Am 18.1.2010 berichtete die LVZ über die Insolvenz des Hupfeld-Centers in Böhlitz-Ehrenberg, dem größten Probezentrum von Nachwuchsbands in Leipzig. Von (jungen) MusikerInnen wird die Probe-Raumsituation in der Stadt generell als defizitär beschrieben. Die Linksfraktion fragte nach und bekam vom Leipziger Kulturbürgermeister vielversprechende Antworten.
Daniel Thalheim beleuchtet in der Leipziger Internetzeitung Vorbilder und Perspektiven eines Musikcenters für Leipzig
Anfrage Nr. 75/ Ratsversammlung am 24.3.2010
1. Wie unterstützt die Stadt Leipzig die lokale Nachwuchsband/-musikerInnen-Szene?
2. Welche AnsprechpartnerInnen haben Nachwuchsbands in der Stadtverwaltung?
3. Welche Freizeit- oder soziokulturellen Zentren bieten explizit Angebote für junge MusikerInnen an?
4. Welche städtischen Liegenschaften könnten aus Sicht der Stadtverwaltung als kostengünstige Proberäume zur Verfügung gestellt werden?
>>> Antworten – Anfrage-Proberaeume_2010
Artikel in zwei Teilen: Musikcenter für Leipzig. Folgt bald eine Entscheidung von der Stadtverwaltung?
Daniel Thalheim in der Leipziger Internetzeitung, 27./28.3.2010
Im Januar und Februar diesen Jahres erfolgte der Auszug vieler Leipziger Musikgruppen aus der Pianoforte-Fabrik. Gründe für die Bands waren zu hohe Mieten und unklare Zukunftsaussichten, ob die privaten Betreiber wirklich an einem entwickelbaren Musikcenter interessiert seien.
Am 24. März führte Kulturbürgermeister Michael Faber nach Anfrage von Stadträtin Juliane Nagel von der Fraktion Die Linke lange aus, was sich die Stadt Leipzig und insbesondere das Kulturdezernat unter einem Musikcenter vorstellt. Dabei standen Fragen im Raum, die das Dezernat bereits schriftlich beantwortet hat. „Wie unterstützt die Stadt Leipzig die lokale Nachwuchsband/-musikerInnen-Szene?
Welche AnsprechpartnerInnen haben Nachwuchsbands in der Stadtverwaltung? Welche Freizeit- oder soziokulturellen Zentren bieten explizit Angebote für junge MusikerInnen an? Welche städtischen Liegenschaften könnten aus Sicht der Stadtverwaltung als kostengünstige Proberäume zur Verfügung gestellt werden?“
Dabei fiel das Wort „Pianoforte-Fabrik“ nicht. Es gibt auch von dieser Stelle aus weder professionell anmutende Zeichen, wie eine Homepage noch genaue Vorstellungen des jetzigen Besitzers der Pianoforte-Fabrik.
Dagegen hat Michael Faber bei der Stadtratssitzung vom 24. März bestehende Netzwerke wie die Bandcommunity erwähnt und Orte – wie das Conne Island, Halle 5 und die Villa – genannt, die bereits heute Proberäume zur Verfügung stellen. So fördern die soziokulturellen Zentren in Leipzig Musiknachwuchs.
Eine konkrete Antwort kam jedoch auch auf die Frage nach den städtischen Liegenschaften. Hier wurden vom Kulturbürgermeister das agra-Gelände und leer stehende Schulgebäude genannt. Auf dem agra-Gelände wird geprüft, ob eine spezielle Halle für Proberäume zur Verfügung gestellt werden kann.
Antje Brodhun, persönliche Referentin des Bürgermeisters und Beigeordnete für Kultur beantwortete am 25. März die Fragen der Linksfraktion mit den Worten: „Seit vielen Jahren ist der Stadt Leipzig das Problem nicht ausreichend vorhandener Proberäume für Leipziger Bands bekannt, …“
Weiter heißt es bei ihr: „Eine Recherche mit dem Liegenschaftsamt hat ergeben, dass erst kürzlich im agra-Messepark auf der Rückseite der Halle 2 ehemalige Büroräume für Ateliers und auch Proberäume zu günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt werden konnten. In Anlehnung des ORWOhauses in Berlin, das allein in einem Gebäude ca. 100 Proberäume bereitstellt, was europaweit seinesgleichen sucht, könnte – sicher in einer etwas kleineren Größenordnung – auch das DAHG-Gebäude (ehemaliges Auktionshaus der Pelze) in der Nähe des Torhauses Dölitz in Erwägung gezogen werden.
Als neue Heimat für freischaffende Künstler mit entsprechenden Räumlichkeiten und damit auch Proberäume für Bands in Leipzig, soweit keine anderweitige Nutzung für dieses Gebäude vorgesehen wird. In der Folge lautet die Antwort: „Weiterhin wurden in diese ersten Überlegungen auch leerstehende Schulen z.B. in der Höltystraße im Stadtteil Meusdorf und in der Cleudener Straße im Stadtteil Thekla einbezogen, in denen eventuell mit Unterstützung der Stadt Leipzig kostengünstig Proberäume eingerichtet werden könnten.“
Für die Linke-Stadträtin Juliane Nagel sind die Ausführungen Fabers und seiner persönlichen Referentin ein Zeichen dafür, dass die Stadt Leipzig Interesse an einer lebendigen Popkultur hat. „Das agra-Gelände scheint mir sehr geeignet für ein größeres Projekt. Die Stadt kauft derzeit die Geländeteile der DAHG. Die Erstellung eines Nutzungskonzeptes steht im Raum. Passt also super.“
Sie stellt jedoch noch einmal heraus: „Die derzeitige Proberaumsituation ist für Bands mehr als unbefriedigend. Es ist erfreulich, dass die Stadt hier scheinbar ernsthaft Initiative ergreift. Ein selbstverwaltetes Proberaumzentrum auf weitestgehend nicht-kommerzieller Basis – das ist eine wirklich positive Vision für Leipzig.“
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Eine scheinbar kleine Diskussion schiebt in Leipzig wieder größere Wellenberge an. Nachdem seit Januar wegen der überteuerten Mieten zahlreiche Bands aus dem Hupfeld Center ausziehen, kommt die Frage nach einem entwickelbaren Musikcenter ins Rollen. Ein gutes Vorbild gibt es bereits – in Berlin.
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Zur Erinnerung darf nicht unerwähnt bleiben, dass in der Stadtratssitzung vom 16. Dezember 2009 der Bebauungsplan Nr. 340 „ehemaliger agra-Messepark – nördlicher Teil“, samt Einstellung des Bebauungsplanverfahrens, Erwerb eines Privatgrundstückes, Erarbeitung eines Entwicklungs- und Nutzungskonzeptes und Bestätigung von außerplanmäßigen Ausgaben in 2009 gemäß § 79 (1) SächsGemO vorgestellt und diskutiert wurde.
Hierbei ging es darum, dass nicht wie geplant, Eigenheime auf dem nördlichen Teil des „agra“-Geländes gebaut werden. Auch um das Wave Gotik Treffen als wichtige Veranstaltung in Leipzig in Zukunft nicht zu gefährden.
Bürger und Veranstalter traten damals rechtzeitig und massiv gegen die Eigenheimpläne der DAHG auf. Die Stadt Leipzig schätze schlussendlich den internationalen Charakter des Wave Gotik Treffens höher ein und die neuen Baumaßnahmen werden nun nicht stattfinden.
Damals hieß es in der öffentlichen Niederschrift der Sitzung der Ratsversammlung: „Ein Konzept für den agra-Park im Großen liege bereits vor. Zu verweisen sei in diesem Zusammenhang auf das Entwicklungskonzept und das Sofortprogramm für den Leipziger Teil des agra-Parks, das im April 2006 im Stadtrat zur Kenntnis genommen worden sei.“
Nun müssen Nutzungskonzepte her, die die Spekulation eines Musikcenters konkret werden lassen.
So weit zur Vorgeschichte. Michael Faber soll bei der vergangenen Ratsversammlung vom 24. März auch einen Vergleich zu dem Proberaum-Zentrum „ORWOhaus“ in Berlin gezogen haben. Was ist das für eine Initiative in Berlin? Beispielhaft für das diesjährige Hupfeld-Desaster scheint das eben erwähnte Berliner „ORWOhaus“ zu sein. Ihre Homepage verweist auf dieselbe Problematik hin, wie sie soeben in Leipzig stattfindet.
In Berlin haben sich die Bands zusammen geschlossen und gemeinsam ihre eigene musikalische Grundlage geschaffen.
Anscheinend mit Hilfe der Stadtverwaltung. „100 Proberäume. Rund 700 Musiker. Ein gemeinnütziger Verein. Wir machen Kultur! Hier, in der Musikfabrik ORWOhaus, entsteht täglich ein Stück Berliner Underground.“ Nachdem die Musiker 2004 beinahe ihre Proberäume verloren hatten, sich aber erfolgreich gegen Kündigung, Leerstand und Zerfall durchgesetzt haben, sind sie darüber hinaus heute selbst Eigentümer, Verwalter und Betreiber des ORWOhauses.
Mit zahlreichen Projekten versucht der ORWOhaus e.V. in Selbstverwaltung ein einmaliges Kulturprojekt zu entwickeln. Von Musikern für Musiker. Im März 2009 hat das ORWOhaus die offizielle Nutzungsgenehmigung erhalten. Nach fünf Jahren ist die Zukunft des Projekts damit gesichert. „Wir können uns verstärkt unserer Kulturarbeit widmen.“ heißt es nun auf dessen Internetseite und weiter:
„Wir befinden uns mitten im Berliner Industriegebiet, zwischen Bahnschienen und der sechsspurigen Landsberger Allee – ein paar Kilometer weiter ragen die Hochhäuser von Berlin-Marzahn in den Himmel. Ein kleines Büroteam und ein ehrenamtlicher Vereinsvorstand kümmern sich täglich um das Paradies und sorgen dafür, dass sich die Bands weiterhin wohl fühlen. Um den Musikern noch mehr bieten zu können als nur günstige Proberäume, veranstalten wir regelmäßig Konzerte und planen im Erdgeschoss eigene Clubräume. Das Highlight ist aber unser jährliches Festival auf dem gesamten ORWOhaus Gelände.“
In Berlin scheint die Vernetzung und Initiative von Musikern mit dem „ORWOhaus“ zu einem fruchtbaren Ergebnis gekommen zu sein. Der Hinweis, dass hier einige Jahre ins Land gingen, bis eine Genehmigung zur Nutzung eines zentralen Gebäudes für Musikschaffende erteilt wurde, muss nicht für das übersichtlichere Leipzig gelten.
Denn auch hier existieren dem Verfall preisgegebene Schulgebäude und Industriebauten, die „weitab vom Schuss“ sind und Anwohner wegen der Musik und stattfindenden Konzerte belästigen könnten. Da erscheint das agra-Gelände als zielführende Variante in der beginnenden Debatte um ein von Musikern selbst verwaltetes Musikcenter mit allem Drum und Dran zu sein.
Ein Gedanke zu „Anfrage an den Oberbürgermeister: Fehlende Proberäume für Nachwuchsbands“