Zwei Monate nach dem tödlichen Angriff auf den 19-jährigen Kamal K. am Leipziger Hauptbahnhof soll eine Demonstration heute daran erinnern, dass das Verbrechen ungeklärt ist.
erschienen in: Neues Deutschland, 29.12.2010, Von Hendrik Lasch
»Kick off antifascism« – diese Aufschrift trug ein Shirt, das Daniel K. in der Nacht des 24. Oktober 2010 trug. Antifaschismus rausschmeißen und wegtreten – der Gedanke liegt nicht allzu fern, darin ein politisches Bekenntnis zu vermuten. Die Staatsanwaltschaft sah das offenbar nicht so streng. Sie entließ Daniel K. kürzlich wieder in die Freiheit, obwohl er zuvor als einer von zwei Tatverdächtigen für den Tod des 19-jährigen Kamal K. galt.
Verdacht auf »Kuhhandel«
Der junge Iraker starb vor gut zwei Monaten in einem Park gegenüber des Leipziger Hauptbahnhofs, wo er zuvor in eine Auseinandersetzung mit zwei Männern verwickelt und niedergestochen worden war. Nach Aussagen von Sachsens Ausländerbeauftragtem Martin Gillo soll K. interveniert haben, als die Täter einen anderen Jugendlichen bedrohten. Schnell wurde ein rassistisches Tatmotiv vermutet, wofür es Gründe gab. So soll Daniel K. in einer rechten Kameradschaft aktiv gewesen und während einer erst kürzlich verbüßten Haftstrafe von einer rechten Hilfsorganisation betreut worden sein. In Presseberichten war von einem »hartgesottenen Neonazi« die Rede.
Das sahen die Staatsanwälte offenbar anders. Für eine Freilassung habe man den Mordvorwurf fallen lassen müssen, sagt Kerstin Köditz, die Rechtsextremismusexpertin der Linksfraktion im sächsischen Landtag ist. Dazu sei es notwendig, dass »die rassistischen und neonazistischen Hintergründe ausgeblendet und abgeleugnet« würden. Köditz kritisierte, die Behörde habe sich wohl die Argumentation von K.s Verteidiger zu eigen gemacht, wonach nicht nur hoher Alkoholkonsum eine Rolle spielte und keine Tötungsabsicht vorlag, sondern K. auch aus der rechten Szene ausgestiegen sei.
Die Staatsanwaltschaft, merkt Köditz an, habe aber »andere Aufgaben als die Verteidigung« und dürfe deren »Schutzbehauptungen« nicht übernehmen, wenn nicht der Eindruck eines »Kuhhandels« erweckt werden solle. Köditz ist nicht die Einzige, die jüngste Entwicklungen in dem Verfahren hart kritisiert. Juliane Nagel, Mitglied im Landesvorstand der LINKEN, zeigte sich »fassungslos« darüber, dass der Verdächtige freigelassen wurde: »Damit leisten die Behörden einen echten Beitrag zur Verharmlosung menschenverachtender Gewalt.« Erneut werde so ein Mord an einem Migranten »entpolitisiert«. Nagel verwies auf den Umstand, dass unabhängige Initiativen 150 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 verzeichnen, offizielle Statistiken aber nur 47.
Der OB schweigt zum Fall
Ähnliche Argumente führen Organisatoren einer Demonstration an, mit der heute ab 17.30 Uhr in Leipzig an den bislang ungeklärten Mordfall erinnert, aber auch auf politische Defizite aufmerksam gemacht werden soll. Der »Initiativkreis Antirassismus«, der die am Schletterplatz beginnende Demonstration organisiert, weist darauf hin, dass sich Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) bislang nicht zu dem Fall geäußert habe.
»Wenn ein Mensch aus ideologischen Gründen umgebracht wird und die Stadt danach zum Alltag zurückkehrt«, heißt es in einem Aufruf, »stimmt etwas mit diesem Alltag nicht.« Zu einer ersten Demonstration am 4. November waren rund 1200 Menschen gekommen.