Martin fragt:
Auf einer linksextremen Plattform erscheint eine Liste mit 50 Anschlagszielen und die Polizei reagiert mit Kontrollbereichen. So weit, so nachvollziehbar. Dass weder mitgeteilt wird, wo diese Kontrollbereiche sind, noch wie lange sie gelten, ist allerdings beunruhigend. Verkommt Leipzig zu einer Polizeistadt?
Meine Antwort:
Legitimiert ein Aufruf wie der zu Gewalt auf 50 Ziele ein solches Vorgehen?
Ich habe mich an anderer Stelle schon geäußert, was ich vom im Aufruf propagierten Mittel halte. Er trägt wenig bis gar nix dazu bei, zu verstehen, was in dieser Gesellschaft falsch läuft bzw. wirkt eher noch kontraproduktiv. Ob ein Kontrollbereich tatsächliche Angriffe auf die Ziele verhindert hätte, daran will ich wirklich zweifeln. Zumal die beiden Ziele von Sachbeschädigungen, die es gab, nicht auf der Liste standen.
Die Zeiten, in denen an eine „Polizeistadt“ zu denken war, sind seit dem Abtritt von Horst Wawrzynski als Polizeipräsident, der mit seiner harten verbalen und praktischen Linie gegen DrogenkonsumentInnen von sich reden machte, vorbei. Insgesamt 14 Mal in 17 Monaten überzog er die Stadt mit Komplexkontrollen, d.h. in der Regel 8 Stunden andauernden flächenhaften Kontrollen, angeblich um Drogenhändler-Ringe ausfindig zu machen. Ins Visier gerieten allerdings KleinkonsumentInnen, FahrradfahrerInnen, MigrantInnen und Illegalisierte.
Sein Nachfolger Bernd Merbitz beendete diese Kontrollstaats-Praxis glücklicherweise.
Fakt ist: Leipzig hat im sachsenweiten Vergleich die höchste Kriminalitätsrate. Bei einer wachsenden Großstadt, die zugleich Verkehrsknotenpunkt ist, ist das nicht verwunderlich. Die Kriminalitätsrate ist jedoch im Langfristmassstab im Sinken begriffen, bundesweit. Unsere Gesellschaft wird immer sicherer, bekunden ExpertInnen immer wieder zurecht. Doch die Frage des individuellen Sicherheitsgefühls ist eine hochsensible und manipulierbare. Das zeigen zum Beispiel die Ergebnisse Kommunalen Bürgerumfrage 2013. Das subjektive Unsicherheitsgefühl wird größer, obwohl die tatsächliche Entwicklung eine andere ist. Dies hängt mit dem Schüren von Kriminalitätsfurcht zusammen.
Mit dem rein gefühlten Unsicherheitszustand wird falsche Politik gemacht. In Leipzig sind es vor allem die Bereiche Eisenbahnstraße und Connewitz, die immer wieder als Horte von Gewalt und Chaos stilisiert werden.
Welch ein Zufall, dass genau hier zwei Extra-Polizeiposten errichtet wurden, obwohl die Polizei einerseits mit Stellenabbau und schlechter Ausstattung zu kämpfen hat und dies andererseits die Kriminalitätsstatistik gar nicht hergibt. Auch die angesprochene Erweiterung polizeilicher Befugnisse, die ja durch Kontrollbereiche, Kontrollstellen oder an den polizeilich definierten so genannten „gefährlichen Orten“ ermöglicht wird, kann vor allem in den beiden Bereichen beobachtet werden.
Im Bereich Eisenbahnstraße wurden zwischen August 2008 und Sommer 2014 insgesamt acht Mal Kontrollbereiche nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SächsPolG eingerichtet, die verdachts- und anlasslose Kontrollen durch die Polizei ermöglichen. Im Süden gab es laut Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir seit 2013 KEINE Kontrollbereiche, außer in der Südvorstadt zu Zeiten der Fußball-WM.
Temporär massive verdachtsunabhängige Polizeikontrollen sind in Connewitz aber definitiv an der Tagesordnung. Auf meine nochmalige Nachfrage wurde diese Kontrollpraxis mit § 19, 1 Satz 1 Nr. 5 Sächsisches Polizeigesetz, sprich “Straßen von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität” begründet. Demnach wurden im Zeitraum 1. Januar 2013 bis zum 31.10.2014 in drei Zeitabschnitten insgesamt 17 Straßen im Stadtbezirk Süd ausgewiesen, in denen die Kontrollkompetenz der Polizei erweitert wurde. Absurd, denn Leipzig befindet sich nun wirklich nicht im grenznahen Bereich und Straßen wie die Focke- oder Teichstraße sind winzige Nebenstraßen.
Grundsätzlich sind die herabgesetzten Schwellen für polizeiliche Kontrolltätigkeit problematisch. Meine Fraktion hat 1999 ein Normenkontrollklage gegen entsprechende Regelungen im Sächsischen Polizeigesetz beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof angestrebt, bekam mit Urteil von 2003 aber nur minimal Recht.
Es geht bei der Frage nach den Kontrollbereichen um Grundrechte, die durch die Verräumlichung staatlicher Kontrolle infrage gestellt werden. Nicht durch konkrete Personen verübte Straftaten sind Anlass polizeilichen Handelns, nein allein der Aufenthalt an definierten “gefährlichen Orten” macht verdächtig. Das ist klar eine Umkehr der Unschuldsvermutung.
Beim Silvester-Kontrollbereich kommt erschwerend hinzu, dass dessen räumliche und zeitliche Dimension unbekannt sind. Nicht nur, dass damit Menschen im Unklaren gelassen werden, kann der Kontrollbereich so aus polizeilicher Sicht keine abschreckende Wirkung entfalten, wie es der Polizei vom Verfassungsgerichtshof explizit zugestanden wird. Ich habe auch dazu eine Kleine Anfrage gestellt.
gerade die Unschuldsvermutung hat es ja in der Eisenbahnstrasse, und seit ein paar Wochen auch in Connewitz eher schwierig….
Ich denke, wenn Nachweise für das Ausbleiben von Straftaten vorliegen, dann kommt auch eine Polizeidienststelle weg.
Ich wundere mich etwas über den Hinweis, dass „nur“ Kleinkriminielle aufgegriffen werden. Als ob nur die Produzenten und Großhändler von Drogen das Problem verursachen – das Problem ist das es einen Markt gibt..(ich persönlich würde Gras da ausklammern/legalisieren)…
viel spass beim lesen: http://www.sozialraum.de/die-konstruktion-gefaehrlicher-orte.php