Für Mittwoch, den 7.4.2010 ist in Beucha das Nachholspiel zwischen FSV Brandis und Roter Stern e.V. Leipzig angesetzt. Fast ein halbes Jahr ist vergangen seit das Spiel wegen eines gewaltsamen Neonazi-Übergriffs abgebrochen werden musste. Die Mannschaft des Roten Stern wird am 7.4. nicht alleine nach Beucha fahren. Vor dem Spiel wird im benachbarten Brandis eine antifaschistische Demonstration, initiiert durch die Fangruppe Red Star supporters club, stattfinden
Dazu Juliane Nagel, Mitglied des Landesvorstandes DIE LINKE Sachsen: „Der Neonaziübergriff auf dem Sportplatz in Brandis am 24.10.2009 ist leider nur ein trauriger Höhepunkt. Alternative Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund haben insbesondere in ländlichen Räumen tagtäglich mit neonazistischer Einschüchterung und Gewaltausübung zu tun. Die Demonstration am 7.4.2010 will eben diesen Menschen und Strukturen Solidarität und Unterstützung bekunden, die oft gegen den Widerstand politischer Verantwortungsträger das Problem menschenverachtender Ideologien thematisieren und Freiräume für eine demokratische Kultur schaffen. Beispiele dafür gibt es vielerorts: sei es die engagierte Schülerin in Bad Lausick, die in den letzten Wochen mehrmals Opfer von Übergriffen wurde, sei es der zivilgesellschaftliche Verein ‚Vive le courage‘ in Mügeln, dessen Domizil im vergangenen Jahr wieder und wieder Zielscheibe von Angriffen war oder die wiederholten Anschläge auf Dönerläden in Colditz.
Der Übergriff in Brandis war kein Fussball-Fan-Milieu-spezifische Eskalation, sondern Ausdruck einer wachsenden und gewaltaffinen Neonazi-Szene. Auch Mitglieder der sächsischen LINKEN werden im Rahmen der Demonstration am 7.4.2010 Flagge zeigen – für ein gleichberechtigtes, solidarisches Miteinander, auf dem Fussballplatz wie in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich.“
Der Aufruf zur Demonstration
Wir geben keine Ruhe – Nazi-Strukturen im Leipziger Umland aufdecken
Am 24.10.2009 wurde das Bezirksklassespiel zwischen dem FSV Brandis und Roter Stern Leipzig (RSL) kurz nach Anpfiff von Neonazis überfallen. Die Angreifer gingen brutal mit Holzlatten, Eisenstangen, Stahlprofilen, Steinen und Feuerwerkskörpern gegen die Fans, Vereinsvertreter_innen und Spieler des RSL vor. Während des Angriffs waren die RSL-Anhänger_innen auf sich selbst gestellt, glücklicherweise konnten die Sterne die Neonazis zurück drängen. Bei dem Angriff wurden drei Personen schwer verletzt, mehrere Personen erlitten leichte Verletzungen.
Die politische Motivation dieses Überfalls kann nicht abgestritten werden. Die Täter sind rechte Hooligans, Freefighter und bekannte Neonazis aus dem Muldentalkreis. Nicht zum ersten Mal: Immer wieder waren in dieser Saison bei Auswärtsspielen des RSL Neonazis zugegen und versuchten Spieler und Zuschauer_innen zu provozieren oder anzugreifen. Diese im Vorfeld des Spiels bekannte Sicherheitsproblematik wurde weder vom FSV Brandis, noch von der zuständigen Polizeidienststelle überhaupt zur Kenntnis genommen.
Ein Stern im Sumpf des „Unpolitischen“
Wir haben den Roten Stern Leipzig im Jahr 1999 als antifaschistisches Sportprojekt gegründet, weil wir einen Verein haben wollten, der anders ist. Wir hören nicht weg, wenn rassistische, sexistische, homophobe und nationalistische Aussagen auf dem Sportplatz fallen, sondern beziehen ganz klar dagegen Stellung. Der Verein organisiert sich selbstbestimmt, hierarchiefrei und basisdemokratisch.
Das Leipziger Umland
Die Neonazis sind im Leipziger Umland so aktiv wie lange nicht mehr. Tagtäglich kommt es hier zu Übergriffen oder Aktionen rechter Gewalttäter. Colditz, Mügeln, Wurzen, Delitzsch – die Liste lässt sich leicht verlängern. Neonazis schaffen sich mit Gewalt ihre Aktionsräume und werden nicht selten als „die netten Jungs von nebenan“ beschrieben, sie sind Teil der örtlichen Gemeinschaft.
Die NPD sitzt mit 73 Abgeordneten in zahlreichen Kommunalparlamenten und baut derzeit gezielt Nachwuchsstrukturen auf dem Land aus. Unlängst wurden vier neue JN-„Stützpunkte“ (Junge Nationaldemokraten, Jugendorganisation der NPD) in Delitzsch-Eilenburg, Torgau, Oschatz und Wurzen gegründet. Ein weiterer ist in Borna geplant.
Die Wenigen, die sich dort noch offen antifaschistisch positionieren, leben in ständiger Bedrohung. Ein Beleg hierfür ist die Situation in Delitzsch: Innerhalb von sechs Monaten setzten Anhänger von NPD, JN und „Freien Kräften“, einem Jugendlichen bisher sieben Mal schwer zu. Neben Bedrohung, Androhung von Entführung, „Hausbesuchen“ und Denunziation im Internet gab es gemeinschaftliche Körperverletzung und Hetzjagden durch vermummte „Freie Kräfte“.
Ebenso erging es dem Verein „Vive le Courage“ und den jungen Antifaschist_innen in Mügeln: Ihr Haus wurde im letzten Jahr mehrfach das Ziel von Angriffen. Das Soziokulturelle Zentrum „Vive le Courage“ ist der einzige Treffpunkt nichtrechter Jugendlicher und zugleich Sitz des Vereins. Im letzten Jahr kam es regelmäßig zu Drohungen und gewalttätigen Übergriffen durch Neonazis auf nichtrechte bzw. antifaschistische Jugendliche und auf das Zentrum.
Die Opfer von neonazistischer Gewalt erfahren nur selten Solidarität und Unterstützung durch lokale Verantwortungsträger_innen. Wenn sie ausbleibt, so ist dies ein weiterer Baustein in den hegemonialen Bestrebungen der Neonazis.
Umso erstaunlicher ist es, wenn nach Übergriffen immer wieder eine Teilung der Gesellschaft in eine gedachte unproblematische „Mitte“ und „Extremist_innen“ vollzogen wird. Mit der Verortung der Täter_innen „außerhalb“ der gedachten „Mitte der Gesellschaft“ soll suggeriert werden, dass die Nazis von „woanders“ über die redliche Stadtgemeinschaft kamen und man selber ja „mit solchen“ gar nichts zu tun hätte. Dass es die vielbeschworene unproblematische „Mitte“ gar nicht gibt, wird nicht nur durch Studien regelmäßig belegt. Ideologien der Ungleichwertigkeit gegenüber Menschen und diskriminierende Einstellungen finden sich quer durch breite Teile der Bevölkerung und machen daher eine Einteilung in „Rand“ und „Mitte“ unmöglich. Die Täter sind nicht „die Fremden“ oder „Extremisten“, mit denen man nichts zu tun hat. Sie sind Söhne und Väter, Mütter und Töchter, Teil der Gemeinschaft, in welcher sie unbehelligt leben.
Gerade der Fall Brandis zeigt, wie problematisch der Umgang mit Neonazi-Übergriffen ist. Wenige Tage nach dem 24.10.09 verabschiedete der Brandiser Stadtrat eine Resolution unter dem Titel „Gegen Rechtsextremismus und Gewalt – Zeichen setzen: Für eine soziale, sichere und weltoffenen Stadt!“ (Fehler im Original)
Hierin beklagt der Stadtrat nicht nur den „Rechtsextremismus“ in Brandis sondern auch das „offene Auftreten (…) linksautonomer Vandalen“. Wer sich hinter dem „Extremismusbegriff“ versteckt, verkennt die Lebensrealit舩en in der Stadt Brandis und im Leipziger Umland. Eine Gleichsetzung von „links“ und „rechts“ in einem Atemzug, und damit das Gleichsetzen antifaschistischen Engagements mit der Ideologie der alten und neuen Nazis, können, wollen und werden wir nicht hinnehmen!
Solange es nicht als problematisch empfunden wird, dass Neonazis, Rassist_innen und/oder NPD-Kandidat_innen in Vereinen aktiv sind, sei es als Spieler, Trainer oder Betreuer, wie im Fall des FSV Brandis zu beobachten, so lange es nicht problematisiert wird, dass sie auch hierüber ihre Strukturen ausbauen, ihre menschenverachtende Ideologie pflegen, Menschen angreifen, einschüchtern und jene, die sich dagegen engagieren bestraft werden, geben wir keine Ruhe! Wir wollen öffentlich machen, wie in der „bürgerlichen Mitte“ Neonazis leben und toleriert werden, wie eine Kultur des Wegsehens und Weghörens den Nährboden für nazistische Strukturen bietet und sie zur Normalität werden lässt.
Mit der Demonstration wollen wir unsere Solidarität mit den Menschen im Umland zum Ausdruck bringen, die nicht nur einmal zum Fußball dorthin fahren müssen, sondern die in diesen Landstrichen leben und politische Arbeit leisten.
Solidarität mit allen antifaschistischen Strukturen und Aktivisten_innen im Umland, sowie allen Betroffenen von rassistischer und neo-nazistischer Gewalt!
RSSC – Red Star Supporters Club