Schneeberg: Spitze eines Eisberges im Abwehrkampf gegen xenophobe und rassistische Erhebungen

Landauf landab bilden sich derzeit BürgerInneninitiativen gegen die Errichtung von Unterkünften für Asylsuchende. Diese verleihen sich mal mit NPD, mal ohne, mal mittels Unterschriftenlisten, BürgerInnenversammlungen, Aufmärschen oder Übergriffen Ausdruck. Oft wird mit mangelnder Information & Mitbestimmung argumentiert.

Das soziale Netzwerk Facebook spielt zumeist eine gewichtige Rolle zur Bündelung des Unmutes gegen „die da oben“, gegen „mangelnde Information und Mitbestimmungsmöglichkeiten“. Im Kern geht es allerdings um bzw. gegen Asylsuchende. Jenen Menschen, die aus verschiedensten Gründen aus ihren Herkunftsländern fliehen müssen, es schaffen die Festung Europa lebend zu überwinden und vielleicht auch noch in Deutschland landen, wird systematisch zugeschrieben, dass sie qua Herkunft bzw. Status Kriminalität, Drogen, Unsauberkeit, Lärm etcpp. verursachen würden. Diese xenophoben Bilderbuch-Ressentiments nährt seit mehreren Monaten der CDU/CSU-Bundesinnenminister Friedrich, indem er Menschen in Not per se Asylmissbrauch unterstellt.

Die unsägliche Propaganda aus den politischen Führungsetagen übertönte scheinbar monatelang die Notwendigkeit Strukturen zu schaffen, die die Unterbringung der wachsenden Zahl von Asylsuchenden sichern.

Im September 2013 hat sich die Zahl von Asyl-Erstanträgen im Vergleich zum Vorjahr vervielfacht (etwas über 74.000 zu 40.200 im Jahr 2012, Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge September 2013). Der Anstieg der Zahlen hat benennbare Ursachen, die im Getöse gegen vermeintlichen Asylmissbrauch und Wirtschaftsflüchtlinge gern totgeschwiegen werden. So stammt der Großteil der geflüchteten Menschen aus Russland (dies geht laut Pro Asyl auf die katastrophale Menschenrechtslage im Nordkaukasus zurück: in Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien herrschen Willkür und Verfolgung von staatlicher Seite und Gewalttaten seitens islamistischer Gruppen), aus Syrien (dort wütet seit 2011 ein BürgerInnenkrieg, der fast 100.000 Tote und mehrere Millionen Flüchtlinge zurfolge hat) und aus Serbien und Mazedonien (wo Menschen, insbesondere Roma staatlich und gesellschaftlich krass diskriminiert werden).

In Sachsen wird die Zahl der Asylsuchenden von 3.500 im Jahr 2012 auf 5.800 im Jahr 2013 steigen. Laut dem sächsischen Integrationsbeauftragten werden 42 zusätzliche Unterkünfte a maximal 100 Plätzen benötigt. Im Durchschnitt müssen die 10 Landkreise und 3 kreisfreien Städte in Sachsen jeweils 200 – 300 Asylsuchende mehr aufnehmen. Dabei tun sich Probleme auf. Vielerorts machen BürgerInneninitiativen mobil – zumeist unter Mitwirkung der NPD, andernorts verweisen Gemeinden die Verantwortung Geflüchtete aufzunehmen von sich, wie z.B. in Brandenburg (siehe hier).

Nach Recherchen des TV-Magazins Monitor gab es in diesem Jahr bereits 21 Übergriffe auf Asyl-Unterkünfte gab, dreimal soviel wie im Jahr 2012. Zudem gab es ca. 50 entsprechende Aufmärsche unter NPD-Beteiligung.

Vieles erinnert an Anfang der 1990er Jahre, als es ausgehend von Hoyerswerda zu gewalttätigen Übergriffen von BürgerInnen auf ein VertragsarbeiterInnen- und ein Flüchtlingsheim kam und es in Rostock-Lichtenhagen nach tagelangen Angriffen auf ein GastarbeiterInnenwohnheim brannte. Nur aufgrund der Zivilcourage Weniger kam in Rostock kein Mensch ums Leben. In Hoyerswerda wurden die VertragsarbeiterInnen und Flüchtlinge evakuiert. Bei den darauffolgenden Brandanschlägen auf Wohnhäuser von MigrantInnen in Mölln und Solingen starben im November 1992 bzw. Mai 1993 insgesamt acht Menschen.

Zwar berichten manche Medien heute verantwortungsvoller über die xenophoben bis rassistischen Mobilisierungen, auch die Situation von Asylsuchenden wird in den Fokus gerückt, um Verständnis zu wecken. Viel zu oft wird dem Protest allerdings mit Verständnis begegnet und als Ansporn zu Veränderungen des Asylrechts aufgenommen, die faktische Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl von 1993 lässt grüßen.

Den Gipfel des Perfiden stellt wohl der Kommentar des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich dar, der in der LVZ am 9.11.2013 die „Schneeberger gegen den Verdacht, bei ihrem Protest gegen die Unterbringung der Asylbewerber ausländerfeindliche Motiven zu hegen“ in Schutz nahm. In Schneeberg lässt sich derzeit die massivste Mobilisierung gegen Asylsuchende beobachten, am 19.10., 2.11. und 16.11. demonstrierten dort bis zu 2000 Menschen mit Fackeln und unter Führung des NPD-Vorsitzenden des Erzgebirgskreises Stefan Hartung gegen die Außenstelle der sächsischen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende im Ort. Während der Aufmärsche, die traditionsbewusst „Lichtelläufe“ genannt werden, gab es vom RednerInnenpult und aus der Menge übelste Tiraden gegen Asylsuchende und PolitikerInnen. Immer wieder wurde aus der Menge „Sozialschmarotzer“, „Abschieben“, „Überfremdungspolitik“ … vor allem aber die Parole „Wir sind das Volk“ skandiert.
Die Fackelmärsche sind der vorläufige Höhepunkt der Aktivitäten der Bürgerinitiative „Schneeberg wehrt sich“, die vor allem auf Facebook ihr Unwesen treibt. Als Sprecher der BI fungiert NPD-Mann Hartung als zweiter Sprecher der ehemalige Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete der NPD, Mario Löffler. Zwar werden hier und da Stimmen von Fackelmarsch-TeilnehmerInnen abgebildet, die vorgeben sich an der Führungsrolle der NPD stören, im Endeffekt sei sie aber die „einzige Partei, die sich kümmert“.

Solche Stimmen bringen die CDU, die in Sachsen seit über 20 Jahre regiert, in Zugzwang. Und so legten die Verantwortlichen nach dem 2. Fackelmarsch nach. Innenminister Markus Ulbig fordert(e) unisono mit Regierungschef Tillich beschleunigte Asylverfahren und die „rasche Rückführung abgelehnter und straffällig gewordener Bewerber“. Zudem rühmt sich der Freistaat dieser Tage Spitzenreiter in Sachen Abschiebungen zu sein, 2013 wurden nach Angaben des Innenministeriums bislang 1.025 Asylsuchende abgeschoben. Auch einen von der Opposition im Landtag und Flüchtlingsinitiativen geforderten Winterabschiebestopp lehnt die Staatsregierung ab.

Angesichts dieser asylpolitischen Linie verwundern die Reaktionen aus der Bevölkerung kaum. Die Empathielosigkeit, mit der Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Not flüchten mussten, entgegengebracht wird, illustriert auch das Beispiel Rötha (Landkreis Leipzig). Dort kommentierte LINKE-Stadtrat Timo Müller die Unterbringung von 30 Asylsuchenden in einem leer stehenden Hotel wie folgt: “Wie viel will Borna eigentlich noch auf andere abwälzen? […] Erst das Seehaus, jetzt die Asylbewerber – die Bürger vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist eine große Frechheit.” (zitiert nach Leipziger Volkszeitung am 9.11.2013). Auch in Leipzig-Schönefeld wird von einigen BürgerInnen – und mit lautstarker Unterstützung durch die NPD – mit Wehr die mangelnde Information über die Notunterbringung von bis zu 120 Asylsuchenden in einer leer stehenden Schule angeprangert.

Es scheint, dass auf dem Rücken von Asylsuchenden Gefechte mit übergeordneten politischen Ebenen ausgefochten werden. Offenheit, Problemlösungsorientierung und ein Fünkchen Humanität: Fehlanzeige. Dabei wäre es Augenwischerei zu denken, dass eine frühere Information und Mitbestimmung die Situation im Kern verändern würde. Das beweisen die präventiv gegründeten Facebook-Gruppen z.B. in Leipzig-Paunsdorf und Geithain. Das Hauptziel dieser Initiativen ist es die Unterbringung von Asylsuchenden in der Nachbarschaft zu verhindern. Auch in Schneeberg ruft die NPD-geführte Bürgerinitiative nach einem Bürgerentscheid über die Nutzung der Jägerkaserne als Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende.

Doch zugespitzt & rhetorisch gefragt: wo könnte es überhaupt Unterbringungsmöglichkeiten für geflüchtete Menschen geben, wenn BürgerInnen in dieser Frage beteiligt werden würden?

In der derzeitigen Situation hat die Unterstützung von Asylsuchenden und die oberste Priorität, ob praktisch oder diskursiv. Auch Forderungen nach dezentraler Unterbringung, d.h. dem Recht der Geflüchteten selbstbestimmt in eigenen Wohnungen zu leben, müssen platziert werden, auch wenn zahlreiche BürgerInneninitiativen, deren Kalkül es ist Asylsuchende in ihrer eigenen Nachbarschaft zu verhindern, diese Forderung bereits in ihr Programm übernommen haben. Die Landesregierung hat – im Zugzwang die schutzsuchenden Menschen unterzubringen – zumindest angekündigt den vereinfachten Zugang zu dezentraler Unterbringung zu fordern. Dafür kämpfen Initiativen und Vereine schon seit vielen Jahren.

Mensch muss sich nichts vormachen: antirassistische Intervention heißt in der derzeitigen Situation nicht mehr als einen reinen Abwehrkampf zu führen. Doch dieser Kampf kann existenziell sein.

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