Die Türkei ist in Syrien einmarschiert – und wir alle sagen Nein

Am 9. Oktober hat die Türkei ihre Militäroffensive in Nordsyrien begonnen. Gleichzeitig erscheint dieser Offene Brief, den ich mitunterzeichnet habe: #wirallesagennein

Die USA haben damit begonnen, ihre Streitkräfte von der nordsyrischen Grenze abzuziehen und lassen ihre kurdischen Verbündeten im Kampf gegen den “Islamischen Staat” (IS) im Stich. Eine türkische Militäroffensive steht ihnen nun unmittelbar bevor. Ein Einmarsch der Türkei in Syrien wäre nicht nur völkerrechtswidrig, sondern ein Rückschritt im weltweiten Kampf gegen den IS-Terror und der Anfang einer weiteren humanitären Katastrophe für Millionen von Menschen.

Bereits zweimal, August 2016 und Januar 2018, ist die Türkei im Norden Syriens einmarschiert. Die türkische Armee und verbündete islamistische Einheiten marschierten in der Stadt Afrîn in dem Rojava genannten kurdischen Siedlungsgebiet Nordsyriens ein und läuteten damit eine humanitäre Katastrophe ein. Dabei wurden bis zu 200.000 Menschen vertrieben. Die Medien berichteten von massiven Plünderungen, Verschleppungen und Folter. Zusätzlich kam es zu einer ethnischen und religiösen “Säuberung”. Islamistische Einheiten kontrollieren seitdem die Region und setzen ihre extreme Auslegung der Scharia durch. So werden seither religiöse Minderheiten verfolgt, Frauen massiv unterdrückt und Kurdisch als Unterrichtssprache aus den Schulen verbannt.

In einem Statement aus dem Weißen Haus am Sonntag, dem 06. Oktober 2019, heißt es nun, das US-Militär werde die geplante türkische Militäroffensive “weder unterstützen noch darin involviert sein”. Ein “zweites Afrîn” droht. Denn in dem Grenzgebiet leben vier Millionen Menschen, darunter viele religiöse, sowie ethnische Minderheiten. In diesem Gebiet will die Türkei nun zwei Millionen arabische Muslime strategisch ansiedeln, was ohne die Vertreibung von Kurden und anderer Minderheiten wie der Ezîden, christlichen Assyrer und Armenier, nicht möglich sein wird.

Eine neue Flüchtlingsbewegung steht damit bevor.

Darüber hinaus droht auch eine Wiedererstarkung des IS. Denn bei einer türkischen Militäroffensive werden die kurdischen Einheiten, die davor damit beschäftigt waren, den IS in jenem Grenzgebiet zurückzudrängen, notgedrungen abziehen und sich verteidigen müssen. Das könnte zur Folge haben, dass der IS jene Gebiete zurückgewinnt und den jahrelangen Kampf gegen den Terror um weitere Jahre und Menschenleben zurückwirft.

Wenn die Bundesregierung und die Europäische Union weiterhin auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan setzen, nehmen sie Islamisten und somit die weitere Destabilisierung des Nahen Ostens in Kauf.

#wirallesagennein

Daher fordern wir:

  1. einen Rückzug der türkischen Armee aus Syrien
  2. einen sofortigen Exportstopp für Kriegswaffen in die Türkei
  3. eine friedliche diplomatische Lösung des Krieges in Syrien und somit die Bekämpfung von Fluchtursachen

Es wird Zeit für eine ernste, effektive Friedenspolitik.

Erstunterzeichner*innen:

Ronya Othmann, Autorin und Journalistin
Sham Jaff, Journalistin und Gründerin, what happened last week
Cem Özdemir, Bundestagsabgeordneter, Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Volker Beck , Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien CERES, Ruhr-Universität Bochum
Sibylle Berg, Autorin
Margarete Stokowski, Autorin
Josef Haslinger, Autor und Professor am Deutschen Literaturinstitut Leipzig
Jakob Augstein, Journalist
Bov Bjerg, Autor
Heike Geißler, Autorin
Jörg Sadrozinski, Journalist
Mario Sixtus, Autor
Hengameh Yaghoobifarah, Journalist_in
Cemile Sahin, Künstlerin
Berivan Aymaz, Landtagsabgeordnete, NRW Bündnis90/DIE GRÜNEN
Sibel Schick, Autorin und Journalistin
Sharon Dodua Otoo, Autorin
Anne Wizorek, Beraterin für digitale Strategien und Autorin
Ali Ertan Toprak, Bundesvorsitzender Kurdische Gemeinde Deutschland (KGD) und Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland (BAGIV)
Georg Diez, Autor
Niema Mouvasat, Bundestagsabgeordneter, DIE LINKE
Bettina Wilpert, Autorin
Jörg Sundermeier, Verleger, Verbrecher Verlag
Felix Dachsel, Journalist
Maja Weber, Journalistin
Widad Nabi, Autorin
Ebru Düzgün, Rapperin Ebow
Lene Albrecht, Autorin
Tengezar Marînî, Dichter und Übersetzer
Anetta Kahane, Vorsitzende, Amadeu Antonio Stiftung
Julia Schramm, Autorin und Politikerin
Musa Okwonga, Schriftsteller
Şeyda Kurt, Journalistin
Leyla Yenirce, Künstlerin
Ali Can, Aktivist, Initiator #metwo
Nicole Schöndorfer, Journalistin
Soleen Yusef, Filmregisseurin
Jörg Sundermeier, Verleger
Daniél Kretschmar, Journalist
Ricarda Lang, Politikerin und Grüne-Jugend-Sprecherin (Bündnis 90/DIE GRÜNEN)
Daniel Schulz, Journalist
Helene Bukowski, Autorin
Magda Albrecht, Autorin und politische Referentin
Nhi Le, Journalistin, Speakerin, Moderatorin
Amina Aziz, Journalistin
Rea Mahrous, Redakteurin
Bettina Wilpert, Schriftstellerin
Anna Aridzanjan, Journalistin
Leander Wattig, Publisher und Community-Konzepter
Lea Schneider, Lyrikerin und Übersetzerin
Sandra Burkhard, Lyrikerin
Malcolm Ohanwe, Journalist
Nikola Richter, Verlegerin mikrotext
Christiane Frohmann, Autorin und Verlegerin
Patrice G. Poutrus, Zeithistoriker und Migrationsforscher
Jacqueline Aslan, Künstlerin
Verena Dengler, Künstlerin
Juliane Nagel, Mitglied des Sächsischen Landtages, DIE LINKE
Fabian Bechtle, Künstler, Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst
Leon Kahane, Künstler, Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst
Tristan Marquardt, Autor
Fabian Wolff, Journalist
Nils Markwardt, Journalist
Mehmet Tanrıverdi, stellv. Vorsitzender, Kurdische Gemeinde Deutschland
Ines Kappert, Mitgründer Baynatna, The Arabic Library
Leila Essa, Literaturwissenschaftlerin, King’s College London
Svenja Gräfen, Schriftstellerin
Candice Breitz, Künstlerin
Jan Jessen, Journalist
Nikolas Lelle, Sozialphilosoph
Anne Roth, Politologin und Referentin für Netzpolitik
Enno Lenze, Journalist
Robin Detje, Autor
Kerem Schamberger, Kommunikationswissenschaftler
Thomas Schmidinger, Politikwissenschaftler
CHAOZE ONE, Rapper
Luna Ali, Autorin
Doris Akrap, Journalistin
Christian Schmacht, Autor und Sexarbeiter
Alexandru Bulucz, Lyriker
Emily Dische-Becker, Journalistin
Hakan Akay, Direktor Deutsch-Kurdisches  Kulturinstitut
Cansu Özdemir, Politikerin, DIE LINKE
Kaveh Kermanshahi, Aktivist, Kurdistan Human Rights Network
Jan Niggemann, Wissenschaftler
Ferda Berse, Sozialwissenschaftlerin
Beliban zu Stolberg, Autorin
Eser Aktay, Journalist
Arpana Aischa Berndt, Autorin
Dincer Gücyeter, Lyriker und Verleger
Thorsten Buhl, Politiker, DIE LINKE
David Häußler, FICKO Magazin
Osman Altun, Maschinenbauingenieur

2 Gedanken zu „Die Türkei ist in Syrien einmarschiert – und wir alle sagen Nein“

  1. Sehr geehrte Frau Nagel,
    in Anbetracht der Bilder aus Syrien, die uns tagtäglich erreichen, vor allem von schwer verletzten und getöteten Kindern, bin ich tief schockiert über die allgemeine Untätigkeit und Ignoranz in unserer Bevölkerung. Insbesondere auf der Seite der Linken von Leipzig vermisse ich ein klares Statement und konkrete Schritte. Aus meiner Sicht wäre das Mindeste eine Unterstützung der Kundgebungen und Demonstrationen, die seit dem 9. Oktober mehrfach vor dem Hauptbahnhof stattgefunden haben. Vielleicht habe ich in den Sozialen Netzwerken etwas übersehen, dann bitte ich um Entschuldigung. Allerdings ist es in Leipzig mehr als ruhig, obwohl vor unseren Augen ein Völkermord an den Kurden mit deutscher Unterstützung stattfindet. Bitte erklären Sie Ihre Solidarität mit Rojava und rufen Sie Ihre Parteifreunde und Unterstützer zu einer Beteiligung an den Protesten auf. Welche konkreten Schritte von der Linken in Leipzig können für eine Beendigung des Krieges erwartet werden? Jeder Tag zählt. Mit jedem neuen Tag gibt es weitere Tote. Wir dürfen nicht wegsehen. Dieser Völkermord ist eine Form des Faschismus mit deutscher Beteiligung. Wir müssen uns klar bekennen und das erwarte ich bin einer Partei wie der Linken. Bitte handeln Sie. Auch für morgen ist in Leipzig wieder eine Demo angemeldet. Mit freundlichen Grüssen Mira Schubert

  2. Liebe Frau Schubert. Ich bin ganz bei ihnen! Ich habe an zwei Kundgebungen bzw Demos teilgenommen, habe dort aber keine Mitglieder meiner Partei gesehen, bzw kaum. Ich denke ein Problem ist aber auch die schlechte Bewerbung der Veranstaltungen. Wenn sich die Organisator*innen nicht bei uns Technik ausgeliehen hätten, wüsste ich nicht, dass es morgen eine Demo gibt. Also: Gern die Ankündigungen an mich und an vorstand@die-linke-in-leipzig.de senden, dann wird es auch beworben!
    In der politischen Einschätzung bin ich ganz bei ihnen. Und ich sage klar: DIE LINKE steht an der Seite des Kurd*innen, setzt sich für Selbstverwaltung der von ihnen bewohnten Gebiete ein, und ist für einen Waffenlieferstopp und Sanktionen gegen die Türkei sowie ein Engagement der UNO gegen diesen völkerrechtswidrigen Krieg.
    Bis morgen!

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