerbeauftragten 2017. Jährlich können wir anhand dessen – zeitverzögert – die Entwicklungen verfolgen, die es in Sachsen im Bereich Einwanderung und Migration und Integration gegeben hat.
Das Jahr 2017 kennzeichnete vor allem ein weiterer Rückgang der Zahlen geflüchteter Menschen. Kamen 2016 noch 14.860 nach Sachsen, waren es im Jahr 2017 noch 9138. Währenddessen stieg die Zahl der EU-Bürger*innen um 6826 auf nun 63703 – Tendenz weiter steigend.
Die in Sachsen lebenden und nach Sachsen kommenden Migrant*innen sind verschieden, haben verschiedene Bedarfe und Problemlagen. Das bilden auch die Interviews ab, die in dem Jahresbericht aufgenommen sind. Damit folgt der Sächsische Ausländerbeauftragte auch dem Drängen meiner Fraktion, seinem gesetzlichen Auftrag nachzukommen und dem Landtag über die Situation der im Freistaat Sachsen lebenden Ausländer Bericht zu erstatten.
Was hören wir in den Interviews? Zufriedenheit, Wohlfühlen, Angekommen sein. Viel Positives, das wohl kaum repräsentativ für die Wahrnehmungen aller Migrant*innen, vor allem Geflüchteter, und das vor allem nach Chemnitz sein dürfte. Aber wir hören auch Kritik und Anregungen. Zum Beispiel von Herrn Khaled aus Syrien, der in Limbach-Oberfrohna lebt. Er sagt: „In Limbach gibt es einen Syrer, der als Zahnarzt arbeitet. Seine Frau ist auch Zahnärztin, aber weil sie ein Kopftuch trägt, bekommt sie keine Arbeit.“
Wir hören den Wunsch nach mehrsprachigen Formularen und BürgerInnensprechstunden, von Adela Cerna aus Tschechien, die jetzt in Leipzig lebt. Oder das Plädoyer von Elaha Fakhri aus Afghanistan, jetzt Leipzig: „Die Situation in Afghanistan ist nicht sicher. Hier gibt es falsche Behauptungen deutscher Politiker. Ich wünsche mir, dass Deutschland keine Menschen in Kriegsgebiete zurückschickt werden.“
Was im Bericht fehlt sind Bezugnahmen und Konsequenzen aus dem Gesagten, aus Sicht des Sächsischen Ausländerbeauftragten.
Im vorliegenden Bericht werden viele Herausforderungen benannt: Wir brauchen gezielte Förderungen, den Abbau von Barrieren, Sprachlernangebote, Zugang zu Schule, Ausbildung und Arbeit und zu Wohnungen, eine adäquate psychosoziale Versorgung der vielen traumatisierten Geflüchteten. An vielen Baustellen arbeitet das SMGI. Was es der Arbeit bzw. dem Bericht des SAB mangelt sind Konzept und Strategie. Es tut mir sehr leid, wenn ich ein weiteres mal an den Amtsvorgänger Martin Gillo erinnern muss: Der hatte ein Ziel, das er politisch durchsetzte: die Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation von Geflüchteten, und konkret: den Heim-TÜV. Das war nicht nur eine Broschüre, die nach wissenschaftlichen Kriterien erstellt wurde. Das war ein langfristiges Kontrollinstrument, das Veränderungen brachte. Ein solches empathisches, zielstrebig verfolgtes Projekt zur realen Verbesserung der Lebenssituation von Migrant*innen in Sachsen fehlt seitdem. Das kann auch die halbherzige Weiterführung des Heim- TÜV nicht wett machen.
Dabei gibt es so viele Baustellen, gerade wenn wir den Blick auf Bildung-, Ausbildungs- und Arbeitswege von Migrant*innen, insbesondere Geflüchteten, richten.
Stichwort: Bildungsabschlüsse für die über-18jährigen Geflüchteten.
Über zwei Jahre hat sich die Staatsregierung Zeit gelassen, die Lücke zu kitten, die Anfang 2016 mit der Schliessung der Berufsschulen für volljährig-werdende Geflüchtete gerissen wurde. Zwei Jahre sind wertvolle Zeit, die für die Betroffenen vergeudet wurden. Die Kartoffel aus dem Feuer geholt hat schlussendlich die Integrationsministerin. Im April diesen Jahres hat sie einen Lösungsansatz präsentiert und die Staatsregierung hat Geld für ein sachsenweites Beschulungsprojekt freigegeben.
Doch wo waren sie in diesem Prozess, Herr Mackenroth?
Stichwort: Ausbildungsduldung und Spurwechsel
Auch in Sachsen können Migrant*innen seit August 2016 die in § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG normierte Duldung als Rechtsanspruch in Anspruch nehmen. Dies schützt sie während einer dreijährigen Ausbildungsdauer plus potentiell anschliessenden 2 Jahre Erwerbsarbeitstätigkeit vor dem Vollzug der Ausreisepflicht. Eine gelinde gesagt bescheuerte Regelung, weil sie den Betroffenen und den ausbildenden Unternehmen keinerlei Sicherheit gibt, wie es ein echtes Aufenthaltsrecht bieten würde. Immer wieder versagen sächsische Ausländerbehörden Ausbildungsduldungen bzw. die dafür notwendige Beschäftigungserlaubnis. Auch Abschiebungen aus Ausbildungsverhältnissen müssen beklagt werden, wie vor wenigen Wochen als eine junge Frau im Zuge der brutalen von Sachsen organisierten Sammelabschiebungen nach Georgien aus einer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau abgeschoben.
In Sachsen gibt es bei der Vergabe von Ausbildungduldungen höchst unterschiedliche Praxen der unteren Ausländerbehörden, was selbst sie so bejahen, Herr Mackenroth.
Wir wünschen uns in dieser Sache ein engagiertes Streiten für eine Veränderung des bestehenden Erlasses zur Ausbildungsduldung, aber auch eine Mitwirkung an einer bundesgesetzlichen Veränderung und der Etablierung eines so genannten Spurwechsels vom Asyl- ins Aufenthaltsrecht. Sie, Herr Mackenroth haben diesen entgegen ihrer Parteikolleg*innen auf der Bundesebene ja öffentlich bejaht.
Zum Schluss noch kritische Worte zum Beitrag des SAB zum Thema „Drei Lehren aus Köln“.
Die Kritik ist nicht neu und wurde von meiner Fraktion bereits im Innenausschuss geübt. Mit diesem Beitrag überschreitet der SAB seine Kompetenzen aus unserer Sicht eindeutig, ja er nutzt das Amt für CDU-Politik und Forderungen nach law-and-order gegenüber straffällig gewordenen Migrant*innen.
Dabei will ich nicht falsch verstanden werden: Straftaten müssen geahndet und aufgeklärt werden. Und darüber hinaus braucht es ein differenziertes Repertoire an Präventionsmaßnahmen, auch für die sehr heterogene Gruppe von Migrant*innen. Wenn der SAB in seinem Artikel behauptete, dass Straftaten von Migrant*innen von „Teilen der sogenannten Unterstützerszene, namentlich des linksextremen Spektrums“ verharmlost werden würden und ein Plädoyer für einen starken Staat gehalten wird, dann lese ich hier vor allem den CDU-Politiker Geert Mackenroth.
Dabei wissen wir: Die Zahl der durch Zuwanderer*innen verübten Kriminalität ist auch im vergangenen Jahr nicht gestiegen, wie es vom SMI selbst behauptete worden war. Und dabei wissen wir, dass die Ethnisierung von Straftaten Rechtspopulist*innen und Neonazis in die Hände spielt – siehe Chemnitz.
Was wir uns von einem SAB erwartete hätten? Eine Suche nach Ursachen von Kriminalität unter Migrant*innen, aber auch einen konzertierten Blick auf politisch motivierte Gewalt gegen Migran*innen, eine kritische Medienanalyse über ethnisierende Darstellungen oder die Vorstellung von Präventionsprojekten.
Sehr geehrter Herr Mackenroth, Kritik gehört zum Geschäft. Und wir werden auch weiter Kritik üben, wenn wir Dissense zu ihrem Tun und Äußerungen haben. Wo wir d‘ accord sind, ist dass die Funktion des Ausländerbeauftragten so nicht mehr zeitgemäss ist, die Gruppe der Betroffenen ist größer und die Herausforderungen auch. Wir wünschen uns einen Landesmigrationsbeauftragten, der oder die fachlich geeignet ist und nicht unbedingt aus den Reihen des Landestages bestellt wird. Das können sie in unserem Vorschlag für ein Integrationsgesetz für Sachsen nachlesen.
In diesem Sinne: Einen engagierten, empathischen Streiter für die Belange von Menschen ohne deutschen Pass haben wir in den letzten drei bis vier Jahren nicht erlebt, entsprechend niedrig sind unsere Erwartungen für das letzte Jahr der Amtsperiode. Wir wünschen ihnen und ihren durchaus engagierten Mitarbeiter*innen nichts desto trotz ein gutes Händchen. Und bleiben gespannt.
Die Rede wurde im Rahmen des Landtagsplenums am 7.11.2018 aufgrund der fortgeschrittenen Zeit zu Protokoll gegeben.