Rede zum gemeinsamen Antrag der Fraktionen DIE LINKE, Bündnis 90/ Die Grünen und SPD zum Antrag „Erhalt der Distillery am Standort Kurt-Eisner-Straße 91“ in der Stadtratssitzung am 22.1.2014
„Manch eine und einer erinnert sich vielleicht an die durchaus stürmischen Zeiten der Nachwendejahre. An vielen Orten der Stadt entstanden spontan Projekte, wurden inmitten der neu gewonnen Freiheit Ideen realisiert, leer stehende Häuser zum Wohnen, aber auch für kulturelle Zwecke genutzt.
Inmitten dieser Szenerie entstand 1992 in den Räumen einer ehemaligen Brauerei in der Biedermannstraße im Leipziger Süden der Club Distillery. Ein paar junge Leute hatten sich die Räume angeeignet und veranstalteten hier regelmäßig Tanzveranstaltungen mit elektronischer Musik. Die Distillery wurde im „Untergrund“ zum populären Geheimtipp. Dies entging auch den Behörden nicht, die dem von unten aufgebauten Kultur-Treff 1994 ein Ende setzen wollten.
Daraufhin folgen Demonstrationen unter anderem vor dem Neuen Rathaus. Tanzende Menschen wollten zu hunderten, ja Tausenden ihren Club erhalten.
Nach einigem Hin und Her gab es 1995 eine Lösung.
Seitdem hat die Distillery ihren legalen Standort in der Kurt-Eisner-Straße 91 und hat sich dort zu einem der bundesweit bekanntesten Clubs für elektronische Musik etabliert. Neben Auftritten von namenhaften KünstlerInnen sind hier auch junge KünstlerInnen aus der Region bekannt und zahlreiche kulturelle Initiativen gestartet worden. Zu nennen wären hier u.a. das international bekannte Moonharbour Label oder das Think Festival, das inzwischen jährlich am Cospudener See veranstaltet wird.
2005 wurde der Club folgerichtig vom Kulturausschuss als kulturell wichtige Einrichtung der Stadt Leipzig anerkannt. 2012 wählte das größte Fachmagazin im Spektrum elektronische Musik „DeBug – Zeitschrift für elektronische Lebensaspekte“ die Distillery unter die 10 besten Clubs der Bundesrepublik. Die Distillery hat eine enorme Anziehungskraft, die die regionalen Grenzen weit überschreitet.
Es sind insbesondere junge Menschen, die Leipzig wegen der Distillery einen Besuch abstatten. Nicht zu vernachlässigen ist in diesem Zusammenhang auch der wirtschaftliche Output, BesucherInnen der Stadt nehmen auch andere Angebote wahr, sei es die LVB, seien es Übernachtungen, Gastronomie oder Einzelhandel.
Doch trotz der langen Geschichte, der Würdigung oder der Effekte für die gesamte Stadt beschleicht eine/n das Gefühl, dass die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung der Distillery insbesondere in den Verwaltungsebenen nicht angekommen ist. Liegt es vielleicht daran, dass die seit den 1980ern aufstrebende elektronische Musikkultur noch immer nicht als Kultur anerkannt wird? Dass die Bedrohung des Standortes als partikulares Problem wahrgenommen und in den Bereich des unternehmerischen Risikos verschoben wird?
Als 2011 öffentlich laut darüber spekuliert wurde, dass das Bauvorhaben Stadtraum Bayerischer Bahnhof die Distillery in ihrer Existenz bedrohen könnte, stellte die Linksfraktion im Stadtrat eine Anfrage, was denn an diesen Spekulationen dran wäre. Der zu dieser Zeit amtierende Baubürgermeister Martin zur Nedden blieb in seiner Antwort nicht nur nebulös, sondern ließ in einem Nebensatz unter anderem sinngemäß fallen, dass es ja auch möglich sei, dass es die Distillery gar nicht mehr gibt, wenn die Pläne zur Errichtung des neuen Stadtquartiers weiter gediehen sind.
Dass dem nicht so ist, zeigt die Gegenwart und die massive Unterstützung, die die Distillery erfährt. Fakt ist allerdings auch, dass die fortgeschrittene Planung für den Stadtraum Bayerischer Bahnhof den Club an seinem jetzigen Standort nicht mehr vorsieht. Und das ist vor dem Hintergrund der frühen Hinweise und auch des Engagements der Distillery, über das meine Kollegen noch ausführen werden, ziemlich dreist.
Wir wollen Bestandsschutz für die Distillery und das nicht nur für fünf Jahre, wie es uns der Verwaltungsstandpunkt vorschlägt. Es geht dabei durchaus auch ums Prinzip.
Vor zirka einem Jahr haben wir die Verwaltung mit Beschluss des Antrages „Sicherung von Standorten der selbstorganisierten Kulturszene, der Clubkultur und der Kultur- und Kreativwirtschaft” beauftragt einen Prüfkatalog zu erarbeiten, der den Belangen insbesondere von kulturellen Projekten im Rahmen der Erstellung von B-Plan-Verfahren und beim Verkauf kommunaler Liegenschaften gegenüber potentiellen InvestorInnen ein höheres Gewicht geben soll.
Mit der Debatte um die Distillery im Stadtraum Bayerischer Bahnhof haben wir nun den Beleg für die Notwendigkeit dieses Beschlusses und für dessen immer noch ausstehende Umsetzung.
Im Ernst: warum kann das natürlich notwendige neue Stadtquartier Bayerischer Bahnhof nicht mit dem Standort Distillery geplant werden? Warum kann die Umfeldbebauung nicht so gestaltet werden, dass Wohnnutzung nicht mit der kulturellen, bei der eine höherer Lautstärke-Pegel in der Natur der Sache liegt, kollidiert? Warum sollte ein renommierter und lebendiger Kulturbetrieb unter die Räder kommen, weil sich private InvestorInnen und Stadt nicht bewegen wollen?
Sehr geehrte Damen und Herren, wir halten an unserem Antrag fest, und bitten um ihre Zustimmung im Sinne einer behutsamen Stadtentwicklung, die das Engagement ihrer EinwohnerInnen wertschätzt und berücksichtigt. Danke.“
Der Antrag (hier klicken) wurde mit großer Mehrheit angenommen.
PS: Diese erfreuliche Entscheidung, die ohne das Engagement der Distillery und ihrer Freund*innen nicht möglich gewesen wäre, heißt nicht, dass alles in trockenen Tüchern ist. Vielmehr gehts nun um intensive Kommunikation zwischen Tille, Stadt und der Eigentümerin der Fläche, der Stadtbau AG.