Der öffentliche Raum gehört allen: Probleme am Hauptbahnhof kommunikativ & sozial lösen

Am 18. April 2018 wurde in der Ratsversammlung der Antrag der Linksfraktion zur Einrichtung eines Runden Tisches zur Situation am Hauptbahnhof diskutiert und abgelehnt. Der Antrag beinhaltete auch die Forderung nach Rücknahme einer Vereinbarung zwischen Stadt und Bahn zur Übertragung der Außenbereiche des Hauptbahnhofes an die Bahn. Meine Rede zur Einbringung:

Die Situation um den Leipziger Hauptbahnhof ist nicht zufriedenstellend. Auf diese Formel können sich sicherlich viele Menschen in diesem Saal einigen. Allein die Frage der Lösungsansätze – da dürften die Meinungen auseinandergehen.

Seit Frühjahr letzten Jahres hat sich ganz augenscheinlich die Präsenz von bettelnden, Alkohol konsumierenden Menschen vor allem um die Eingänge an West- und Ostseite erhöht. Viele dieser Menschen sind ganz eindeutig arm, viele von ihnen mutmaßlich wohnungslos. Für sie ist der öffentliche Raum der Ersatz für die Wohnung, die sie nicht haben, der Hauptbahnhof ein zentraler Ort, an dem sie soziale Kontakte pflegen und sich im Winter auch aufwärmen können, und natürlich auch eine Art Einkommensquelle. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite sind: Lärm, empfundene Belästigung durch Betteln oder alkoholisierte Personen oder gar die Präsenz von armen Menschen selbst, oder Geruchsbelästigung durch Urinieren im öffentlichen Raum.

Hinzu kommen dann noch die Interessenlagen der Betreiberin der Hauptbahnhof- Promenaden, der ECE GmbH, den Hauptbahnhof als sauberen Einkaufstempel zu präsentieren, und von den staatlichen Ordnungskräften für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.

Im Mai letzten Jahres folgte sodann die erste Intervention von Stadt und Centermanagement. Seitdem werden die Vorplätze an West- und Osthalle mit lauter Musik beschallt. Was vom ECE-Chef in der Öffentlichkeit noch als Unterstreichung der Bedeutung Leipzigs als Musikstadt präsentiert wurde, ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein subtiles Mittel um die dort sich aufhaltenden Menschen zu vertreiben oder in den Worten der Verwaltung „Die Aufenthaltsqualität zu verbessern“.
Im Sommer wurde seitens des Ordnungsbürgermeisters gegenüber der Presse verlautbart, dass der Bereich vor dem Hauptbahnhof, für den bisher die Stadt verantwortlich zeichnet, an die Hauptbahnhof-Promenaden übertragen werden soll. Dass dies eine Reaktion auf die zunehmenden Beschwerden über die Situation am Bahnhof ist, bestätigte eine leitende Mitarbeiterin des Ordnungsamtes im Stadtbezirksbeirat Mitte.

Während die Musik vor dem Bahnhof weiter munter schallt, und mit steigenden Temperaturen nun die Zahl der dort aufhältigen Personen wieder steigen dürfte, liegt uns nun eine Vereinbarung zwischen Bahn und Stadtverwaltung vor, mit der die Übertragung der überdachten Außenflächen des Hauptbahnhofs vollzogen werden soll. Dies bedeutet, dass die DB nicht nur für Verkehrssicherungspflichten verantwortlich zeichnet, sondern bedeutet auch, dass in diesen Bereichen an den Seiteneingängen, an West- und Osthalle sowie im mittleren Bereich dann die Hausordnung der DB gelten wird. Und diese ist um einiges restriktiver gestaltet als die städtische Polizeiverordnung. So ist bereits „Betteln“ verboten, genau wie das „Durchsuchen von Abfallbehältern“, „Sitzen und Liegen auf dem Boden“, „übermäßiger Alkoholkonsum“ oder aber das „laute Abspielen von Tonträgern“. Letzteres entbehrt angesichts der Dauerbeschallung durch ECE nicht eines gewissen Witzes. Diese Regularien werden handfeste Konsequenzen haben, für die Menschen, die sich dort aufhalten. Denn: Nun werden private Sicherheitsleute die strengeren Regeln des Bahnhofs exekutieren.

Wir nennen das eine faktische Privatisierung öffentlichen Raums und öffentlicher Aufgaben. Zurecht wurde im Stadtbezirksbeirat Mitte gefragt ob dies nicht eine Kapitulation der öffentlichen Hand ist, die an vielen anderen Stellen genauso drohen könnte.

Weil wir einerseits meinen, dass die öffentliche Hand in der Pflicht ist und andererseits meinen, dass die Lösung nicht in einer restriktiven Ordnungspolitik liegen kann, beantragen wir hier die Einrichtung eines temporären Runden Tisches. Viele von ihnen werden erwidern, dass dies ein zahnloser Tiger, ein weiteres Labergremium ist. Aber: der Verwaltungsstandpunkt zeigt uns sehr gut, dass es keine Taskforce gibt, an denen die verschiedenen Beteiligten, die zur Problemlösung nötig wären, an einem Tisch sitzen. Die AG Innenstadt, die unserem Anliegen am nächsten kommt, tagt ohne die sozialen Akteure aus dem Bereich der Streetwork, Wohnungslosen- oder Drogenhilfe. Von einem Runden Tisch, der sich aus VertreterInnen des Hauptbahnhofes, der Ordnungsbehörden und sozialen Arbeit zusammensetzen soll, erwarten wir die Entwicklung von Ideen, die dem Charakter des öffentlichen Raums als dauerhafte Zone der widerstrebenden Interessen, als Zone permanenter Nutzungskonflikte gerecht werden soll. Klar muss dabei sein: Es darf nicht um die Verdrängung von Menschen mit Problemlagen gehen, es darf nicht um die Exekution eines einseitigen Verständnisses von Ordnung und Sicherheit gehen, wie es bisher der Fall scheint.

Auch darum halten wir die Übertragung der Außenflächen des Bahnhofs an die DB für einen falschen Schritt und beantragen die entsprechende Vereinbarung zurückzunehmen. Sie ist kein Muss, wie es die Stadtverwaltung durchscheinen lässt.

Dem wichtigen Anspruch, dass der öffentliche Raum allen gehört, ist in der Praxis nicht einfach zu realisieren. Dabei darf aber nicht aus den Augen verloren werden, dass Menschen verschiedene Ansprüche, Bedürfnisse Ressourcen und Zwänge haben. Eine Verweisung von bestimmten Menschengruppen aus Teilen des öffentlichen Raums oder mehr noch: die faktische Privatisierung öffentlichen Raums ist der falsche Weg. Ich bitte um Zustimmung zum Antrag.

Der Antrag wurde mit 26:39 Stimmen abgelehnt.

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