Geithain am 7.5.2010 – an der Tankstelle in der Peniger Straße wird der 15-jährige Florian von dem der regionalen Naziszene angehörenden Albert R. mit einem Tritt in den Brustkorb und einem Schlag auf den Kopf angegriffen. Fünf Monate später darf er das Gericht ohne Handschellen verlassen
Artikel vom 31.10.2010
Geithain am 7.5.2010 – an der Tankstelle in der Peniger Straße wird der 15-jährige Florian von dem der regionalen Naziszene angehörenden Albert R. mit einem Tritt in den Brustkorb und einem Schlag auf den Kopf angegriffen. Dabei wird Florians Schädelknochen zertrümmert. Nur mit etwas Glück dringen die Knochenteile nicht ins Gehirn ein, was entweder schwerwiegende bleibende Schäden oder sogar den Tod des 15-jährigen zur Folge hätte haben können.
10 Tage später wird Albert R. wegen dringendem Tatverdacht festgenommen und in Untersuchungshaft in die JVA Zwickau verbracht.
Etwa fünf Monate später ist die Verhandlung am Amtsgericht Chemnitz anberaumt. Nachdem der erste Verhandlungstag wegen fehlerhafter Einladung der Schöffen ausfallen musste, ist es am 29.10.2010 soweit. Etwa 7 Nazis erkämpfen sich Sitzplätze in der ersten Reihe. Der Angeklagte selbst erscheint mit einem schwarzen Pullover, den der Schriftzug „Volksgemeinschaft. Einer für alle, alle für einen.“ säumt. Ein unmissverständliches Zeichen.
Genauso unmissverständlich wie der Gewaltakt selbst, der am 7.5.2010 von R.ausging. Ein Gewaltakt gegen einen politisch anders Denkenden, jemanden, der weder in Bezug auf seine Einstellungen noch aus sein Aussehen in das krude Weltbild eines neonazistischen Gewalttäters passt. Vor diesem Hintergrund plädierte die Staatsanwaltschaft samt Nebenklage auf eine Verurteilung nach § 224, Abs. 1 Punkt 5 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung.
Der von Rechtsanwalt Alexander Held aus Schmalkalden vertretene R. verkennt den Ernst der Lage nicht und zeigt sich geständig. Sich selbst erklärend führt er an, dass der Geschädigte ja verantwortlich für einen Brandanschlag gewesen sei und er sich durch dessen Winken aus der Tankstelle heraus provoziert gefühlt habe. Allein einen Brandanschlag gab es in Geithain im Vorfeld des 7.5. nicht, und dass ein Winken einen lebensgefährlichen Angriff legitimieren soll, lässt auf das niederträchtige Tatmotiv schließen.
Das 15-jährige Opfer der Gewalttat rekonstruiert den Tathergang in seiner Zeugenaussage souverän und gefasst. Auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier hatte er mit einem Freund an der Tankstelle angehalten. Während der Freund tankte, wollte er selbst sich etwas zu Essen holen. Aus einem vorbeifahrenden Auto wurde ihm zugewinkt. In der Annahme, dass es sich um Bekannte handelte, winkte er zurück. Wenige Minuten später lief aus dem abgeparkten Auto der körperlich überlegene Albert R. auf ihn zu. Florian konnte zu dem ihm Unbekannten nur noch sagen „Wir wollen keinen Stress“, dann trafen ihn Tritt und Schlag. Sein Begleiter und die Tankstellenmitarbeiterin reagierten geistesgegenwärtig und veranlassten den zügigen Transport ins Krankenhaus Rochlitz. Von dort wurde Florian schnell nach Chemnitz verlegt und wenig später operiert.
Zum zweiten Mal im Zuge der Verhandlung setzt der Angeklagte Albert R. zur Entschuldigung an, direkt an das ihm gegenüber sitzende Opfer gerichtet. Zwei weitere Male sollen im Fortgang folgen. Sein Verteidiger spricht von Erkenntnisprozessen, die in der Zeit der Untersuchungshaft gereift wären. Für die kritische Zuhörerin wird die sich wiederholende Proklamation zur Floskel. Im Saal raunen die Stimmen der dümmlich wirkenden Pro-Albert-Fraktion. „Halt´s Maul“ wird die anwesende Mutter von Florian flüsternd kommentiert, als diese den von ihr mit der Nebenklage beauftragten Rechtsanwalt anspricht. Mit zynischem Gelächter wird die Aussage Florians, dass er sich keiner politischen Richtung zuordnet, sondern einfach gegen Nazis sei, goutiert.
Während der Ausführungen des medizinischen Sachverständigen betritt Manuel Tripp den Saal. Tripp, Stadtrat der NPD in Geithain, hatte die Nähe zu dem konkreten Fall bis dato eher vermieden und sich im Stadtrat zu Geithain von jeder Gewalt distanziert. An diesem 29.10. zeigt er an wessen Seite er steht: an der eines handfesten Schlägers, der den Tod eines Menschen billigend in Kauf nimmt.
Ein Rechtsgespräch zwischen Staatsanwaltschaft, Richter, Nebenklagevertreter und Verteidiger unterbricht die Verhandlung. Doch man kommt auf keinen grünen Zweig. Zwar werden alle weiteren ZeugInnen, darunter die Geithainer Neonazis Sebastian Ö. und Andy K. sowie die Tankstellenmitarbeiterin und der Begleiter Florians am 7.5. ungehört entlassen, jedoch wird weiter um das Strafmaß gestritten. Der Staatsanwalt plädiert mit klaren Worten für die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und eine Haftstrafe von 20 Monaten. Der Angeklagte gehöre einer Gruppierung an „die politisch anders Denkende verfolgt“, findet er recht klare Worte. R. sei bereits 7 mal strafrechtlich aufgefallen, 5 mal wegen Körperverletzung – immer wieder kam er mit Auflagen wie Arbeisstunden davon. Nur einen Monat vor der Tat waren ihm drei Wochen Jugendarrest auferlegt worden, die er wegen der Untersuchungshaft gar nicht angetreten hatte. Eine weitere Chance für Albert R.? Diese Meinung vertreten Staatsanwalt und Nebenklagevertreter nicht.
R.s Verteidiger Held dagegen holt zur Argumentationspirouette aus: sein Mandant könne doch nicht für die Verfehlungen der Justiz büßen, die ihn immer wieder zu sanft angefasst hätte. Helds Konsequenz leuchtet nicht ein: er plädiert für eine Bewährungsstrafe. Die U-Haft habe seinen Mandaten zum Nachdenken gebracht, dieser wolle nun sowohl sein Gewalt- als auch sein Alkhoholproblem angehen. Und schließlich bestünde die Möglichkeit am Montag seine Lehre als Maler/ Lackierer wieder anzutreten, was die Verantwortliche des Lehrbetriebes in Mittweida aus dem Zuschauerbereich bestätigt – vollkommen unbeeindruckt von dem was hier vor Gericht eigentlich verhandelt wird.
13.30 Uhr verkündet Richter Gräwe das Urteil: 20 Monate Haft, ausgesetzt auf 3 Jahre Bewährung. Albert R. muss zudem einen Anti-Aggressionskurs besuchen, sich in die Obhut einer Suchtberatung und eines Bewährungshelfers begeben. Hinzu kommen 40 Arbeitsstunden, die er bis zum Ende seiner Ausbildung monatlich verrichten muss. Außerdem muss er sein Opfer in Form von Geldleistungen entschädigen.
Albert R., bekennender Neonazi und bei zahlreichen Aufmärschen ganz vorn dabei, kann den Gerichtssaal ohne Handschellen verlassen. Seine Gesinnungsgenossen nehmen ihn herzlich in Empfang. „Es war doch klar, dass wir hier 1:0 rausgehen“ raunt es aus der Gruppe vor dem Gericht.
Auch Manuel Tripp kann sich das Grinsen nicht verkneifen. Wenige Stunden später verkündet er über Twitter „Erstmals hat ein Gericht heute wegen einem(!) Faustschlag auf gefährliche Körperverletzung erkannt – natürlich bei einem Nationalisten!“ Damit spielt er auf die anfängliche Argumentation von Albert R.s Verteidiger an, dass ein Schlag laut BGH-Urteilen für einen Tatvorwurf der gefährlichen Körperverletzung nicht ausreiche.
Man mag die Gefühle erahnen, die Familie und FreundInnen von Florian überkommen, als der von seinen Freunden bejubelte Albert R. an ihnen vorbei aus dem Gerichtssaal schreitet. Zu Ruhe wird Florians Familie auch weiterhin nicht kommen. Doch das Urteil ist noch nichts rechtskräftig. Bis zum 5.11.2010 steht es beiden Seiten frei Rechtsmittel einzulegen.
Wenige Zeit später an einer Tankstelle am Stadtrand von Chemnitz. Der Tross um Manuel Tripp und Albert R. hat sich um ihre Autos versammelt und begießt seinen Sieg mit Bier.
Albert R. hat derweil einen weiteren Gerichtsmarathoon vor sich. Wegen Beteiligung an einem Brandanschlag auf den Proberaum der Punkband Fallobstfresser in Burgstädt im Januar 2009 muss er sich neben drei weiteren Neonazis, z.T. aus dem Umfeld der verbotenen Nazi-Kameradschaft Sturm 34, verantworten.
Ich könnte kotzen.
Alterta!