Der Aufstieg der „Alternative für Deutschland“ – eine Herausforderung für linke Politik

Als rasant müssen Start und Aufstieg der „Alternative für Deutschland“ bezeichnet werden. Aber: wofür steht die AfD und was folgt daraus für eine linke und LINKE politische Praxis?

 

Im Februar 2013 gegründet, konnte die junge Partei bei der Bundestagswahl im September 2013 aus dem Stand und mit Unterstützung konservativer Leitmedien 4,8 % erringen. Bei den Europawahlen waren es 7,1 %. Die besten Stimmanteile generierte die Partei in Sachsen: 6,8 % bei der Bundestagswahl und sogar 10,1 % bei den Europawahlen. Mit sieben Abgeordneten ist die Partei nun im Europaparlament und mit 81 von bundesweit 485 Mandaten nun auch Sachsens Kommunalparlamenten vertreten. Auch der Einzug in den Sächsischen Landtag im August 2014 scheint ausgemachte Sache.

Aber: wofür steht die AfD und was folgt daraus für unsere politische Praxis?

„Familienpolitik, Zuwanderungspolitik und Europapolitik sind große und wichtige Themenfelder für die Zukunft unseres Landes.“, so Bernd Lucke, VWL-Professor und einer der drei Parteisprecher.

Längst ist es vorbei mit dem „Ein-Punkt-Profil“ als euroskeptische Partei. Fundamentale Positionen gegen EU-Währungsunion oder Euro-Rettungs-Maßnahmen wurden zudem mit den Programmatischen Leitlinien(vorgelegt auf dem Bundesparteitag im März 2014 und bereits Ende April 2014 per Mitgliederentscheid angenommen) abgeschwächt. Im Europaparlament wurde die Partei mittlerweile Mitglied in der gemäßigt europaskeptischen Fraktion der Konservativen und Reformisten unter dem britischen Premierminister David Cameron aufgenommen.

Mit der Verbreitung ihres Themenspektrums werden auch die politischen Spektren, aus denen sich die Partei speist, sichtbar: eine Melange aus marktradikalen Ökonomen und wert-bzw. christlich-konservativen Fundis, die die Gegnerschaft zum Euro und die Stärkung des Nationalstaates gegen die Einflüsse der EU eint.Dabei radikalisiert die AfD konservative und neoliberale Ansätze, die die CDU vorsichtiger formuliert, abgeschwächt oder ganz verworfen hat.

Blickt man auf die AfD-Positionierung zu Zuwanderung, die sich unter dem Slogan „Keine Einwanderung in die Sozialsysteme“ subsumieren lässt, erinnert man sich stark an die von der CSU zum Jahreswechsel 2013/14 aufgemachte Debatte um die Freizügigkeit für Menschen aus Rumänien und Bulgarien und den damit vermeintlich verknüpften Sozialleistungsbetrug. Die AfD holt weiter aus: EU-BürgerInnen, die hierzulande keine Steuern gezahlt haben, sollen kein Recht auf Sozialleistungen haben. Wer den eigenen Lebensunterhalt nicht sichern kann, soll zurück in sein Herkunftsland. Diese Linie stellt die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union infrage. In Sachen Asyl zieht die AfD sich auf die herrschende Gesetzlichkeit, das seit 1993 faktisch nicht mehr existierende Grundrecht auf Asyl, zurückzuziehen. Fast. Die auf diesem „Asylkompromiss“ basierenden minimalen Anerkennungsquoten für geflüchtete Menschen und die Führungsrolle Sachsen bei Abschiebungen überzeugen die Nationalkonservativen nicht: es müsse Schluss sein mit der laxen Auslegung des Asylrechts, so steht es im Landtagswahlprogramm geschrieben. Erinnert sei daran, dass auch die CDU-SPD-Regierung derzeit an einer weiteren Schwächung des Asylrechts arbeitet.
Sozialpolitisch spielt die AfD mit Rekurs auf Thilo Sarrazin mit dem Feuer. Die Schuld an Armutslagen wird individualisiert, die Reichen sollen durch Senkung der Einkommenssteuer entlastet werden. Jenseits der offiziellen Programmatik sinnieren führende Protagonisten der Partei wie Sprecher Konrad Adam über den Entzug des Wahlrechtes für Angehörige der „Unterschicht“.
Auch in der Bildungs- und Familienpolitik folgt die AfD dem Ansatz Starke und Leistungsfähige zu fördern und Benachteiligte sich selbst zu überlassen. Das dreigliedrige Schulsystem soll erhalten bleiben und der Zugang zu Hochschulen erschwert werden. Der Rechtsanspruch auf eine flächendeckende Kita-Betreuung soll zugunsten der familiären und privaten Kinderbetreuung unterminiert werden. Solche Vorschläge folgen aus den reaktionären Vorstellung von Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ (Bernd Lucke). Durch diverse Anreize will die AfD die traditionelle Ehe zwischen Mann und Frau stärken und das Kinderkriegen befördern. Selbstverständlich geht es auch hier um Kinder von leistungsfähigen Schichten. Unter Bezugnahme auf den so genannten Schreiber Plan fordert die AfD in ihrem Landtagswahlprogramm für Sachsen die Einführung einer Kinder- und Jugendrente. Der Wirtschaftstheoretiker Wilfried Schreiber schlug dieses Modell 1957 unter Konrad Adenauer als Element der „Bevölkerungspolitik“ vor. Die Höhe dieser Rente nach dem Einkommen der Eltern. Gutverdienende werden begünstigt.

Ähnlich Gruseliges verbirgt sich hinter den Forderungen nach Volksentscheiden über Moschee-Bauten oder nach der Direktwahl von Bundespräsident*in, Bundeskanzler*in oder Ministerpräsident*innen. Hierbei geht es nicht um die Maximierung demokratischer Spielräume für alle. In Wirklichkeit geht es der AfD um die Schwächung der parlamentarischen Strukturen und von Minderheitenrechten. Niemand anderes als der jüngst auf dem AfD-Ticket ins Europaparlament eingezogene Hans-Olaf Henkel, ehemals Chef des Bundes der Industrie, schlägt schon seit vielen Jahren die Einführung des Mehrheitswahlrechtes und die Direktwahl von Führungspositionen vor. Sein erklärtes Ziel ist es damit Linksbündnisse zu verhindern und den neoliberalen Umbau von Verwaltungen durch gestärkte Führungsfiguren zu erleichtern.

Dieser kurze Exkurs in die Programmatik der Alternative für Deutschland dürfte verdeutlichen, dass die Partei sich nicht nur klar gegen die Prinzipien einer solidarischen, gerechten und offenen Gesellschaft richtet, sie öffnet darüber hinaus den Raum für Vorschläge, die zum Teil bis dato gesellschaftlich geächtet sind. Kritik an Formulierungen wie „Entartung der Demokratie“ (Bernd Lucke), „Bevölkerungspolitik“ (Frauke Petry) oder Slogans wie „Selbstjustiz ist die neue Polizei“ (Junge Alternative) goutiert die Partei als „Gesinnungswächterei“ oder „Einschüchterung Andersdenkender“. Der Tabubruch ist bei der AfD Programm und verfolgt eine klare Strategie: das gesellschaftliche Klima für den Abbau des Sozialstaates und der Demokratie zu bereiten.

Im Leipziger Stadtrat und wohl möglich im Sächsischen Landtag werden auch wir als LINKE im Zukunft mit den Protagonist*innen der AfD zu tun haben müssen. Aufgrund mangelnder Praxiserfahrungen ist es schwer möglich vorgefertigte Strategien für den Umgang mit diesem neuen politischen Akteur vorzuschlagen.

Fakt ist: die Alternative für Deutschland ist mit der NPD nicht auf eine Stufe zu stellen. Darum scheint eine Strategie der Ausgrenzung, wie sie bei der NPD praktiziert wurde, ungeeignet. Klar ist, dass wir Widerspruch formulieren und inhaltliche Abgrenzung demonstrieren müssen. Auch Achtungszeichen, wie das Verlassen von Podiumsveranstaltungen sind angebracht, wenn Aussagen der AfD humanistische und demokratische Grundwerte verletzen.

Wird es der AfD gelingen ihre großen Themenlinien auch auf die kommunale Ebene zu „übersetzen“? Wird es der Partei- Führungselite gelingen die heterogene Basis aus gut situierten Unternehmer*Innen, Stammtischklientel, wirtschaftsliberalen, ultrakonservativen bis hin zu extrem rechten Akteuren unter einem Hut und vor allem im Zaum zu halten? Wird die Strategie die CDU weiter nach rechts zu rücken aufgehen?

Diese Fragen dürften in der Praxis und auch für die langfristige Etablierung der AfD entscheidend sein.

Juni 2014, erschienen in Parteizeitungen der sächsischen LINKEN

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