Vor 30 Jahren gab es in der Bundesrepublik eine furchterregende Reihe von Anschlägen auf die Wohnhäuser und Unterkünfte von eingewanderten und geflüchteten Menschen. Rostock Lichtenhagen mahnt genau wie der Brandanschlag auf das Wohnhaus der Familie Genc in Solingen, bei dem 5 Familienmitglieder getötet wurden.
In diesem rassistisch angeheizten Klima änderte die konservativ-liberale Koalition mit den Stimmen der SPD das Grundgesetz und schaffte das Grundrecht auf Asyl faktisch ab.
Und heute? Heute wird auf Ebene der Europäischen Union über die Abschaffung des Rechtes auf Asyl diskutiert, und auch hierzulande mächtig Stimmung gemacht, von Rechtsaußen bis zur CDU, namentlich auch dem Ministerpräsidenten Kretschmer.
Heute liegt uns ein Pamphlet der AfD-Fraktion vor, das die Hetze zusammenfasst. Im Duktus erinnert es stellenweise an die neonazistische NPD, die den Ausländerbeauftragten seinerzeit ebenfalls zum Rückführungsbeauftragten umgestalten wollte. Hier zeigen sie wohl auch dem letzten Demokraten in diesem Land, wessen Geistes Kind sie sind.
Rede zu einem rassistischen Pamphlet der AfD für eine Rückführungsoffensive
Da die Verfasser nicht mal in der Lage sind die Zahlen Schutzsuchender in Sachsen auszurechnen, geben wir mal Nachhilfe: 18.474 Schutzsuchende sind im vergangenen Jahr nach Sachsen gekommen, Hauptherkunftsländer sind Syrien, Venezuela, Türkei, Afghanistan – Länder in denen Krieg und Verfolgung bittere Realität sind. Der Anteil von Menschen ohne deutschen Pass liegt in Sachsen bei 5,7 % und damit weit unter dem Bundesdurchschnitt.
Diese Zahlen überfordern dieses Land wohl kaum. Wir meinen: Sachsen hat Platz und Potential diese Menschen würdig aufzunehmen und zu behandeln.
Um es deutlich zu sagen: Wir lehnen ihr menschenverachtendes Maßnahmebündel ab.
Wenn wir den Äußerungen des Ministerpräsidenten in den letzten Wochen aufmerksam zugehört haben, müssen wir allerdings konstatieren, dass dieser die inhumanen Rechtsaußenphantasien von Abschottung, Entrechtung und Abschiebung noch überbieten will. Dem erteilen wir ebenso eine klare Absage und richten uns direkt an Herrn Kretschmer: Stellen sie den Wettlauf mit den Rassisten ein! Werden Sie zum Vorreiter einer zumindest pragmatischen Migrationspolitik in Sachsen.
Als Linksfraktion fordern wir eine Bleiberechtsoffensive für Sachsen. Das gebieten nicht nur Humanität, sondern auch Pragmatismus und Verantwortung für die Zukunft des Landes!
Lassen Sie mich dies an drei Beispielen verdeutlichen:
1. Derzeit wird bis über die Grenzen der Bundesrepublik auf Sachsen geschaut. Die Familie Pham/ Nguyen durchläuft seit Monaten eine wahre Tortur um ihr Bleiberecht. Familienvater Pham Phi Son kam 1987 als DDR-Vertragsarbeiter nach Deutschland und lebt inzwischen über 35 Jahre in Sachsen. Drei Jahrzehnte arbeitet er, zahlt Steuern und wohnt seit einigen Jahren mit seiner Partnerin Hoa Nguyen und der inzwischen 6-jährigen Tochter Emilia in Chemnitz. Er machte 2017 den Fehler zu lange in seinem Herkunftsland Vietnam zu bleiben, unfreiwillig, denn er musste sich einer Behandlung wegen einer Kriegsverletzung unterziehen. Seitdem ringt die Familie nun um ein Bleiberecht und die Angelegenheit wird immer akuter. So wurde die Duldung für Pham erteilt, Frau und Tochter müssen de facto ausreisen.
Es wäre die Aufgabe einer verantwortungsvollen Landesregierung bzw konkret obersten Ausländerbehörde dieses Trauerspiel endlich zu beenden.
2. Im September letzten Jahres sollte der 26-jährige staatenlose Mohammed K. aus Leipzig abgeschoben werden, die Abschiebung mißlang auch aufgrund massiver Proteste. Mohammed lebte zu dem Zeitpunkt 7 Jahre in Deutschland, und war geschätzter Kollege beim Lukas-Bäcker in Leipzig, ein Gewerbe das schwer von Fachkräftemangel betroffen ist. Auch sein Aufenthalt hängt weiterhin am seidenen Faden.
3. Und last, not least die Familie Imerlishvili: Acht Jahre lang lebt die neunköpfige Familie in Pirna (Sachsen), im Juni 2021 folgte die Abschiebung und nach Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bautzen musste die Familie aus Georgien zurückgeholt werden.
Wie kann es sein, dass wir Menschen, die hier lange leben, längst Teil der Gesellschaft sind, Menschen, die hier erwerbstätig sind, einer Ausbildung nach- oder in die Schule gehen rausgeworfen werden? Wie kann es sein, dass wir im Reden über die dringend notwendige Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften die Menschen außer Acht lassen, die schon hier sind? All die Menschen mit ihren Chancen und Talenten!
Der seit Jahresanfang geltende Chancenaufenthalt ist ein erster Schritt. Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow forderte kürzlich zurecht seine Ausweitung im Sinne eines echten „Spurwechsels“ für Geduldete und Asylsuchende.
Wir fordern für Sachsen das Ausschöpfen aller Möglichkeiten um hier lebenden geduldeten Menschen einen Aufenthalt zu gewähren. Dazu braucht es allerdings Ausländerbehörden, die ihrer Informations- und Beratungsaufgabe nachkommen, die Ermöglichen statt verhindern. Wir brauchen Landräte, Bürgermeister*innen, die Zuwanderung und Integration mit der Zivilgesellschaft gestalten wollen, und eine Staatsregierung die vorangeht.
Für einen Überbiettungswettbewerb rassistischer Abschottung sind wir nicht zu haben. Wir lehnen den Antrag ab.
Sächsischer Landtag, 1. Juni 2023