Geflüchtete in Sachsen: Auf dem Abstellgleis

CCKdvOWWgAAgh4c.jpg:largeIn Sachsen warten hunderte Asylsuchende vergeblich auf den Beginn der Prüfung ihres Asylbegehrs. Durch organisatorisches Versagen von Bund und Land werden den Betroffenen die Klärung ihrer Zukunftsperspektive und verbriefte Rechte versagt.

In verschiedenen Gesprächen sowohl mit Refugees, als auch mit Unterstützer*innen wurde in den vergangenen Wochen immer wieder ein Problem artikuliert: Ohne Anhörung und lediglich mit einer so genannten „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“ (BüMA) statt einer Aufenthaltsgestattung in den Händen, werden die Betroffenen aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in die Kommunen verteilt. Dort warten viele schon seit Monaten ohne Rückmeldung aus Chemnitz, der Zentralen Aufnahmestelle für Asylsuchende in Sachsen.
Die Anhörung, die dem Asylantrag folgt, ist das Herzstück des Asylverfahrens. In dem vom Bundesministerium für Asyl, Migration und Flüchtlinge (BAMF) geführten Interview werden Fluchtgründe und -wege befragt und auf dieser Basis dann über den Antrag entschieden. Die Prüfdauer beträgt derzeit durchschnittlich 8.4 Monate. (Dass die Rahmenbedingungen der Anhörungen oft nachteilig sind und die Anerkennung von Asylgründen absolut defizitär, soll an dieser Stelle nicht thematisiert werden.)
In den EAE werden die Asylsuchenden zudem sowohl von der Zentralen Ausländerbehörde des Freistaates (ZAB) als auch vom BAMF registriert, erkennungsdienstlich behandelt und eine medizinische Untersuchung vorgenommen.

Dieses reguläre Verfahren scheint in den letzten Monaten nicht zu funktionieren. Auch von ohne medizinische Untersuchung und gar Registrierung in die Städte und Landkreise zugewiesenen Personen ist die Rede.

Für die Geflüchteten ist die Situation zermürbend. In Delitzsch habe ich einen jungen Mann aus Syrien kennen gelernt. Er wurde einen Tag vor der angesetzten Anhörung nach Delitzsch zugewiesen und wartet seitdem auf einen neuen Termin. Sein Asylantrag wird in dieser Zeit nicht bearbeitet, wodurch er seine Frau und sein neu geborenes Kind nicht zu sich holen kann. Zudem sind ihm durch den schwebenden Status Bildungsmöglichkeiten verwehrt. Er ist Augenarzt.

Auch in Dresden, Leipzig und Bautzen gibt es bekannte Fälle, in denen die BüMA von den Behörden nicht als Äquivalent zur Aufenthaltsgestattung anerkannt wird. Dadurch entstehen Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt (neuerdings nach drei Monaten mit Vorrangprüfung und nach 15 Monate ohne), beim dezentralen Wohnen und bei Bewegungsfreiheit, sprich dem Erlöschen der Residenzpflicht (neuerdings nach drei Monaten). Eigentlich ist die BüMA nicht als Dauer-Identifikationsdokument gedacht, sondern ein vorläufiges Aufenthaltspapier mit einer begrenzten Gültigkeitsdauer. Sie bescheinigt, dass sich die schutzsuchende Person nicht illegal, sondern zwecks Asylantragstellung in Deutschland aufhält. Die BüMA wird i.d.R. nach dem Interview und vor dem Verlassen der EAE durch die Aufenthaltsgestattung ersetzt.

Als Hintergründe für das Grundsatzproblem sind das fehlende Personal im Bundesamt, das an die gestiegenen Asylzahlen nur unzureichend angepasst wurde, aber auch die Überbelegung der Erstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen anzunehmen.
In Antwort auf meine Kleine Anfrage (download) zum Thema will die Sächsische Staatsregierung von dem Problem nichts wissen. Zumindest bestätigt sie, dass es auch mit BüMA kein Problem geben dürfte, zumindest was die Anwartszeiten auf Zugang zum Arbeitsmarkt, Residenzpflichtbefreiuung etcpp. betrifft. Bereits mit dem mündlich z.B. bei der Polizei vorgetragenen Asylgesuch beginnt demnach formal die Aufenthaltsgestattung.
Der Praxis von Beamt*innen, die eine BüMA nicht als legitimes Ausweisdokument anerkennen, ist also falsch. Das nützt Geflüchteten in einer Polizeikontrolle oder auf der Ausländerbehörde in der konkreten Situation allerdings wenig.
Wenig nutzt die formale Klarstellung der Staatsregierung auch den Menschen, die auf die Prüfung ihres Asylbegehrs und damit auf klare Zukunftsperspektiven warten.
In Hoyerswerda sind am 9. April 2015 Asylsuchende in Hungerstreik getreten, um von der Ausländerbehörde gehört zu werden.

Es bedarf endlich einer Lösung des Problems.
Ein Weg ist es bei den Ausländerbehörden Druck zu machen, dass sie die Namen der Nicht-Angehörten und/ oder Registrierten erfassen und an BAMF und ZAB senden und auf schnelle Bearbeitung drängen.
Ein weiterer Schritt, der von der LINKEN auf Landtagsebene in Gang gesetzt wird, ist der Auftrag an die Landesregierung, die betroffenen Geflüchteten zu erfassen und auf eine schnelle Abarbeitung zu drängen.
Zudem ist bekannt, dass in einzelnen Fällen von Syrier*innen inzwischen auch im einfachen Verfahren Flüchtlingsschutz gewährt wurde.

>>> Hintergrund:

– Der Ablauf des Asylverfahrens (Refugees law clinic) download als pdf

– Eingeschlossen: Ausgeschlossen – Perspektiven geflüchteter Menschen auf die Warteschleife Asyl>>>

>>> Bildquelle: https://twitter.com/FraternitySy

2 Gedanken zu „Geflüchtete in Sachsen: Auf dem Abstellgleis“

  1. Sehr geehrte Frau Nagel,
    finde das zum Artikel beigefügte Bild wirklich unpassend. Erhebt sich doch für mich die Frage, warum sind es nur Männer? Oder warum hat er (Bild re.) seit Monaten seine Tochter nicht gesehen – hat er sie einfach zurück gelassen? Dieses Foto belegt doch die vielen Vorurteile von verunsicherten Bürgern.
    Es gibt keine zusätzliche finanziellen Mittel, wie soll so dieser Zeitfaktor bei immer steigenden Zahlen geringer werden – Schnellverfahren als Alternative würde bestimmt zu deutlich mehr Ablehnungen führen –> Ziel wäre doch dann mit diesem Hungerstreik verfehlt.
    Ich weiß, das die Bilder nicht von Ihnen stammen, doch Sie posten es ohne persönliche Erklärung – lag mir nah meine Gedanken dazu zu äußern.

  2. Hallo.
    Die Bildquelle steht unten. Das ist eine zivilgesellschaftliche Orga aus Syrien, die sich für das Schicksal der Geflüchteten aus ihrem Land interessiert.
    Die individuellen Fluchtgründe mag ich nicht beurteilen, aber dass Männer erst den Weg ebnen und Familien dann nachholen, begegnet mir oft. Was ist daran verwerflich.. bei den krassen und gefährlichen Fluchtwegen, ist ein sicherer nachzug unbedingt anzustreben. Besser wären sichere Fluchtwege.
    Die Menschen haben ein Recht darauf dass ihr Asylbegehr geprüft wird. Ja, dann muss das BAMF und auch das Land mehr Geld dafür in die Hand nehmen. Vor allem muss das Problem eingestanden und angegangen werden. Die Strukturen sind an die Zahl der wachsenden Asylverfahren anzupassen, das erscheint mir logisch.

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