Versammlungen entkriminalisieren: Pauschales Vermummungsverbot abschaffen!

In den letzten Monaten wurden hauptsächlich linke Demonstration durch die sächsische Polizei gestoppt, weil einzelne Personen gegen das „Vermummungsverbot“ verstoßen haben sollen – so geschehen unter anderem bei der Demonstration „Stötteritz nazifrei“ am 30. April 2022 oder bei der antifaschistischen Demonstration am 2. Juli 2022 in Taucha. Der Vorwurf lautete, bei hohen sommerlichen Temperaturen eine Kopfbedeckung sowie eine Sonnenbrille in Kombination mit einer Mund-Nasen-Bedeckung zum Schutz vor einer Corona-Infektion getragen zu haben. Bei der Demonstration gegen den Bundesparteitag der AfD in Riesa waren derartige Kombinationen sogar per Auflage untersagt. Eine belastbare Gefahrenprognose der Behörden fehlte. 

Bereits im vergangenen Jahr führte meine Anfrage an das sächsische Innenministerium zu ausweichenden Antworten, was den konkreten Unterschied zwischen einer „Vermummung“ und der damalig noch gängigen Versammlungsauflage, eine „Mund-Nasen-Bedeckung“ zu tragen, ausmache: „Eine Vermummung im Sinne des Versammlungsgesetzes ist darauf gerichtet, die Feststellung der Identität zu verhindern, während eine Mund-Nasen-Bedeckung in Pandemiezeiten infektionsschutzrechtliche Zwecke verfolgt“, so das Innenministerium seinerzeit (https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=6716&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined). 
 
Während der vergangenen beiden Jahre pochten die Behörden immer wieder auf diese absurde, vermeintlich eindeutige Unterscheidung, zumindest dann, wenn es sich nicht um Versammlungen von Corona-Leugner*innen handelte (https://jule.linxxnet.de/le0711-war-absehbar-behoerden-haben-verschwoerungsideologinnen-und-extrem-rechte-des-lokalen-querdenker-ablegers-ueber-monate-gewaehren-lassen-13-11-2020/). 
Immer wieder kam es vor, dass Versammlungen stoppen mussten oder ihnen eine Auflösung durch die Polizei drohte, wenn vermeintliche Vermummungen nicht unterlassen würden. Zudem hatten sich immer wieder Personen wegen des Vorwurfs der rechtswidrigen Vermummung einschüchternden Identitätsfeststellungen zu unterziehen. Nicht selten entschieden Staatsanwaltschaften und Gerichte erst Monate oder Jahre später abschließend infolge eines von der Polizei in Gang gesetzten Ermittlungsverfahrens wegen der angeblichen Vermummung, dass kein Rechtsverstoß vorgelegen habe. Zu diesem Zeitpunkt sind die Daten der Betroffenen nichtsdestotrotz bereits erfasst und stehen jahrelang in den polizeilichen Datenbanken, wie Auskunftsersuchen von politisch Engagierten regelmäßig ergeben. 
 
Die Antwort auf eine erneute Kleine Anfrage in diesem Jahr macht deutlich, dass der Tatbestand des „Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz wegen Vermummung“ in den letzten Jahren vor allem dafür genutzt worden ist, die polizeiliche Kriminalitätsstatistik mit Einträgen in der Rubrik „links“ zu füllen (https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=9887&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined). Doch auch darüber hinaus stellt die in Corona-Hochzeiten gängige Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung das Vermummungsverbot grundsätzlich infrage. Nicht selten machte die Polizei eben keinen Unterschied zwischen notwendigem Gesundheitsschutz und vermeintlicher Vermummung, und unterstellte, dass individuelle Schutzmaßnahmen den Tatbestand der Vermummung erfüllten. Zudem ist die pauschale Unterstellung, dass das Verhüllen des Gesichts oder von Gesichtsteilen dem Zwecke der Begehung von Straftaten und in diesem Zusammenhang der Verhinderung der Identitätsfeststellung dienen würde, zweifelhaft. Schließlich gibt es zahlreiche plausible Argumente für das anonyme Demonstrieren, sei es zum Schutz vor Identifizierung durch Arbeitgeber*innen, zum Schutz vor aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen oder zum Schutz vor Bedrohung durch Neonazis. Mehr noch aber ist die anonyme Teilnahme an Versammlungen essentieller Bestandteil des Artikel 8 Grundgesetz.
 
Ich spreche mich für ein Ende der Kriminalisierung von linken Versammlungen aus, wie sie besonders in den letzten Monaten vermehrt in Sachsen wegen Vermummungstatbeständen zu beobachten ist. Versammlungen werden den willkürlichen Entscheidungen der Polizei ausgesetzt, die noch nicht einmal beantworten kann, welche Straftaten sie wegen angeblicher oder wirklicher „Vermummung“ nicht aufzuklären vermag. Die Einträge zu Verstößen gegen das Versammlungsgesetz in der Rubrik „links“ der Polizeistatistiken der vergangenen Jahre zeigen deutlich, dass es nicht darum geht, mögliche Straftaten zu verhindern oder aufzuklären. Vielmehr dient § 17 Abs. 2 SächsVersG überhaupt erst als Grundlage für die Kriminalisierung hauptsächlich linker Versammlungen. Dies zeigt auch der Blick in die Geschichte des Vermummungsverbotes. Eingeführt unter einer Koalition aus CDU und FDP war es seinerzeit als Aushöhlung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit heftig umstritten. Trotzdem wurde es in den Folgejahren weiter verschärft und von einer Ordnungswidrigkeit zur Straftat hochgestuft. Schleswig-Holstein hat inzwischen im eigenen Landesgesetz eine Zurückstufung vorgenommen, in Berlin werden Vermummungsverbote dagegen nur noch als Auflagen verhängt  (https://verfassungsblog.de/vermummung-durchsuchung-ausschluss/).
 
Ohnehin entschieden mehrere Gerichte auch bereits vor Corona zugunsten auf Versammlungen temporär vermummter Personen, die ihre Identifizierbarkeit aus Sorge vor systematischem Hineinfotografieren in Demos etwa durch Neonazis verunmöglichen wollten – und werteten in diesem Zusammenhang die Vermummung quasi als „antifaschistischen Selbstschutz“. In Hannover entschied die Polizei  im November 2019 etwa, dass eine „Vermummung“ auf einer Demonstration der NPD ebenfalls in Ordnung sei, um sich vor Fotos von Journalist*innen zu schützen (https://taz.de/NPD-Demo-gegen-Journalisten/!5642809/).
 
Ich fordere daher die Streichung von § 17 Abs. 2 des Sächsischen Versammlungsgesetzes. Menschen haben ein Recht darauf, sich vor Corona, dem Wetter oder anderen Zumutungen zu schützen und anonym zu demonstrieren, ohne dafür mit Strafverfahren überzogen zu werden.

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