Weltnest fragt in dieser Woche nach einer bedenklichen Entwicklung: Zerfallen die Stadtteile in arm und reich?
Martin fragt:
Laut einer Studie der Bundesagentur für Arbeit leben Geringverdiener und Besserverdiener in Leipzig besonders stark voneinander getrennt. Noch krasser soll das nur in Frankfurt am Main sein. Ist das wirklich so? Wollen wir, dass das so bleibt? Wie können wir das ändern?
Meine Antwort:
Die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bringt im Grunde wenig Neues zutage: dort wo sich Stadtviertel für Menschen mit weniger Einkommen schließen, wo Menschen verdrängt werden, die sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können, haben wir ein Problem, bzw. zeigt sich vielmehr, die anti-soziale Dimension dieser Gesellschaft.
Bezeichnet der Begriff Gentrifizierung des Prozess der sozialen Umstrukturierung von Wohngebieten, bildet die Segregation das soziale Auseinanderdriften ab. In Leipzig haben wir es seit ein paar Jahren mit schleichenden Gentrifizierungsprozessen zu tun, die die bereits vorhandene soziale Entmischung in manchen Vierteln noch verstärkt.
Leipzig galt lange als Armutshauptstadt Deutschlands und ist es nach Dortmund noch immer. Es gibt quasi traditionell Viertel, in denen sich Armutslagen ballen, hier vor allem in Ortsteilen im Osten (Volkmarsdorf, Neustadt-Neuschönefeld) und im Westen (Altlindenau, Kleinzschocher, Grünau-Nord und -Mitte). Dagegen wohnen insbesondere in den zentrumsnahen Ortsteilen wie dem Waldstraßenviertel, einkommensstarke Schichten.
Aus der recht guten Sozialdaten-Berichterstattung der Stadt Leipzig lässt sich die Erkenntnis gewinnen, dass vor allem der Leipziger Südwesten (Plagwitz, Lindenau) und in den inneren Osten einen starken Zuzug erleben. Dies verändert der Einkommensverhältnisse und hat auch Auswirkungen auf die Mieten. Beispiel gefällig? 2006 lag das Nettoeinkommen in Plagwitz noch bei unterdurchschnittlichen 811 Euro pro Monat. 2011 waren es bereits 1225 Euro pro Monat. Gleichzeitig sprangen die Mieten über den Stadtdurchschnitt und lagen 2011 bei über 5,10 Euro. Das wäre nicht schlimm, wenn nicht damit Verdrängungsprozesse verbunden wären, die leider nicht ordentlich dokumentiert sind. Doch es gibt sie, wie der Immobilienvermittler Jones Lang LaSalle zuletzt im März in einer Studie belegte. Und auch die Holbeinstraße 28 a in Schleussig oder die Kochstraße 114 in Connewitz stehen hierfür beispielhaft.
Die Erkenntnisse der Studie sind also durchaus ernst zu nehmen, so wenig neu sie auch sind. Wir müssen es in Leipzig schaffen, Aufwertung ohne Verdrängung zu leisten. Das heißt, dass natürlich Häuser saniert und neuer Wohnraum geschaffen werden müssen, genau wie die Ansiedlung von Gewerbe, Kultur und Freiräumen zu vitalen Vierteln gehört. Das alles darf aber nicht auf Kosten von ansässigen, möglicherweise prekär lebenden Menschen geschehen. Politik muss gegensteuern! Warum muss es denn eine Luxussanierung sein und keine niedrigschwellige, der nur moderate Mietsteigerungen folgen? Warum verweigert sich der Freistaat Sachsen einem Programm für sozialen Wohnungsbau für die Großstädte Leipzig und Dresden, mit dem verbindliche Anteile von Wohnraum in öffentlicher oder genossenschaftlicher Hand für soziale Benachteiligte – unbefristet! – verankert werden? Warum müssen MieterInnen bei bei den energetischen Sanierungen bluten, während EigentümerInnen mit öffentlichen Mitteln den Wert ihrer Immobilien steigern können(Mieteröhungen aufgrund energetischer Sanierungen werden nach Armotisierung der Ausgaben nicht zurückgenommen, geschweige denn dadurch erzielte Einsparungen bei den Betriebskosten adäquat an die MieterInnen umgelegt)? Warum hat die LWB ihren Bestand in den letzten Jahren so rapide abgebaut? (In Südwest und Nordwest, also dort wo Segregationstendenzen besonders im Anmarsch sind, gibt es am wenigsten Bestände des öffentlichen Wohnungsunternehmens.)
Neben dem der auszubauenenden öffentlichen Wohnungsversorgung bietet gemeinnützig orientierte Wohnprojekte, die dem Markt durch Kauf der MieterInnen entweder ganz entzogen werden oder auf lange Dauer verpachtet sind, eine sehr konkrete Entspannung in den von Segregation betroffenen Vierteln. Diese Möglichkeit sollte viel stärker gewährt und genutzt werden. Eine Entspannung des Wohnungsmarktes in der Breite werden solche Modelle allerdings nicht bringen. Zu guter Letzt gibt es allerdings zwei grundlegende Möglichkeiten Segregation und Gentrifizierung Einhalt zu gebieten: keine prekären Einkommen zulassen und Wohnen endlich als Grundrecht verankern!