Die Tageszeitung junge welt interviewte mich zum Zustand der Versammlungsfreiheit in Sachsen. Anlass war das Verbot von linken Demonstrationen am 23. Oktober 2021 in Leipzig und den verstärkten Einsatz von Hubschraubern bei Versammlungen.
Es gab am vergangenen Wochenende viel Kritik am Verbot von drei Demonstrationen durch die Stadt Leipzig, das vom dortigen Verwaltungsgericht Leipzig bestätigt worden war. Ist die Justiz parteiisch, wenn es gegen links geht?
In diesem Fall würde ich das Problem nicht zuerst an der Justiz festmachen. Ich sehe die Schuld hier ganz klar bei der Polizei und beim sächsischen Innenministerium, die politisch motiviert diese Versammlungen verhindern wollten. Polizei und Verfassungsschutz haben eine Gefahrenprognose erstellt, in der offenbar viele Indizien zusammengetragen wurden, die einen gewalttätigen Verlauf der Demos nahelegten. Die Absicht war ganz klar, eine Situation herbeizuführen, in der dem Ordnungsamt der Stadt nichts anderes übrigbleibt, als die Versammlungen zu untersagen.
Offenbar befürchtete die Polizei, dass es zu Ausschreitungen kommt wie bei der »Wir sind Linx!«-Demonstration am 18. September.
Ja. Damals hatte es so gut wie keine Polizeipräsenz gegeben. Die Lage ist
damals eskaliert. Ich halte das jetzige Vorgehen für eine Revanche für den
18. September. Ich habe zu den Demoverboten eine Anfrage im Landtag
vorgelegt, die vermutlich nicht direkt beantwortet werden wird. Wahrscheinlicher ist, dass man uns im Parlamentarischen Kontrollgremium die geheime Gefahrenprognose vorlegen wird.
Am vergangenen Wochenende haben mehr als 2.000 Beamte aus mehreren Bundesländern und von der Bundespolizei die Stadt teil weise abgeriegelt. Wie bewerten Sie diesen Einsatz?
Was wir jetzt in Leipzig erlebt haben, war unverhältnismäßig. Es war eine
große, einschüchternd wirkende Polizeipräsenz. Mit der Einrichtung einer
weiträumigen Zone als Kontrollgebiet, in dem jeder und jede verdachtsunabhängig kontrolliert werden durfte, wurde in Grundrechte eingegriffen. So sind Teilnehmer einer genehmigten Gedenkkundgebung für einen erstochenen Geflüchteten bei Zu- und Abgang kontrolliert worden. Das ist eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit, denn schon der Weg zu einer Versammlung ist geschützt.
Sie haben im Landtag eine Anfrage zu Polizeieinsätzen mit Hubschraubern gestellt, die vor kurzem beantwortet wurde. Welchen Hintergrund hat die?
Im vergangenen Jahr gab es in der Stadt intensive Diskussionen quer durch alle Spektren der Bevölkerung wegen einer hohen Belastung durch solche Einsätze. Auch nachts und im Sommer kam es da zu Belästigungen. Vor diesem Hintergrund wollten wir wissen, ob die Kritik gefruchtet hat. Dabei kam heraus, dass die Zahl von Hubschraubereinsätzen zwar insgesamt in den vergangenen Jahren zurückging, aber nicht bei Versammlungen. In 19 Fällen an 13 Tagen im ersten Halbjahr 2021 überwachte die sächsische Polizei Versammlungslagen über viele Stunden hinweg aus der Luft. Das betrifft auch Demonstrationen. Für Kritik sorgte zum Beispiel im Februar, dass die Gedenkkundgebungen zum Jahrestag des Anschlags von Hanau die ganze Zeit von Hubschraubern begleitet wurden – die Zivilgesellschaft gedenkt der Opfer rassistischer Morde, und die Polizei überwacht das aus der Luft. Viele waren fassungslos.
Beim G20-Gipfel in Hamburg im Sommer 2017 litten die Bewohner der Innenstadt tagelang unter Polizeihubschraubern. Müsste man nicht auch daran denken, unbescholtene Menschen vor solch einer Lärmbelästigung zu schützen?
Ja, sicher. Und man darf auch nicht vergessen, dass die Hubschrauber jede a, sicher. Und man darf auch nicht vergessen, dass die Hubschrauber jede
Menge Überwachungstechnik mit sich führen, hochauflösende Kameras zum Beispiel. Von denen weiß man nie genau, was sie gerade filmen. Meine Anfrage hat allerdings ergeben, dass sich die Lage hier insgesamt verbessert hat. Kritische Nachfragen, Beschwerden und die Selbstorganisation von Bewohnern besonders betroffener Stadtteile hatten offensichtlich Erfolg. Nun sollte sich der Trend fortsetzen und die grundlose Luftüberwachung friedlicher Versammlungen unterbleiben. Dies erhöht das Verständnis der Bevölkerung für wirklich nötige Einsätze und schont Gesundheit, Umwelt und Staatshaushalt.
Interview: Kristian Stemmler, jw 29.2021