Drogen- und Suchtpolitik exisitiert immer im Spannungsfeld zwischen dem Hilfe-Ansatz einerseits und dem der Repression andererseits. Die Polizei versucht dieses Spannungsverhältnis mit aller Macht zugunsten der Repression aufzulösen
Seit geraumer Zeit schwelt in Leipzig eine kontroverse Debatte um die Ausrichtung der städtischen Drogen- und Suchtpolitik. Insbesondere der Leipziger Polizeipräsident Horst Wawrzynski wirft der Stadt vor zu viel Geld in Hilfe-Angebote für Süchtige zu investieren und damit ein „Wohlfühlklima“ zu schaffen, das auswärtige Drogen-KonsumentInnen anziehe, was wiederum zu einem Anstieg von Einbruchs- und Raubdelikten in der Stadt führen würde.
Die Äußerungen des Sächsischen Polizeipräsidenten Bernd Merbitz in der Leipziger Volkszeitung vom 14.5.2011 verliehen der Debatte eine neue Schärfe. Merbitz flankiert darin den Leipziger Polizeipräsidenten in seiner Behauptung, die Stadt Leipzig beschreite mit ihrer drogen- und suchtpolitischen Strategie einen falschen Weg und begünstige damit Kriminalität.
Fakt ist, dass es in Leipzig einen Anstieg bei Diebstahl- und Raubstraftaten gibt. Lag die Zahl von Raubüberfällen im Jahr 2010 bei 578 , waren es bis Ende April 2011 244 , was eine Steigerung um ca. 27 % bedeuten würde. Die Zahl von Einbrüchen, die im Gegensatz zu Raubstraftaten Eigentumsdelikte sind, liegt um einiges höher. Der Anstieg der Straftaten ist bedenklich und erfordert engagiertes polizeiliches Handeln, wofür sich die Polizei der vollsten Unterstützung der Linksfraktion im Stadtrat zu Leipzig sicher sein kann. Panik- und Angstmache sowie die Stigmatisierung von DrogenkonsumentInnen, wie sie der Leipziger Chef der Polizei mit Unterstützung des Landespolizeipräsidenten derzeit betreibt, ist dagegen nicht zielführend. Von Januar bis März diesen Jahres wurden laut Polizei 22 Einbrecher gefasst, von denen 17 wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz polizeibekannt sind. Ein linearer Zusammenhang zwischen wachsender Kriminalität und Drogenkonsum ist aus diesen Zahlen nicht ableitbar. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Debatte fallen die Belange von drogenabhängigen und suchtkranken Menschen, Menschen, die aus verschiedenen Gründen in riskante Konsummuster verfallen und sich selbst und andere gefährden, zunehmend aus dem Fokus.
In Leipzig gibt es für diese Menschen ein breites Netz an Suchtpräventions-, Beratungs- und Hilfe-Angeboten. Im Bereich der Primärprävention, d.h. Aufklärung, sind SchülermultiplikatorInnenprojekt FREE YOUR MIND und die Drug Scouts zu erwähnen, die mit ihren Projekten insbesondere junge Leute in Bezug auf Wirkungsweisen und Gefahren von Drogenkonsum kompetent machen. In den sieben Suchtberatungs- und -behandlungsstellen (SBB) – deren Vorhalten kommunale Pflichtaufgabe ist – werden Suchtkranken je nach Problemlage Überlebenshilfen geboten, Auswege aus der Sucht aufgezeigt und in weitergehende Maßnahmen, z.B. Entzugsbehandlungen, vermittelt. Eng vernetzt arbeiten die Streetworker des Jugendamtes, die drogenmissbrauchende Jugendliche beraten, betreuen und in Hilfen vermitteln. Sowohl in den SBB als auch bei den Streetworkern können KonsumentInnen von illegalen Drogen auch Spritzen tauschen, was einen unabdingbaren gesundheitspolitischen Standard darstellt. Die Droge, die in Leipzig 2009 am häufigsten missbräuchlich konsumiert wurde, ist Alkohol (60 % der Hilfesuchenden), gefolgt von illegalen Drogen (33 %), hier insbesondere Opiate und hier wiederum Heroin. Die Zahl der Suchtkranken, die in Leipzig Hilfe suchen, ist in den letzten Jahren etwa gleichbleibend bzw. sogar leicht rückläufig (im Jahr 2007: 4236, davon 1134 mit illegalisiertem Drogenkonsum, 2008: 4252, davon 1202 mit illegalisiertem Drogenkonsum und 2009: 4010, davon 1206 mit illegalisiertem Drogenkonsum). Von einem boomenden Zuzug von auswärtigen DrogenkonsumentInnen, wie sie der Leipziger Polizeipräsident mit Verweis auf das gut ausgebaute Netz der Leipziger Suchthilfestrukturen unterstellt, kann also ganz und gar nicht die Rede sein.
Für die Linksfraktion stellt eine qualifizierte Sucht-Präventions-, Beratungs- und Hilfe-Palette das A und O für eine verantwortungsvolle Drogen- und Suchtpolitik dar. Niederschwellige Angebote zur Überlebenshilfe für Süchtige helfen gesundheitliche Risiken zu minimieren, verhindern so steigende Zahlen von Drogentoten und sind aus ethischen und sozialen Gründen zwingend geboten. Die Stadt Leipzig ist hier auf dem richtigen Weg. Law and Order-Maßnahmen, wie sie die Polizeipräsidenten aus Stadt und Land in die Debatte werfen, gehören in die Mottenkiste, zumal die beiden ihre Kritik an die Drogenpolitik der Stadt Leipzig wenig konkret formulieren. Immer wieder wird von mangelnder Initiative der Stadt bei der Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität gesprochen. Ja, aber genau dies ist originäre Aufgabe der Polizei und nicht der Kommune. Diese kann über sozial- und ordnungspolitische Maßnahmen vor allem präventiv gegen Kriminalität wirken. Seit Jahren gibt es in dieser Hinsicht eine gut funktionierende Kooperation zwischen dem städtischen Ordnungs- und Jugendamt, der Polizei sowie Vereinen, u.a. im Aktionsbündnis „Sicherheit im Leipziger Osten“.
Drogen- und Suchtpolitik existiert immer im Spannungsfeld zwischen dem Hilfe-Ansatz einerseits und dem der Repression andererseits. Dessen ist sich die Linksfraktion genau wie die Stadt Leipzig sehr wohl bewusst. Die Polizei dagegen versucht momentan beide Pole gegeneinander auszuspielen. Das ist nicht nur unverantwortlich, sondern entbehrt auch eines gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins, das von der Polizei eigentlich zu erwarten wäre. Einseitige Repressionspolitik gegenüber Süchtigen löst die Probleme nicht, sondern fördert im Gegenteil riskante Konsumformen und zwingt die Betroffenen stärker in Beschaffungskriminalität und Untergrund, wo soziale und therapeutische Maßnahmen kaum noch greifen. Die gesellschaftlichen Folgekosten einer solchen repressiven Drogenbekämpfungspolitik wären in jedem Fall höher als die einer adäquaten Suchtkrankenhilfe.
Für die Linksfraktion haben präventive Ansätze sowohl im Bereich Sucht- und Drogenpolitik als auch bei der Kriminalitätsbekämpfung Vorrang. Leitlinie sowohl polizeilichen als auch politischen Handelns muss dabei ein menschenwürdiges, sicheres Leben aller in Leipzig lebenden Menschen sein.
Juliane Nagel Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik, Linksfraktion im Stadtrat zu Leipzig, 16.5.2011