Doch: Auch noch nie habe ich so viel verbale Gewalt erlebt wie im letzten Jahr, über alle Kanäle wurde ich beschimpft und bedroht. Nicht von Linken, sondern von Menschen, die Humanismus und Demokratie zutiefst verachten, von Menschen, die mir mein – Zitat – „krankes Gehirn aus dem Kopf ballern“ oder mich gemeinsam mit dem OBM Burkhard Jung – wieder Zitat – „an die Wand stellen und entsorgen“ wollen, weil ich weiterhin konsequent gegen Rassismus, für das Grundrecht auf Asyl sowie gegen Neonazismus und seinen Nährboden einstehe. Genau diese aggressive und antihumanistische Grundhaltung haben Pegida und seine Ableger erzeugt und dafür diejenigen mobilisiert, die in den letzten Jahren auf den Sofas und an den Stammtisch verharrten.

Es liegt auf der Hand: Eine gesellschaftliche Mitte, die sich unpolitisch gibt und die Stabilität einer Gesellschaft repräsentiert, gibt es nicht. Es gab sie nie. Schon seit Jahren weisen sozialwissenschaftliche Studien auf den hohen Anteil an rassistischen und demokratiefeindlichen bzw. -skeptischen Einstellungen in der Gesamtgesellschaft hin. Sie sind keine Sache eines „rechten Randes“. Mit den Manifestationen von Pegida und Co. sind die Zahlen aus den Studien lebendig geworden und zeigen sich Montag für Montag auf den Straßen Dresdens, Leipzigs, Chemnitz‘ und weiterer Orte vor allem in Sachsen. Der organisierte Angriff auf Geschäfte und Kneipen in Leipzig-Connewitz durch Neonazis am 11. Januar 2016, der im Windschatten des Legida-Marsches in der Innenstadt stattfand, oder die Beteiligung von Pegida an den gewalttätigen rassistischen Hetzveranstaltungen in Freital und Heidenau im vergangenen Jahr zeigen, dass die sich als bürgerlich gebenden *gidas dafür mitverantwortlich sind, dass das gesellschaftliche Klima so aufgeheizt ist.

Über 1000 Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten gab es im Jahr 2015 bundesweit, im Jahr vorher waren es 199. Sachsen ist mit 101 offiziell registrierten Angriffen negativer Spitzenreiter, die Dunkelziffer liegt höher. Gleichzeitig haben in Sachsen 276 rassistische Aufmärsche gegen Unterkünfte von Asylsuchenden stattgefunden, die Zahl der rechten Aufmärsche liegt um ein vielfaches höher. In Leipzig gibt es seit Herbst 2015 eine Serie von Gewaltaktionen gegen antifaschistische Aktivist*innen, ihre Wohnungen und Autos. In Dresden wurde zu Weihnachten versucht, ein linkes Hausprojekt anzuzünden, während im Haus acht Menschen schliefen.

In diese Realität muss auch die Gewalt von links eingeordnet werden. Wir sprechen mit Blick auf Leipzig unterm Strich von mehr als einem Dutzend konzertierten Angriffen, vornehmlich auf staatliche Symbole: Gegen den Polizeiposten in Connewitz, das Amtsgericht, die Ausländerbehörde, das Bundesverwaltungsgericht, die Landesdirektion. Den Höhepunkt dürfte die Eskalation am 12.12.2015 erreicht haben, als hunderte Vermummte auf der Karl-Liebknecht-Straße in der Leipziger Südvorstadt randalierten und auch PolizistInnen angriffen.

Die Gegenüberstellung der verschiedenen politisch motivierten Gewalttaten soll eines nicht: Gleichsetzen. Schon die Zahl der Beteiligten und die Zielrichtung der Angriffe zeigt die Differenz: Während Tausende in sächsischen Städten gegen die Würde von Menschen aufmarschieren und auch bewohnte Häuser von Menschen angreifen, die zu den gesellschaftlich Schwächsten oder politischen Gegner*innen gehören, während in Sachsen seit 1990 mindestens 15 Menschen durch rechte Gewalt sterben mussten – machen sich in Leipzig klandestine Kleinstgruppen vornehmlich nachts auf den Weg, um unbewohnte staatliche Gebäude zu zerstören. Oft werde ich gefragt, ob das, was diese Kleinstgruppen tun, noch „links“ wäre. Sie würden der Sache und unserer Partei schaden.

Es stellt sich die Frage, was genau „links“ ist und wer definieren will, welche Formen und Strategien darunter zu fassen sind. Genauso wenig wie die Partei DIE LINKE die Definitionsmacht darüber besitzt, verfügen einzelne darüber, die sich nachts auf den Weg machen, um Sachen zu zerstören. Die Aktionsformen von Linken sind schon seit jeher so unterschiedlich, wie es linke Strömungen sind. Dass Gewaltausübung ins Repertoire der politischen Linken gehört, ist jedoch nicht zu leugnen. Erinnert sei an den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime, den spanischen Bürgerkrieg oder aktuell den bewaffneten Kampf der KurdInnen, das Aufbegehren von unterdrückten Bevölkerungsgruppen in diversen lateinamerikanischen Ländern oder die Wut gegen gewalttätige Polizeibeamte zum Beispiel in Griechenland 2008 oder Großbritannien 2001.

Dr. Thomas Seibert, Philosoph und Autor, schreibt in einem Beitrag für die Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung 49/2008: „Die Linke muss zu [sozialen] Kämpfen und denen, die sich in ihnen oft erstmals oder jedenfalls anfänglich politisch artikulieren, ein bejahendes und produktives Verhältnis haben: sie kann nicht nicht wollen, dass es solche Kämpfe und die in ihnen aufbrechende Gewalt gibt. Sie kann deshalb trotz ihrer prinzipiellen Gewaltkritik keinen prinzipiellen Gewaltverzicht leisten“. Er weist im Folgenden darauf hin, dass es der Staat ist, der soziale und linke Kämpfe mit aller Gewalt niederzuschlagen wird. Auch hier könne die Linke sich nicht wehrlos ergeben.

Die meisten militanten Aktionen von links, die im Jahr 2015 stattfanden, entbehren eines gesellschaftlichen Kontextes, der emanzipatorische Umbrüche nahe legt, sie sind zudem weder spontan noch reaktiv. Sie waren offensichtlich zum großen Teil konzertiert geplant, vor allem aber passierten sie in einer gesellschaftlichen Situation, in der die stärkste soziale Bewegung von rechts kommt und der Staat – vor allem in Sachsen – gegen eine eher marginalisierte Linke vorgeht. Vielleicht bringt genau dies – die vielfältigen negativen Erfahrungen mit der „sächsischen (Nicht)Demokratie“, mit Polizeigewalt und der spürbaren rechten Hegemonie – antifaschistische und andere linke Akteure dazu, zu zerstörerischen statt konstruktiven Mitteln zu greifen.

Als linke Partei positionieren wir uns klar zu den Vorfällen. Viel wichtiger als eine Distanzierungsspirale, die irgendwann zur Floskel verkommt, ist es allerdings, auf die eigenen Aktionsformen hinzuweisen und aktiver Teil von gesellschaftlichen Bündnissen, von Initiativen und außerparlamentarischen Gruppen zu sein.

Um eine Polarisierung werden wir gerade in diesen Zeiten nicht herumkommen. Aber: Wir müssen es nicht allen Recht machen. Unsere Aufgabe ist es, für soziale Gerechtigkeit, für eine offene und inklusive Gesellschaft für alle, für Solidarität zu streiten und Aktionsformen zu wählen, die genau in diesem Zeichen stehen.

Wider die Verwirrung der Begriffe:

„Die Autonomen“ … sind laut Verfassungsschutzbericht die quasi „gefährlichsten“ Linken. In Leipzig gibt es laut Verfassungsschutz mit 180 Personen sachsenweit die meisten von ihnen.
Diese Definition dürfte sich auf dünnem Eis bewegen, denn autonom wird man nicht per Beitritt zu einer Organisation. Vielmehr handelt es sich um ein Selbstverständnis, das ein positives Verhältnis zur Gewaltausübung nicht automatisch einschließt. Die autonome Bewegung hat ihre Wurzeln in den StudentInnenprotesten der 1960er Jahre und den damit entstehenden neuen sozialen Bewegungen, die neben Antifaschismus auch Antimilitarismus, Ökologie/Anti-Atom einschließt. Autonome legen Wert auf Selbstorganisation und politische Unabhängigkeit von Staat und Parteien.

„Die Antifa“ … gibt es ebenso wie „die Autonomen“ nicht als eingetragene und abgrenzbare Gruppierung. Bundesweit gibt es über hunderte Antifa-Gruppen. Linksradikale Antifa-Gruppen unterscheiden sich von zivilgesellschaftlichen Bündnissen gegen Rechts oft durch ihre offensiveren Aktionsformen, aber vor allem durch ihre gesellschaftskritische Grundhaltung, die eine Analyse der Entstehungsbedingungen von Faschismus/Nazismus einschließt. Zur „Antifa“ zu gehören ist allerdings auch ein Stück Jugendkultur, wozu das Hören gemeinsamer Musik, das Tragen bestimmter Kleidung, Rebellion und Grenzüberschreitungen wie Regelübertritte gehören.

Den „Schwarzen Block“ … gibt es nicht als feste Gruppierung. Das Tragen schwarzer Kleidung ist ein klassisches Merkmal der autonomen und „Antifa“-Szene. Ziel ist es, neben einem gleichen Erscheinungsbild für staatliche Organe, auch für Neonazis schwerer erkenn- und unterscheidbar zu sein.

Die Zahlen: 2015 stehen in Sachsen 208 Ermittlungsverfahren im Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität – rechts (PMK-rechts) insgesamt 34 Verfahren im Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität – links (PMK-links) gegenüber. (Quelle)  Im Jahr 2013 gab es in bundesweit 17.000 rechte Straftaten und 8600 linke. Über diese Zahlen gab es eine große Debatte. Hohe BeamtInnen des Bundeskriminalamts räumten ein, dass unter jenen, die statistisch in den Bereich PMK-links eingeordnet werden, ein relevanter Teil dem Bereich Sachbeschädigungen (etwa das Zerstören von neonazistischen Wahlplakaten) und dem Demonstationsgeschehen zugeordnet werden muss, wozu in vielen Fällen friedliche Sitzblockaden gehören. Seinerzeit wurde versprochen, die Einordungskriterien in die Straftatenstatistik zu überarbeiten. Im Jahr 2014 ist die links motivierte Kriminalität bundesweit um 6,5 % gesunken.