Besuch in Mockau III – Zehn Zelte, 270 Menschen

Am Dienstag, dem 11. Januar 2022, besuchten wir das Erstaufnahmelager Mockau III in Leipzig. Zu dem Zeitpunkt mussten 277 Menschen dort leben. Die Gesamtkapazität genügt für bis zu 500 Personen. Zehn Zelte, die „Leichtbauhallen“ genannt werden, sind für das Schlafen vorgesehen, weitere Zelte beziehungsweise Container dienen der sozialarbeiterischen Beratung, der Freizeitgestaltung, der Verwaltung wie der medizinischen Versorgung. Als wir das Lager gemeinsam mit Vertreter:innen der Landesdirektion, Johannitern als Betreiber der Einrichtung und Mitarbeiter:innen der Securitas Sicherheitsdienst GmbH & Co KG als dort tätigen Security-Unternehmen betreten, stehen die Bewohner:innen gerade in einer langen Schlange. Die wöchentliche „Taschengeld“-Ausgabe findet gerade statt. Eine politischer Bericht:

 
Mockau III ist eine Aufnahmeeinrichtung des Freistaats Sachsen, in Betrieb genommen durch die Johanniter im Frühjahr 2020 zu Beginn der Corona-Pandemie, gelegen in einer Art waste land im Norden von Leipzig, nahe des Neuen Messegeländes. Ursprünglich wurden hier neu ankommende Schutzsuchende zunächst in Quarantäne untergebracht. Inzwischen ist das Lager an den regulären Betrieb der mittlerweile zwölf sächsischen Aufnahmeeinrichtungen angeschlossen. Sofern Quarantäne nötig wird, wird diese in separaten Isolationsbereichen der jeweiligen Aufnahmeeinrichtung vollzogen. Mockau II übrigens, direkt gegenüber von Mockau III, wurde entgegen ursprünglicher Berichte bisher nicht in Betrieb genommen, ist allerdings auf Stand by. Bis zu 1.000 Menschen sollen hier unterkommen. Eine grausame Vorstellung: 1500 Menschen faktisch gefangen im grauen Nirgendwo.
 
Bis zu 4.520 Menschen kann Sachsen derzeit in seinen Lagern unterbringen. Mockau III sticht neben der Bremer Straße in Dresden besonders hervor, denn: beide Lager bestehen aus Zelten, wobei Leichtbauhallen der Begriff ist, den die Landesdirektion bevorzugt. Bereits im November 2021 hatten wir diese Form der Unterbringung als unmenschlich kritisiert [https://jule.linxxnet.de/bald-drei-zeltlager-fuer-gefluechtete-in-sachsen-das-ist-unnoetig-und-unmenschlich-17-11-2021/]. Die Parzellen innerhalb der großen, hallenartigen Zelte sind nach oben hin offen. Die Lautstärke ist ein Problem, berichten Bewohner:innen beider Camps immer wieder. Corona jedoch scheint, so die Landesdirektion, keine Gefährdung in den offenen Hallen darzustellen.
 
Begleitet wurden wir von je eine:r Vertreter:in des Sächsischen Flüchtlingsrats e.V. wie des RosaLinde e.V. Beide Vereine hatten im November 2021 schwere Vorwürfe gegen die Landesdirektion erhoben und die Unterbringungsbedingen kritisiert [https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/2021/11/10/gefluechtete-beenden-hungerstreik-erstaufnahmeeinrichtung-in-mockau-untauglich-besondere-gefaehrdung-fuer-lsbtiaq-refugees/]. Unter anderem seien vulnerable Personen wie LGBTIQ*-Personen dort gefährdet.
 
Ein Problem seien unter anderem die nicht verschließbaren Sanitäranlagen, Toiletten- und Schlafräume. Ein grundlegendes Problem in vielen Camps, wenngleich es Lösungen gibt, zum Beispiel ein Riegel von innen. Tatsächlich ist das auch in sächsischen Lagern möglich [siehe Antwort auf Kleine Anfrage zum Thema: https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=7760&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined]. Bei unserem Besuch stellen auch wir fest: verschließbar ist dort noch nichts. An Lösungen wird jedoch gearbeitet, so die Landesdirektion. Die Mühlen der Bürokratie – der Auftraggeber ist formal der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) – mahlen hier scheinbar schon fast zwei Jahre. Unfassbar! Denn es geht um sehr rudimentäre Schutzbedarfe bzw. eher zivilisatorische Standards. Die Menschen bleiben hier auch nicht ein paar Nächte, sondern Wochen und Monate und sind oft in schlechter physischer und psychsischer Verfassung. 
 
Ein weiterer Kritikpunkt waren ausgefallene Heizungen. Gerade in den Wintermonaten in Zelten ein riesiges Problem. Die Vorwürfe wurden durch Landesdirektion und Johanniter relativiert. Ja, es sei dazu gekommen, jedoch auch schnell nach alternativen Unterbringungsmöglichkeiten gesucht worden. Niemand habe nachts frieren müssen. Doch auch die Mitarbeiter:innen leiden weiterhin unter Kälte.
 
Ein Problem ist und bleibt die Beratung. Eine unabhängige Asylverfahrensberatung in den Erstaufnahmelagern findet in Sachsen derzeit überhaupt nicht statt. Schon bei unserem Besuch in Schneeberg im Oktober 2021 konnte festgestellt werden, dass die Landesdirektion das Beratungsangebot des vor Ort tätigen Akteurs Help e.V. bisher nicht annehmen will [https://jule.linxxnet.de/besuch-in-der-erstaufnahmeeinrichtung-in-schneeberg-menschenwuerdige-unterbringung-und-zugang-zu-rechten-28-10-2021/]. Auch in Mockau III wurde das Angebot gemacht, diesmal vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Auch hier verweigert sich die Landesdirektion bisher. Immerhin: uns wurde diesmal zugesagt, dass eine flächendeckende Beratung in allen Aufnahmeeinrichtungen geprüft werde.
 
Hervorheben möchten wir, wie auch beim Besuch in Schneeberg, dass die Betreiber, hier die Johanniter, ihr Bestmögliches tun, um die Bewohner:innen zu schützen und zu unterstützen. Allerdings agieren sie in einem eng abgesteckten, rechtlichen wie finanziellen Rahmen. So kann oftmals nur durch räumliche Trennung von Männern, Frauen und Familien ein Minimum an Gewaltschutz gewährleistet werden. In einer kleinen Kita können Kinder den Tag verbringen, ein Fitnessraum wird in wenigen Tagen in Betrieb genommen, religiöse Menschen können sich in einem Gebetsraum zurückziehen.
 
Auch bei der Landesdirektion möchten wir differenzieren. Auch wenn schleierhaft ist, warum nicht gute Lösungen zum Beispiel für verschließbare Räumlichkeiten gefunden werden – auch dann, wenn Suizidalität und Drogenkonsum als Argument angeführt werden – so ist die Landesdirektion ausführendes Organ. Politisch verantwortlich ist das Innenministerium. Für bessere Unterbringungsbedingungen zu sorgen und die räumlichen und finanziellen Grundlagen bereitzustellen, liegt in dessen Hand. Mehr noch ist dies eine Frage des politischen Willens der gesamten Regierung. Insofern sind ganz klar auch die progressiven Koalitionspartner in die Pflicht, für bessere Aufnahmebedingungen in Sachsen zu sorgen.
 
Abschließend: die Landesdirektion bestätigt uns bei unserem Besuch, dass Menschen, die als LGBTIQ*-Personen identifiziert sind, dort nicht mehr untergebracht werden. Die Kritik der Vereine hatte also Erfolg. Gleichzeitig sind nach wie vor Frauen und Minderjährige in dem Camp. Viel mehr noch ist davon auszugehen- nicht zuletzt auf Grund der Expertise der Bundesarbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) – dass die große Mehrheit auch der alleinreisenden Männer schwer an den Erlebnissen in den Herkunftsländern und auf der Flucht trägt. Traumata und psychische Erkrankungen sind weit verbreitet unter der gesamten Gruppe der Schutzsuchenden. Übrigens: schockierend ist, dass das Innenministerium plant, die vom Sächsischen Landtag freigestellten Mittel für ein Clearingverfahren von besonders schutzbedürftigen Menschen – hierunter zählen auch traumatisierte und psychisch erkrankte Personen – direkt bei den Betreibern ansiedeln will. Absolut kritikwürdig, sind es doch die Psychosozialen Zentren in Dresden, Chemnitz und Leipzig, die sich als hervorragende Träger für dieses wichtige Vorhaben anbieten und über das notwendige Struktur-Wissen verfügen.
 
Mockau III ist trist und grau und dieser Eindruck lag nicht nur am windigen Januarwetter. Der Schluss, den wir daraus ziehen: das Camp muss dichtgemacht werden, kein Mensch soll in Zelten – generell: in Camps –  wohnen müssen. So sehr sich auch die Johanniter mit Hingabe anstrengen werden, menschenwürdig sieht anders aus. Als wir nach zwei Stunden das Camp verlassen, hat sich die Schlange aufgelöst, das Taschengeld ist ausgezahlt.
 
 
Hintergrund
 
Jede:r, der:die einen Asylantrag in Deutschland stellt, wird zunächst verpflichtet, in einer Aufnahmeeinrichtung zu leben. Das schreibt § 47 AsylG vor. Die Länder wiederum sind verpflichtet, diese Aufnahmeeinrichtungen vorzuhalten und die Menschen dort zu unterbringen. Die Zeit in der Aufnahmeeinrichtung endet entweder mit einer Zuweisungsentscheidung in einen Landkreis oder eine kreisfreie Stadt – in Sachsen sind das 13 Möglichkeiten – oder die Abschiebung aus der Einrichtung.
 
Mark Gärtner und Jule Nagel, Januar 2022

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