Flüchtlinge, Nationalismus: Wachsende oder herbeigeredete Unsicherheit? … lautete das Thema des taz-Gespräches am 19. März in Leipzig, bei dem ich mit Peter Unfried (taz), Kerstin Andrae (MdB, Bündnis 90/ die Grünen) und Robert Misik (Journalist) diskutierte. Im Vorfeld hat mich das Leipziger Magazin Frizz interviewt.
Sie haben Strafanzeige gegen Lutz Bachmann, Mitorganisator von Pegida, gestellt: Warum?
Es geht mir mit der Anzeige weniger um mich persönlich. Seit fast anderthalb Jahren machen Pegida und seine Ableger massiv Stimmung gegen Menschen, sie stilisieren Feindbilder und feuern so Hass und auch Gewalt an. Ziele sind Migranten, Geflüchtete, Journalisten oder bestimmte Politiker. Für mich steht fest, dass diese Stimmungsmache zur Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas beigetragen hat. Nicht zufällig ist Sachsen Negativspitzenreiter in Sachen rassistischer und rechts motivierter Gewalt. Mit der Anzeige will ich deutlich machen, dass man die Hetze von Pegida und Co nicht hinnehmen sollte. Ich bin ob der Erfolgsaussichten allerdings pragmatisch.
Zur Podiumsdiskussion: Wir brauchen in Europa ein ausformuliertes gesellschaftliches Gegenbild zum Rechtspopulismus, oder?
Ich würde den Rechtspopulismus nicht den Status eines ausformulierten Gesellschaftsbildes zuschreiben. Er basiert auf Ausgrenzung all derer, die nicht dazu gehören (sollen). Das sind in unseren Zeiten vor allem Migranten. Hass schürt er allerdings auch gegen Modernisierung, liberale Werte und gegen demokratische Prozesse. Und ja: Es braucht gegen dieses beängstigend an Oberwasser gewinnende Paradigma, siehe Ungarn und Polen, dringend ein Gegenbild, ein solidarisches, offenes und radikaldemokratisches. Die Wahlerfolge von linken Parteien in Griechenland oder Spanien sind vielleicht kleine Hoffnungsschimmer. Einen Systembruch stellen sie allerdings nicht dar, dieser kann gar nicht per Parlamentsbeschluss erfolgen. An Griechenland sieht man zudem, dass auch eine linke Regierung mit starkem Rückhalt in der Gesellschaft nichts gegen das Sparkdiktat von EU und IWF ausrichten kann.
Kann das Gegenbild von Kräften kommen, deren DNA der neoliberalen Wettbewerb, also der Kampf aller gegen alle, ist?
Nein, ein echter Wechsel muss von unten kommen. Allerdings führt das zum Vordrängen rechtspopulistischer Bewegungen zurück. Ich befürchte, dass Umwälzungsbewegungen von unten sich derzeit vor allem gegen Geflüchtete richten. Und das europaweit. Während die einen Staaten sich weigern, Menschen in Not aufzunehmen, schaffen es andere Länder nicht, humanitäre Aufnahmesysteme oder faire Asylverfahren zu gewährleisten. Die derzeitige Stimmung ist hoch explosiv, wird durch die offizielle Politik leider angeheizt. Trotzdem gibt es europaweit Gegenbeispiele, gelebte Solidarität und Bewegungen, die auf die soziale und demokratische Teilhabe aller orientieren. Solche Initiativen müssen wohl mehr über den nationalen Tellerrand schauen. Eine Lösung sowohl gegen den rechten, autoritären Durchmarsch als auch für eine gesellschaftliche Alternative wird wohl nicht mehr nationalstaatlich zu haben sein.
Gegenkräfte gegen den Nationalismus formieren sich gerade. Das Projekt „Democracy in Europe – Movement 2025″, kurz „DiEM 25″, ist gestartet. Yanis Varoufakis ist eines der prominentesten Gesichter. Es soll eine grenzüberschreitende Bewegung werden, die für die Demokratisierung der europäischen Institutionen eintritt. Was halten Sie davon?
Die EU ist bekanntlich als Wirtschaftsunion gegründet worden, sie wird zudem vor allem durch die Regierungen der Mitgliedsstaaten bestimmt, nicht durch die über 500 Millionen Menschen, die in ihr leben. Bis heute ist es kaum gelungen, aus dem Staatenverbund auch eine Sozialunion zu machen. Nicht zuletzt fehlt es an einer europäischen Zivilgesellschaft, die diese EU gestaltet. Daran ändert auch das Europäische Parlament nichts, das zum einen gegenüber Kommission und Rat wenig Einfluss hat und zum anderen oft stark nationalstaatliche Interessen verfolgt. Im Moment werden positive Errungenschaften, wozu auch die Freizügigkeit innerhalb der EU gehört, auf den Prüfstand gestellt. Das Projekt „DiEM 25″ ist sicherlich ein Versuch, um der undemokratischen Praxis der Eliten etwas entgegenzusetzen. Es braucht allerdings mehr, um die EU zu verändern. Es ist Zeit mit konkreten Ideen, wie einem europaweiten bedingungslosen Grundeinkommen, grenzüberschreitend stärker in die Diskussion zu kommen, damit dem neoliberalen Kurs etwas entgegenzusetzen. Eine „Dependance DiEM 25″ in Leipzig gibt es meines Erachtens nicht. Sich unter dem Label zusammenzuschließen, steht sicherlich jedem frei. Und dass Menschen sich den Ideen anschließen und selbst aktiv werden, darauf wird es ankommen.
(Interview: Mathias Schulze, März 2016)
Bei diesem Gesprächskreis eine logische Schlußfolgerung. Mit vielen anderen Gesprächsteilnehmern wäre es zum übereinstimmenden Ergebnis gekommen:
Gegenbild zum Linkspopulismus nötiger denn je.