Am 24. Juni, 9:00 wird vor dem Landgericht in Leipzig der Prozess gegen die Mörder von Kamal fortgesetzt. Einer der beiden Angeklagten, Daniel K., dem lediglich gefährliche Körperverletzung vorgeworfen wird, hat am 1.Verhandlungstag angekündigt sich diesmal geständig einzulassen.
Der Prozess zeigt ein weiteres Mal, wie grob die Kriterien für die Einordnung entsprechender Taten als rechts motiviert sind. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft reicht nicht, dass die Täter eine neonazistische Weltanschauung im Kopf und auf dem Körper tragen, sie hätten diese während der Tat auch klar äußern müssen. Um den Mord an Kamal wie auch andere rechts motivierte Gewalttaten in Leipzig, die für die Opfer tödlich endeten, noch einmal in Erinnerung zu rufen, sei an dieser Stelle der Redebeitrag des Initiativkreises Antirassismus vom 13.6.2011 dokumentiert.
Beinah acht Monate ist es her seit Kamal von zwei Nazis in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofes erstochen wurde. Am 17. Juni wird nun vor dem Landgericht die Hauptverhandlung gegen die Täter eröffnet. Im Februar diesen Jahres hat die Staatsanwaltschaft Leipzig, vor deren Domiziel wir hier stehen, Anklage gegen die beiden mutmasslichen Täter, Daniel K und Marcus E. erhoben. Allerdings sieht die Ermittlungsbehörde weder die Merkmale für eine Mord noch für eine rassistische Tatmotivation erfüllt und so lauten die Tatvorwürfe gegen Daniel K gefährliche Körperverletzung und gegen Marcus E. gefährlicher Körperverletzung und Totschlag.
Wir befürchten, dass der Mord an Kamal von Seiten der staatlichen Behörden entpolitisiert und bagatellisiert wird. Um das nicht zuzulassen gehen wir heute ein weiteres Mal auf die Strasse.
Ein Blick zurück – was geschah in jener Nacht im Oktober?
In der Nacht vom 23. zum 24.10. befand sich Kamal gemeinsam mit seiner Freundin und einem Kumpel auf dem Weg vom Discobesuch nach Hause. Im Park vor dem Bahnhof kam es zu einem Streit zwischen Kamal und seiner Freundin. In diesem Moment tauchten Marcus E. und Daniel K. auf, sprachen den Abseits sitzenden Kumpel von Kamal an. Dieser ging auf das Trio zu und fragte ob es Probleme gebe. Die Antwort der beiden Nazis kam prompt: „Ja, wir haben ein Problem, mit dir!“, woraufhin es zu einer verbalen Auseinandersetzung und schließlich zu Handgreiflichkeiten kam: Marcus E. und Daniel K. schlugen auf Kamal ein, letzterer besprühte Kamal mit Pfefferspray, der dadurch die Sicht verlor und sich nicht weiter verteidigen konnte. Daraufhin riss Marcus E. Kamal zu Boden und stach ihm mit einem Messer mehrfach in den Bauch. Trotz Notoperation starb der erst 19 jährige Kamal noch im Laufe des Sonntages an seinen schweren Verletzungen.
In den Augen der Leipziger Staatsanwaltschaft gab es in der Tatnacht einen Streit „ohne erkennbaren Grund“ und eine darauf folgende Schlägerei mit Todesfolge. Weder der politische Hintergrund der Täter hat bei den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft eine Rolle gespielt, noch die Tatkonstellation, in der zwei bekennende Neonazis einem Migranten das Leben genommen haben. Das finden wir – auch mit Blick auf die Biografien der Täter mehr als merkwürdig.
Daniel K. war langjähriger Aktivist der neonazistischen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL). Er galt dort als „Mann fürs Grobe“. Regelmäßig gab es in seiner Wohnung größere Nazi-Feiern. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung wurden Hakenkreuzfahnen und Baseballschläger beschlagnahmt. Daneben nahm er regelmäßig an Naziaufmärschen teil und stand dabei nicht nur einmal in der ersten Reihe. Szenekenner beschreiben ihn als „ideologisch außerordentlich gefestigt“. Ein Mitläufer ist er nicht, auch kein Aussteiger, wie sein Verteidiger verlauten ließ. Ein Indiz ist auch der Pullover, den er am 24. Oktober 2010 während der Tat getragen hat. Auf diesem stand der Nazispruch „Kick off Antifascism“ geschrieben. Auf seinem nackten Oberkörper prankt der SS-Leitspruch „Meine Ehre heißt Treue“, ein Hakenkreuz und die SS Symbolik in mehrfacher Ausführung.
Über Marcus E. stammt aus Thüringen und wurde 2002 wegen Vergewaltigung und Körperverletzung verurteilt. Auch er trägt auf seiner Haut das Hakenkreuz und einen Reichsadler tätowiert, bei einer Durchsuchung seiner Wohnung in Erfurt sollen unzählige Nazidevotionalien gefunden worden sein.
Beide Täter lernten sich im Knast in Waldheim kennen. Mindestens einer von beiden wurde während der Haftzeit von der neonazistischen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) unterstützt. Funktion dieser Gruppierung ist es, Neonazis auch innerhalb des Gefängnisses in der Szene zu halten.
Die Leipziger Staatsanwaltschaft sieht trotz dieser politischen Hintergründe der Täter und dem Verlauf der Nacht keine „hinreichenden Anhaltspunkte für eine rassistische Motivation“ gegeben. Angezweifelt wird lieber die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Täter, da sie zur Tatzeit „nicht unerheblich alkoholisiert “ gewesen sein sollen. Damit wird den Tätern ein bewusstes Handeln abgesprochen. Die Szenerie vor Prozessbeginn erinnert an vergangene Fälle. Bereits fünf Morde sind in Leipzig seit 1990 durch Nazis begangen worden. In keinem der Fälle schaffte es die Staatsanwaltschaft, rassistische, homophobe oder sozialdarwinistische Motive zu erkennen, nachzuweisen oder überhaupt ausreichend zu würdigen – selbst dann nicht, wenn die Täter, wie im Fall des 1996 gewaltsam zu Tode gekommenen Achmed Bachir, mit der unmissverständlichen Aussage durch die Stadt gelaufen sind, „Ausländer“ töten zu wollen, und das dann auch getan haben.
Wir wollen nicht vertuschen und verschweigen. Wir benennen den Mord an Kamal als das was er ist: eine kaltblütige rassistische Tat. Wir verlangen von der Justiz eine Würdigung der politischen Hintergründe der beiden Täter und die Aufnahme des Falles in die Statistik rechts motivierter Kriminalität. Wir verlangen eine gesellschaftliche Debatte über Rassismus, über gesellschaftliche Zustände in Deutschland, in denen Menschen für ihre Herkunft, für ihr Aussehen, für ihre Lebens und Liebensweise und für ihren sozialen Status mit dem Leben bezahlen müssen.
Wir gedenken hier und heute Kamal, dem zwei Nazis das leben nahmen, Wir erinnern an Klaus E. Der ein paar Nazis als asozial galt und darum 1994 in seiner Wohnung in der Lützner Straße zu Tode geprügelt und getreten wurde, an Achmed Bachir, der 1996 von zwei Nazis erstochen wurde, an Bernd Grigol, der von Nazis vor seiner Wohnung in Wahren1996 gequält, misshandelt und erstochen wurde – die Täter warfen ihn mit dem Kopf mehrfach auf den Bordstein, traten mit Springerstiefeln auf ihn ein, stachen ihm die Augen aus und warfen seine Leiche in den Steinbruch Ammelshain. Bernd Grigol musste sterben weil er offen homosexuell lebte.
Wir erinnern an Nuno Lourenco aus Portugal, der 1998 als Zimmermann in Leipzig arbeitete und von Nazis 1998 in Markkleeberg so schwer zusammengeschlagen wurde, dass er wenige Monate danach an den Folgen dieser Gewalttat starb. Lourceno musste sterben, weil ein paar Nazis nachdem Deutschland ein EM-Fußballspiel ihre Aggression an MigrantInnen auslassen mussten – acht Deutsche schlugen an jenem 4. Juli 1998 mit einer Eisenkette auf Nuno ein.
Wir gedenken nicht zuletzt Karl-Heinz Teichmann, der vor drei Jahren, im August 2008, auf einer Bank am Schwanenteich von einem 18jaehrigen, der eine große Affinität zur rechten Szene aufwies, misshandelt wurde. „Du hast hier nicht zu schlafen“ beschimpfte der Täter sein Opfer und malträtierte ihn mit über 20 Schlägen. Karl-Heinz T starb zwei Wochen nach dem Vorfall an den Folgen seiner schweren Verletzungen.
Von diesen sechs Morden ist einzig der an Nuno Lourenco ist in die offizielle Statistik rechts motivierter Gewalt aufgenommen worden und dies erst aufgrund des großen öffentlichen Drucks den seine Witwe und Medien ausgeübt hatten. In Sachsen waren es seit 1990 zwölf rechts motivierte Morde, von denen sieben offiziell als solche anerkannt werden und bundesweit etwa 150, von denen nur 47 offiziell anerkannt wurden.
Auch uns geht es hier und heute und in unserer täglichen Arbeit darum die Öffentlichkeit und auch staatliche Institutionen dazu zu bringen die Motive von Taten und TäterInnen solcher Gewalttaten nicht zu verdrängen, zu verschweigen und zu leugnen.
Darum unterstützt der Initiativkreis aktuelle Bemühungen den Opfern rechter Gewalt in Leipzig seit der Wende einen Erinnerungsort zu errichten. Bis dato spielten diese Taten nämlich in der öffentlichen Debatte in der Stadt kaum eine Rolle, Auch im Fall von Kamal hielt es der Oberbürgermeister nicht für notwendig sich direkt an dessen Angehörigen zu wenden oder sich öffentlich zu äußern.
Es muss allerdings darum gehen aktiv zu werden bevor Neonazis überhaupt derart gewalttätig werden können und darum Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen im Alltag vehement entgegenzuwirken. Darum organisiert und aktiviert euch!
Kommt zum Prozess, der am kommenden Freitag vor dem Landgericht beginnt, zeigt euch bei der Mahnwache zum Prozessauftakt solidarisch mit Familie und FreundInnen von Kamal. Und zeigt damit, dass ihr die Art und Weise, in der deutsche Justizbehörden solche Morde pflichtgemäß abwickeln, nicht hinnehmt, dass solche Verbrechen nicht als unausweichliches „Schicksal“ hingenommen und ihre Opfer schnell vergessen werden.