Flucht ist kein Verbrechen – Konsequent gegen die Inhaftierung von Geflüchteten

In der Landtagssitzung am 17. Mai 2017 stand das Ausreisegewahrsams- vollzugsgesetz zur Debatte und Abstimmung. Gegen die Stimmen der Opposition machten CDU und SPD den Weg für die Inhaftierung von Geflüchteten in Sachsen frei, Ich dokumentiere hier meinen Redebeitrag. Vor dem Landtag demonstrierten währenddessen Initiativen gegen den neuen Abschiebeknast.

ANREDE

Wir sprechen heute über das Sächsische Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz. Allein der Titel ist verharmlosend. Wir können, ja wir müssen es klar benennen: Wir reden über Freiheitsentzug für Geflüchtete, für schutzsuchende Menschen. Und dies auch noch auf einer aus unserer Sicht rechtlich fragilen Basis.

Sachsen ist nach Hamburg des zweite Bundesland, das von der Möglichkeit der Errichtung eines Ausreisegewahrsams Gebrauch machen will. Dies ermöglicht das im Juli 2015 in Kraft getretene Bundesgesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung.

Und dies markiert bereits das erste Argument gegen dieses Vorhaben: Wir müssen den § 62b Aufenthaltsgesetz als Land nicht anwenden. Im rot-grün regierten Hamburg war die Schaffung der dortigen Einrichtung hoch umstritten. Auch, wenn man unpolitisch auf die Szenerie schaut, erweist sich der dortige faktische Abschiebeknast als wenig nützlich.

Schauen wir uns die hiesigen Zahlen an, können wir sehr deutlich sehen, dass die Abschiebungen auch ohne Inhaftierungen massiv steigen. Im letzten Jahr verzeichnen wir in Sachsen fast eine Verdopplung zum Vorjahr 2015 auf 3377 Menschen und beobachten immer rigidere Mittel. 20 Mal wurden bei Abschiebungen Familien getrennt, immer wieder werden gut integrierte Menschen aus ihrem hier neu aufgebauten Leben gerissen und wir wissen dank der Recherchen des Sächsischen Flüchtlingsrates, dass es immer wieder zur Abschiebung kranker Menschen gekommen ist. Zur sowieso harten Hand bei Abschiebungen von Menschen ins Ungewisse, in Not, Armut und Ausgrenzung, soll nun also noch ein Abschiebegefängnis light hinzukommen.

Daraus kann nur geschlussfolgert werden, dass die Koalition beweisen will, dass Sachsen vor nichts zurückschreckt. Eben auch nicht vor der Inhaftierung von Menschen, inklusive Familien, Kindern und Schutzbedürftigen.

Wie bereits in der letzten Plenardebatte dargelegt, lehnen wir als LINKE Abschiebehaft grundsätzlich ab. Denn Flucht ist kein Verbrechen!

Freiheitsentzug ist einer der schwersten Grundrechtseingriffe und wird hier für Menschen verhängt, die ganz klar keine StraftäterInnen sind, sondern zur Erleichterung von hoheitlichem Verwaltungshandeln. Diesen relevanten Unterschied spüren die Menschen, die es betrifft allerdings nicht. Wir wissen, dass Freiheitsentzug Menschen krank macht (90 % der Befragten eine Studie gaben an psychische Belastungen zu erleiden, Dpressionen, Traurigkeit, Wutgefühle, Schlaflosigkeit, Anspannungs- und Stressgefühle, Suizidgedanken und Verwirrung) und wir wissen auch, dass in der Vergangenheit bis zu 80 % der Haftbeschlüsse für die Abschiebehaft fehlerhaft waren, u.a., weil sie rechtsstaatliche Garantien der Betroffenen verletzten.

Wenn wir von der grundsätzlichen Ebene auf die faktisch-juristische Ebene wechseln und uns das Konstrukt Ausreisegewahrsam anschauen, können wir auch wieder nur zu einer ablehnenden Haltung kommen. Ich will sie begründen:

Mit dem neuen § 62b Aufenthaltsgesetz wurde die Möglichkeit geschaffen, Menschen ohne spezielle Haftgründe die Freiheit zu entziehen. Für die bereits bekannte Abschiebehaft sind die Haftgründe im § 62 normiert. Für den Fall der Fluchtgefahr werden sie in § 2 Absatz 14 Aufenthaltsgesetz ausdekliniert. Obwohl der Ausreisegewahrsam ebenfalls bei Fluchtgefahr zum Zuge kommen soll, umgeht der entsprechende Paragraph 62b diese gesetzlich definierten Kriterien. Es werden noch windelweichere Voraussetzungen für die Inhaftierung geschaffen, als sie bereits existieren – bereits „wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist“ oder der/ die Geflüchtete „ein Verhalten zeigt, das erwarten lässt, dass er/sie Ausreise vereiteln oder erschweren wird“. Hier wird die Normierung willkürlicher Verdachtsmomente wie sie bereits bei der ordentlichen Abschiebehaft im Falle einer unterstellten Fluchtgefahr existieren, auf die Spitze getrieben und das alles zu Lasten des § 2 Absatz 2 Grundgesetz, dem Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person.

Der Ausreisegewahrsam widerspricht in seiner bundesgesetzlichen Grundlage aus unserer Sicht sowohl europarechtlichen Vorgaben (Dublin-III-Verordnung und EU-Rückführungsrichtlinie) und führt zu unverhältnismäßigen Grundrechtseingriffen.

Auch die milderen Mittel, die per Gesetz alternativ zur Inhaftierung zum Zuge kommen sollen, sind unserer Meinung nach in Sachsen nicht ausgeschöpft. Und wir beziehen uns dabei eben nicht nur auf ordnungspolitische Mittel wie Meldeauflagen oder Kautionszahlungen, sondern auch auf solche Mittel, die der Jesuitenflüchtlingsdienst in einem Bericht aufgearbeitet hat: wie eine engmaschige Fallbetreuung im Asylverfahren durch qualifizierte Beratungsstellen, vollumfängliche Informationen über den Fortgang und rechtliche Unterstützung im Asylverfahren und soziale Betreuung. Wir haben darüber im letzten Landtagsplenum ausführlich diskutiert.

Schauen wir uns den vorliegenden Gesetzesentwurf konkret an, stoßen wir an vielen Stellen auf Probleme und Leerstellen.

Wie auch in der Anhörung im Innenausschuss ausführlich von zwei Sachverständigen kritisiert, führt der im Gesetzesentwurf vorgenommene Generalverweis auf das Strafvollzugsgesetz zu Problemen und verwischt die von der EU-Rückführungsrichtlinie vorgegebene und vom Europäischen Gerichtshof bekräftigte, notwendige wesentliche Unterscheidung zwischen der Haft zum Zwecke der Abschiebung und der Strafhaft. Diese Vorgabe ist zwingend und hat in der Vergangenheit auch in Sachsen zum Ende der Praxis geführt, ausreisepflichtige Geflüchtete in den normalen JVA‘s zu inhaftieren. Nun machen wir in diesem Bereich eine Rolle rückwärts.

Auch en Detail führt die pauschale Übernahme von Regelungen des Strafvollzugsgesetzes zu Problemen und unlogischen Schlussfolgerungen. Was ist mit Besuchszeiten, müssen die inhaftierten Geflüchteten Haftkleidung tragen, werden Post und Telekommunikation überwacht oder können sie sogar Hafturlaub nehmen? Wir haben diese Frage im Innenausschuss angesprochen, hier hätten sie, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Koalition, in ihrem Sinne nachbessern müssen.

Wie wohl sie mit ihren Änderungsantrag richtige Punkte aufnehmen, wie die Klarstellung der dienstrechtlichen Stellung der Vollzugsbeamten und die Harmonisierung des Umgangs mit Familien, Kindern und Schutzbedürftigen mit EU-Vorgaben, lassen sie eine Menge an zentralen Punkten offen: Wie steht es um soziale Betreuung, psychosoziale Begleitung, psychotherapeutische Behandlung, um Zugänge für Beratungsstellen, SeelsorgerInnen, RechtsanwältInnen oder FreundInnen der Inhaftierten? Wie wird das Kindeswohl garantiert, wenn Minderjährige inhaftiert werden? Wird das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes für die Inhaftierten garantiert? – In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Ausreisegewahrsam nach derzeitiger Rechtslage auf vier Tage begrenzt ist, der Bundesinnenminister aber mittlerweile eine Erhöhung auf 10 Tage anstrebt – allein das zeigt was das Papier wert ist auf dem Gesetze in diesen Zeiten geschrieben werden. Ob so oder so: In dieser äußerst kurzen Frist muss gewährleistet werden, dass die Betroffenen rechtlich gegen die Haftanordnung vorgehen können. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund zu betonen, dass in der Vergangenheit – ich erwähnte es bereits – ein großer Teil der Haftanordnungen für die Abschiebungshaft fehlerhaft waren!

Wir wissen auch, dass der Ausreisegewahrsam nur ein Interim ist. Der Freistaat plant mittelfristig eine echte Abschiebehafteinrichtung, wo dann auch der Ausreisegewahrsam vollzogen werden soll. Schaut man sich die recht geringen Zahlen von Abschiebehäftlingen der letzten drei Jahre an, ist es sicher nicht weit her geholt, zu unterstellen, dass die Zahl der Inhaftierung von Geflüchteten zum Zwecke der Abschiebung gesteigert werden soll. Wenn die Ausländerbehörden erst die so greifbar werdenden Möglichkeiten haben, Ausreisegewahrsam und Abschiebungshaft zu beantragen, dann werden sie schneller dazu greifen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD: gerade ihre Zustimmung zum Gesetz bedauern wir außerordentlich. Vor wenigen Jahren waren es SPD-regierte oder mitregierte Bundesländer wie Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Baden-Württemberg, die die Abschiebehaft gänzlich abschaffen wollten. Denn: Dieses Instrument ist nicht zwingend. Schlussendlich hat die SPD im Bund und nun auch den Ländern allerdings mitgeholfen Inhaftierungen mit noch geringeren Hürden vorzunehmen.

Besinnen doch zumindest sie sich auf ein zentrales Erlebnis der Innenausschuss-Reise in der letzten Woche: Migration und Flucht nicht als Problem zu sehen und MigrantInnen und Flüchtende nicht als Belastung, sondern menschenrechtliche Aspekte in den Vordergrund zu stellen, das ist die Philosophie des Bürgermeisters von Palermo, Leoluca Orlando. In der von ihm publizierten Charta von Palermo, die er der Delegation des Landtags eindrücklich vorstellte, heißt es:

„Es ist notwendig, den Ansatz zu ändern, in dem Sinn, dass das „Problem Migration“ dem Recht auf Freizügigkeit Platz macht. Kein Mensch hat den Ort, an dem er geboren wird, ausgesucht oder sucht diesen aus; jeder Mensch hat den Anspruch darauf, den Ort, an dem er leben, besser leben und nicht sterben möchte, frei zu wählen.“  Das Aufenthaltsrecht, so Orlando, sei moderne Sklaverei.

Wenn wir uns nur ein Fünkchen dieser doch radikal anderen Sichtweise des Bürgermeisters Orlando zu Herzen nehmen, kann das nur heißen, dass das Begehr zur Errichtung eines Abschiebeknastes mit dem euphemistischen Namen „Ausreisegewahrsam“ heute zurückzuweisen ist. Ich wiederhole mich gern: Wir lehnen den Gesetzesentwurf ab.

 

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