Heute hat der Stadtrat beschlossen, die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylsuchende zu prüfen. Anfang Mai hatte der Chemnitzer Stadtrat denselben Beschluss gefasst, Dresden wird folgen. Auf Landesebene hält die CDU dagegen und der Sächsische Ausländerbeauftragte fällt ein weiteres Mal durch Äußerungen auf, die gelinde gesagt nicht im Interesse der in Sachsen lebenden Migrant*innen sind
Meine Pressemitteilung als Mitglied des Sächsischen Landtages (20. Mai 2015):
Nach Chemnitz prüft Leipzig Einführung einer Kranken-versichertenkarte für Asylsuchende – Mackenroth skandalös
Nachdem Anfang Mai der Stadtrat von Chemnitz die Prüfung der Einführung einer Krankenversichertenkarte für Asylsuchende auf kommunaler Ebene beschlossen hat, ist heute auch der Stadtrat von Leipzig einem entsprechenden Antrag der LINKEN gefolgt. Auch in der Landeshauptstadt Dresden steht die Beschlussfassung über einen entsprechenden Antrag an.
Dazu Juliane Nagel, Leipziger Stadträtin und Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag:
Wenn das CDU-geführte Sozialministerium sich gegen eine landesweite Regelung sperrt, muss ein barrierefreier Zugang zur Gesundheitsversorgung für Asylsuchende eben von unten erwirkt werden. Ich freue mich, dass die Kreisfreien Städte hier vorangehen. Die Kommunen und Landkreise sind qua Gesetz Kostenträger der Gesundheitsleistungen und können entsprechende Verhandlungen und Verträge mit Krankenkassen eingehen. Der Einführung der Krankenkarte auf kommunaler Ebene steht also nichts entgegen. Es liegt auf der Hand, dass der Abschluss eines Rahmenvertrages mit einer gesetzlichen Krankenkasse auf Landesebene die bessere Option wäre. Im Grunde ist der Bund in der Pflicht, eine bundeseinheitliche Regelung zu finden und Asylsuchende in die gesetzliche Krankenversicherung einzubeziehen.
Bisher haben die Betroffenen nur einen Anspruch auf eine medizinische Behandlung und Versorgung bei akuten Erkrankungen und Schmerzen sowie Schwangerschaft und Geburt. Darüber hinaus gehende Leistungen werden gewährt, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Die Betroffenen sind darauf angewiesen, dass vor dem Arztbesuch ein Behandlungsschein durch das Sozialamt ausgestellt wird. Es obliegt also medizinisch unkundigem Verwaltungspersonal zu entscheiden ob eine Erkrankung „akut“ ist oder welche sonstigen „Hilfen“ und „Leistungen“ als „unerlässlich“ eingeschätzt werden. Die Einführung einer Krankenversichertenkarte würde einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung garantierten, am schlechteren Leistungsniveau würde sie nicht unbedingt etwas ändern.
Dass sich der Sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth im Rahmen der Anhörung im Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz am vergangenen Montag nicht entblödet, vor der „Besserstellung der Asylsuchenden gegenüber den gesetzlich Krankenversicherten„ und vor Gesundheitstourismus zu warnen, schreit zum Himmel. Mit solchen Aussagen beschädigt er das Amt des Sächsischen Ausländerbeauftragten und seine Rolle als Anwalt der in Sachsen lebenden MigrantInnen ein weiteres Mal schwer. DIE LINKE bleibt dabei: Medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht. Bis zur notwendigen Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist die Einführung von Krankenversichertenkarten für Asylsuchende unabdingbar.
Meine Rede im Leipziger Stadtrat (20. Mai 2015)
Antrag Medizinische Versorgung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern verbessern – Krankenversichertenkarten einführen
Stellen sie sich vor es ist Freitag, ihr Kind beklagt akute Bauchschmerzen, doch sie können nicht einfach zum Arzt gehen, weil sie keine Krankenkarte haben und das Sozialamt, wo sie sich einen Behandlungsschein abholen könnten, geschlossen hat. Oder: Das chronische Asthma schlägt mal wieder zu, doch sie müssen statt direkt statt zum Arzt zum Sozialamt gehen und einschätzen lassen, ob ihr Zustand wirklich akut und eine Behandlung unerlässlich sind.
So ist der Gang der Dinge für Asylsuchende, die in Deutschland krank werden.
Die gesetzlich garantierte und finanzierte medizinische Behandlung und Versorgung bleibt zunächst auf akute Erkrankungen und Schmerzen sowie Schwangerschaft und Geburt beschränkt. Darüber hinaus gehende Leistungen werden gewährt , wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich ist.
Aus dieser im Asylbewerberleistungsgesetz verankerten Regelung folgt de facto nicht nur der Ausschluss von bestimmten medizinischen Leistungen, neben absurder Bürokratie wird auch Willkür Tür und Tor geöffnet.
Die Betroffenen sind darauf angewiesen, dass vor dem Arztbesuch ein Behandlungsschein durch das Sozialamt ausgestellt wird. Dasselbe gilt ebenfalls für Überweisungsscheine. Es obliegt also medizinisch unkundigem Verwaltungspersonal zu entscheiden ob eine Erkrankung „akut“ ist oder welche sonstigen „Hilfen“ und „Leistungen“ als „unerlässlich“ eingeschätzt werden. Mögen die Spielräume kommunal auch verschieden genutzt werden, das Problem liegt tiefer bzw. höher, im Asylbewerberleistungsgesetz.
Ich will nicht drum herum reden: diese Regelung ist zutiefst inhuman, wie es das gesamte Asylbewerberleistungsgesetz ist. Dieses wurde 1993 im Nachgang zu den bundesweiten rassistischen Erhebungen als Sondergesetz für Asylsuchende geschaffen. Es schreibt die Ungleichbehandlung dieser Menschen fest. Und dies ist auch nach der im März 2015 in Kraft getretenen Novelle so. Anstatt das diskriminierende Sondergesetz endlich abzuschaffen, wurde herumgedoktert. Nun bekommen Asylsuchende nach 15 statt 48 Monaten Analogleistungen auf Sozialhilfeniveau und einen einfacheren Zugang zu medizinischer Behandlung. Es bleiben 1 und ein Viertel Jahr der Benachteiligung.
Mit unserem Antrag wollen wir den OBM mit der Prüfung beauftragen mithilfe eines Vertrages mit einer Krankenkasse die elektronische Gesundheitskarte für Asylsuchende in Leipzig einzuführen. Und zwar ab dem 1. Tag der Ankunft aus der Erstaufnahme.
Seit 2005 wird dieses Chipkartenmodell erfolgreich in Bremen praktiziert. Dort übernimmt die AOK die Betreuung der Asylsuchenden. Die Behandlungskosten werden samt einer Verwaltungspauschale von der öffentlichen Hand ersetzt. Hamburg zog 2012 nach. Dort konnten zuletzt rund 1,6 Millionen Euro Verwaltungskosten pro Jahr eingespart werden. Weitere Bundesländer und auch Städte wie Rostock, Münster und Chemnitz wollen dem Beispiel folgen. Im Dresdner Stadtrat steht ebenfalls die Beschlussfassung über einen entsprechenden Antrag an.
Der Vorteil der Regelung liegt auf der Hand. Nicht nur im Sinne der erkrankten Asylsuchende, sondern auch im Sinne der ÄrztInnen und der Verwaltung.
In Dresden beispielsweise verwenden die zehn zuständigen Mitarbeiter_innen der Sozialbehörde ca. ein Drittel ihrer Arbeitszeit auf das Ausstellen und Verwalten der Behandlungsscheine. Den behandelnden Ärzt_innen entstehen Rechtsunsicherheiten, zudem werden Not- und Rettungsdienste stark belastet, die aufgrund akuter Krankheitslagen gerufen werden, die durch einen Arztbesuch vielleicht vermeidbar gewesen wären.
Derzeit wird der bessere Zugang zur Gesundheitsversorgung für Asylsuchende stark diskutiert.
Bund und Länder befinden sich in Verhandlungen über die Chipkarte, eine verbindliche Regelung scheint derzeit allerdings nicht in Sicht. Auch ein zu präferierender Rahmenvertrag mit einer gesetzlichen Krankenkasse auf Landesebene wird in Sachsen wohl nichts werden. Auf einen Antrag der Grünen im Landtag antwortete die CDU-Sozialministerin jüngst klipp und klar: Nein.
Mit dieser Haltung steht Sachsen bundesweit nahezu allein da.
Und da wir weder auf Bund noch Land vertrauen können und vor allem die betroffenen Menschen im Blick haben, deren Zahl bekanntermaßen steigt, wollen wir mit unserem Antrag den kommunalen Spielraum nutzen. Die Kommune ist qua Gesetz Kostenträger der Gesundheitsleistungen und kann entsprechende Verhandlungen und Verträge mit Krankenkassen eingehen. Der Einführung der Krankenkarte auf kommunaler Ebene steht also nichts entgegen. Ob dies zur Einsparung von Kosten führen kann, muss geprüft werden, ist in unserem Augen aber nicht ausschlaggebend, denn es geht um die Gesundheit von Menschen.
Wenn wir schon Finanzen in den Blick nehmen, müssen wir über die die Gegenfinanzierung der Krankenkosten durch den Freistaat Sachsen sprechen. Laut SächsFlüAG werden erst Kosten, die über einen Betrag von 7669,38 Euro pro Person entstehen, vom Land erstattet. Der Sächsische Landkreistag fordert die Streichung dieses kommunalen Eigenanteils, aber auch die Einbeziehung der Asylsuchenden in die gesetzliche Krankenversicherung, womit wir dann wieder bei der Verantwortung des Bundesgesetzgebers angelangt wären, der diese nicht wahrnimmt.
Lassen Sie uns mit der Beauftragung der Stadtverwaltung den Weg für einen unbürokratischen Zugang zu Gesundheitsleistungen für Asylsuchende frei machen.
Der Antrag wurde beschlossen.
Die Einführung der Gesundheitskarte ist ín jedem Fall begrüßenswert. Dann würde dieser Behandlungsschein-rumgeschicke-Schwachsinn endlich ein Ende finden. Zumal die Behörden offenbar ständig überfordert sind, eine Behandlungsschein im Nachhinein auszustellen.
SZ, Freitag, 15.07.2016
Keine Gesundheitskarte für Flüchtlinge
Die Sozialbürgermeisterin argumentiert, das Projekt sei zu unsicher und der Freistaat zieht nicht mit.
Dresden wird keine Krankenkassenkarte für Asylbewerber einführen. Das teilte jetzt Sozialbürgermeisteirn Kristin Kaufmann (Die Linke) mit. Der Stadtrat hatte im Herbst die Einführung einer solchen Karte beschlossen, um den hier lebenden Flüchtlingen den Zugang zur medizinischen Versorgung zu erleichtern.
Kaufmann weist die Verantwortung von sich. „Weder der Freistaat noch der Sächsische Städte- und Gemeindetag als kommunaler Spitzenverband ergreifen Initiativen und unterstützen eine mögliche Einführung“, so die Sozialbürgermeisterin. Es gäbe „weiterhin Differenzstandpunkte“. Uneinig sei man sich mit der Krankenkasse vor allem über die Kosten und die Leistungen. Unklar sei, wie und wann eine Sperrung der Karte möglich sei, wenn kein Anspruch der Flüchtlinge mehr besteht.
Würde Dresden die Karte als freiwillige Leistung einführen, wäre das ein Risiko für den Haushalt, sagte Kaufmann. Sie weist darauf hin, dass Asylbewerber mit einer Duldung in Deutschland nach 15 Monaten krankenversichert werden können. Bislang kümmert sich die Flüchtlingsambulanz um die Versorgung der Asylbewerber.
SPD-Stadtrat Vincent Drews ist sauer. „Ich erwarte, dass Verhandlungen mit weiteren Krankenkassen geführt werden und dem Stadtrat eine Beschlussvorlage vorgelegt wird“. Im Ablehnungsschreiben von Kaufmann gäbe es nicht mal eine Kostenschätzung der Verwaltung. Das würde zeigen, dass sie sich mit dem Auftrag nicht ernsthaft auseinandergesetzt hat. (SZ/jv)
danke. wir fragen in Leipzig in Kürze auch nach der Realisierung des Beschlusses. In der Tat ist es eine grosse Hürde, dass der Freistaat keine landesweite Lösung zulässt.