Der Nahostkonflikt schwelt ein weiteres Mal und heizt auch die Debatten der Linken in Europa an. In Deutschland gab es mittlerweile mehrere pro-palästinensische Demonstrationen mit deutlich israelfeindlichen Ausprägungen. Auch in Leipzig wurden israel-solidarische Menschen bedroht und angegriffen.
Nordrhein-Westfalen ist derzeit ein Hotspot antiisraelischer Demonstrationen (siehe auch Chronik antisemitischer Vorfälle der Amadeu-Antonio-Stiftung). Fast täglich fanden hier in den vergangenen Tagen entsprechende, hasserfüllte Veranstaltungen statt. Ob Köln, Aachen Bochum oder Essen, hier werden Parolen wie „Kindermörder Israel“ skandiert oder auch mal israelische Fahnen verbrannt. r NRW steht längst nicht mehr allein: bundes (und europa)weit heizen anti-israelische Aktionen die Stimmung auf.
Unter den Teilnehmenden sind Mitglieder palästinensischer Organisationen, Friedens- und linke Gruppen. Nicht selten geben Akteure und Strukturen der LINKEN den explizit israelfeindlichen Manifestationen ein Podium bzw. beteiligen sich. So beispielsweise in Essen, wo die Linksjugend am 18.7. eine Demo unter dem Motto „Stoppt die Bombardierung Gazas“ veranstaltete, die auch von einem Bundestagsabgeordneten der LINKEN unterstützt wurde.
Auch die Gaza-Solidaritäts-Kundgebung am 17.7. in Leipzig wurde vom „AK Nahost“ angemeldet, an dem auch Akteure aus dem Umfeld des LINKE-nahen Studierenden-Verbandes SDS beteiligt sind. Dort wurden zwar Sprüche wie „Kindermörder Israel“ unterbunden, tote Israelis allerdings beklatscht und auf einem Schild die von der Hamas zur Bombardierung Israels entwickelten Kassam-Raketen verharmlost. Nach Auflösung der Kundgebung setzte sich von dort eine Gruppe von ungefähr 100 Menschen in Bewegung. Die Menge skandierte immer wieder „Kindermörder Israel“, „Frauenmörder Israel“ oder „Allahu Akbar“ (Gott ist größer).
Am Ende eskalierte die Situation als am Rand der Auflösung der Gaza-Demo einige Menschen ihre Solidarität mit dem Staat Israel artikulierten. Dies wurde mit verbaler Aggression und dem Werfen von Gegenständen durch Teilnehmende der Gaza-Kundgebung beantwortet.
Um was geht es?
Seit Juni 2014 bilden Fatah und Hamas im palästinensischen Gebiet wieder eine Gemeinschaftsregierung. Ein ähnlicher Versuch war 2007 gescheitert. Für die Hamas ist der aktuelle Schritt eher pragmatisch begründet. „Wegen der internationalen Isolation und wegen Ägyptens Kampfes gegen Islamisten ist die Organisation zahlungsunfähig geworden. Ihre Haupteinnahmequelle, Steuern auf Schmuggelware, hat die Hamas verloren, weil die Ägypter mehr als 1000 Schmugglertunnel unter der Grenze zum Sinai zerstört haben.“ schreibt Ulrich Sahm in der Jungle world vom 3.7.14.
Israel kündigte aufgrund des Zusammengangs beider politischen Kräfte die Friedensgespräche auf. Hintergrund: die Nicht-Anerkennung des Existenzsrechts Israels durch die Hamas und der Zweifel, dass die gemäßigtere Fatah die islamistische Terrororganisation, die den Gaza-Streifen kontrolliert, einhegen kann.
Obwohl die EU die Hamas als Terrororganisation einordnet, waren in Reaktion auf die Bildung der Einheitsregierung von dort versöhnlichere Töne zu hören. Auch die USA kündigte an mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten. Voraussetzung dafür sei die Garantie der Gewalt abzuschwören.
Der Vertrauensvorschuss an die Einheitsregierung ist inzwischen aufgebraucht. Israels Zweifel haben sich als berechtigt erwiesen.
Ende Juni wurden drei israelische Jugendliche, die zweieinhalb Wochen vorher entführt wurden, tot im Westjordanland gefunden. Tatverdächtig sind zwei Mitglieder der Hamas.
Die letzten Wochen sind geprägt durch permanente Raketen-Beschüsse der Hamas auf Israel. Israel erwehrt sich diesen Angriffen mit Gegenschlägen. Ziel ist es Stützpunkte der radikalislamistischen Hamas zu zerstören. Dies schließt auch das weit verzweigte Tunnelsystem ein, das die Hamas unter dem Gaza-Streifen errichtet hat, um Israel anzugreifen, Waffen zu schmuggeln oder Terrorist*innen Fluchtmöglichkeiten zu bieten. Israel hat zu diesem Zweck eine Bodenoffensive gestartet.
Es liegt auf der Hand: die Leidtragenden der neuerlichen Eskalation sind die Menschen, die unschuldig gestorben sind, die Zehntausenden, die aus dem Gaza-Streifen fliehen müssen und die BürgerInnen Israels, die jede Minute mit unerwarteten Angriffen rechnen müssen. Die israelische Regierung rät seiner Bevölkerung, insbesondere im direkten Grenzgebiet zu Gaza, sich permanent in der Nähe von Schutzräumen aufzuhalten. Seit 1951 schreibt das Gesetz vor, dass alle Wohn- und Geschäftsgebäude direkten Zugang zu einem solchen Schutzraum haben müssen. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass es in Reaktion auf den Mord an den drei Jugendlichen aus Israel einen Rachemord durch rechtsradikale Israelis an einem palästinensischen Jungen gab.
Friedensbewegung und linke Gruppen in Deutschland und ganz Europa bringen sich vor dem Hintergrund der Ereignisse ein weiteres Mal einseitig gegen Israel in Stellung und blenden sowohl den aktuellen Verlauf der Gewaltspirale – die die Hamas initiiert hat – als auch die ideologischen Grundlagen der Hamas aus. Deren erklärtes Ziel ist und bliebt die Vernichtung Israels. Die antizionistischen Friedenskämpfer*innen wie der AK Nahost fordern implizit, das die Palästinenser*innen aufgerüstet werden , um sich gegen Israel zu erwehren. Eine Sprecherin spricht sich im Interview mit dem Uni-Radio Mephisto zudem gegen einen Waffenstillstand aus. Jenen hatte Ägypten ins Gespräch gebracht und war damit bei Israel auf Zustimmung gestoßen. Die Hamas beantwortete diesen Vorschlag mit Raketenbeschüssen. Die Interviewte kann nur meinen, dass sich der Gaza-Streifen gewaltsam befreien soll.
Die im Grund verständlichen Versuche die Belange der palästinensischen Zivilbevölkerung in den Fokus zu rücken, werden durch ihre zumeist implizite oder direkte anti-israelische Stossrichtung unterminiert. Gliederungen der LINKEN machen sich in zahlreichen Orten zur Plattform für solche antisemitischen Tiraden. In Essen versuchte am 18.7. ein Mob, der sich aus einer von der Partei veranstalteten Kundgebung bildete, zur örtlichen Synagoge zu gelangen. Dies konnte nur durch die Polizei unterbunden werden. In Frankreich gab es vor de Hintergrund der Eskalation in Nahost zahlreiche Attacken gegen Synagogen.
Es bleibt dabei: Eine emanzipatorische Linke, deren Ziel eine friedliche und freiheitliche Gesellschaft ist, muss sich klar von Antisemitismus und Terrorverherrlichung abgrenzen.
Frieden im Nahen Osten ist nur auf Basis der Anerkennung des Existenzsrechtes Israels einerseits und eines demokratischen Staatswesens der Palästinenser*innen ohne Hamas andererseits denkbar.
die situation nahost ist zu kompliziert um darüber logisch aufgebaut zu schlußfolgern. auf ein kriegsgebiet unsere maßstäbe anzuwenden, d.h. der berichterstattung zu trauen, klingt ein wenig naiv. zudem ist ulrich sahms feder mit blut gefüllt. ein versöhnender text ist mir seit dem kontakt vor gut zwei jahren noch nicht untergekommen. vielleicht sollte er mal wieder einen blick in den talmud werfen http://www.aphorismen.de/zitat/19331 dazu mehr an anderer stelle.
den fokus auf einen konstruktiven dialog in deutschland zu legen, halte ich für sinnvoller. anti israel/juden/gaza aufrufe streifen den geltungsbereich des § 130 stgb, das sollten die letzten tage in der brd eindeutig gezeigt haben. der gesetzgeber hat sich schon 1871 etwas dabei gedacht und die norm wurde 1959 für spitzfindige adressaten angepasst. traurig, dass gegendemonstranten statt der polizei ihren kopf dafür hinhalten mußten.
man könnte meinen, die politischen entscheidungsträgerinnen, liegen dieser tage lieber am baggersee.
http://de.m.wikipedia.org/wiki/Volksverhetzung
Die Situation ist kompliziert. Darüber gibt es viele Bücher, die ich jetzt nicht nachschreiben muss ;)
Es sind auch nicht „unsere Massstäbe“, sondern die der Internationalen Gemeinschaft, des Völkerrechtes. Und ich erinnere nochmal an die Genese: Holocaust, Staatsgründungsinitiative mit Vorschlag einer zwei-Staaten-Lösung 1947, die von den Arabischen Vertreter*innen in der UNO abgelehnt wurde. Nach der Staatsgründung Israels folgte der Angriff durch sechs arabische Staaten, und bereits davor gab es gewalttätige Angriffe aus Siedler… etcppp Btw. gab es nie einen palästinensischen Staat, was nicht heisst, dass ich nicht gut fände, wenn es ihn geben würde.
Ich weiss nicht warum Sprüche wie „Free Gaza form Hamas“ oder „Für ein Existenzrecht Israels“ den Straftatbestand §130 erfüllen sollten? Aber du meinst die HAssrufe gegen Israel, vermute ich.
Deutschland hatte die Einheitsregierung von Fatah und Hamas für ok befunden.Ich weiss nicht ob das der Weg ist.. wie mit einer Organisation verhandeln,die im Grunde terroristisch und auf die Auslöschung Israels orientiert ist?
Komisch….antisemitisch ist wa anderes als ein Protest gegen den STAAT Israel. Und auch die Palästinenser sind Semiten….merkt Ihr eigentlich noch was?
Du schreibst die Leidtragenden seien die Zivilisten, die Zehntausenden, die aus Gaza fliehen mussten. Ist dir überhaupt klar, dass die Menschen nicht fliehen können, weil Israel und Ägypten die Grenzübergänge seit Jahren verschlossen haben und im Mittelmeer Flottenverbände darüber wachen, dass niemand flieht? Auch Schutzräume gibt es in Gaza nicht. Die Menschen sind den Angriffen schutzlos ausgeliefert.
Die Menschen in Gaza fliehen vom Norden in den Süden des winzigen Gebiets, aber auch da fallen Bomben…es gibt kein Entrinnen aus diesem Freiluftgefängnis, flächenmäßig so groß wie Köln, nur von 1,8 Mio. Einwohnern bewohnt…
Wie wäre es als Forderung mit Öffnung der Grenzen und Ende der Blockade? Ein gerechter Frieden ist nämlich auch nur möglich, wenn die Besatzung ein Ende hat!