Mit einem Antrag (Drs 7/9269) hat die Linksfraktion im Sächsischen Landtag die Abschaffung von Ersatzfreiheitsstrafen zugunsten von Prävention und gemeinnütziger Arbeit gefordert. Zudem müssen Bagatelldelikte wie das Fahren ohne Fahrausweis entkriminalisiert werden.
Ersatzfreiheitsstrafen treffen vor allem ökonomisch Benachteiligte. Armut darf nicht durch den erheblichen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte persönliche Freiheit bestraft werden! Meine Rede zum Nachschauen und -lesen:
Die Corona-Pandemie war und ist auch für den Strafvollzug – sowohl für Gefangene, deren Angehörige als auch für Bedienstete – eine große Belastungsprobe.
Eine gewisse Entspannung stellte dabei die Aussetzung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen dar. Denn somit konnte in den Justizvollzugsanstalten der Platz geschaffen werden, der es ermöglichte, wirksame Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Gefangenen und Bediensteten umzusetzen, oder sogar einen sinnvollen Normalbetrieb zu gewährleisten.
Über 1500 Ersatzfreiheitsstrafen sind im Jahr 2021 vollstreckt worden – trotz temporärer Aussetzung infolge der Corona-Pandemie. Viele hunderte Menschen kamen also ins Gefängnis, um ihre Geldstrafe abzusitzen. Bundesweit lässt sich in den letzten Jahren die Zunahme von Ersatzfreiheitsstrafen konstatieren – und auch hier gibt es ein Ost-West-Gefälle: Im Osten machen Ersatzfreiheitsstrafen 13% aller Freiheitsstrafen aus, während deren Anteil im Westen lediglich 10% beträgt.
Doch nicht allein, weil es den Strafvollzug entlastet, plädieren wir für die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe. Sie ist im juristischen Diskurs hoch umstritten;
Ohne dass ein Gericht erneut darüber entscheiden müsste, verwandelt sich eine verhängte Strafe von zu zahlenden Tagessätzen automatisch in eine anzutretende Haftstrafe. Besonders im Strafbefehlsverfahren, also ohne Anklage und Verhandlung, ist das verfassungsrechtlich bedenklich. Denn in einem Rechtsstaat obliegt es dem oder der Richterin, sich ein persönliches Bild vom Angeklagten zu machen und darauf basierend eine Entscheidung über dessen Freiheitsentziehung zu treffen. Dies entfällt in der Kombination von Strafbefehlsverfahren und Ersatzfreiheitsstrafe. Der Richtervorbehalt wird faktisch ausgehöhlt.
Und das ist besonders erheblich, da von der Ersatzfreiheitsstrafe vor allem ökonomisch benachteiligte, einkommens- und vermögensarme Menschen betroffen sind. Armut wird hier faktisch mit Freiheitsentzug – der härteste Eingriff in die grundgesetzlich garantierte persönliche Freiheit – bestraft. Der Jurist Ronen Steinke spricht in diesem Zusammenhang von „Klassenjustiz“. Vor dem Gesetz seien eben nicht alle gleich. Und die wenigen Daten, die wir kennen, belegen das: So sind etwa laut dem MDR ganze 15% der Ersatzfreiheitsstrafler*innen wohnungslos, andere Daten sprechen von bis zu 40% bundesweit.
Und es beginnt nicht erst beim puren Zahlen oder Nichtzahlen der Geldstrafe. Die Wahrnahme von Verfahrensrechten hängt in diesem Land in hohem Maße vom sozialen Status ab.
Nun kann ich mir ihre Reaktion auf unsere Forderung nach Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe schon gut ausmalen: Geldstrafen lassen sich doch auch in gemeinnützige Arbeit umwandeln. Mehr als 1800 Personen haben das 2021 auch getan.
Aber für Menschen in prekären Lebenslagen ist auch dies häufig eine große Hürde. Wer Suchtprobleme, Schulden oder keine Wohnung hat, wird oft weder die Ressourcen, noch die Kraft besitzen, auf entsprechende Gerichtsschreiben zu reagieren, mögliche Einsatzstellen abzutelefonieren oder es zum Einsatzbeginn zu schaffen.
Weitere Fragen spielen eine Rolle: Gibt es genug Arbeitsstellen, die Arbeitsdienstler*innen betreuen können, und sind die Sozialdienste gut genug ausgestattet, dass sie die Betroffenen adäquat beraten und begleiten können?
Welche konkreten Delikte sind es nun, aufgrund derer die Menschen mit Geldstrafen belegt werden, die in vielen Fällen doch zu Haftstrafe führen?
Die Liste ist lang, zahlenmäßig stechen kleinere Eigentumsdelikte wie Ladendiebstahl, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bis hin zur Erschleichung von Leistungen heraus. Wenn man diese Liste analysiert, fällt ins Auge, dass es einerseits Delikte gibt, die entkriminalisiert gehören, und andererseits jene, für die andere Sanktions-, vor allem aber Präventionsmaßnahmen gefunden werden müssen.
Zu denen, die in unseren Augen entkriminalisiert gehören, zählen kleinere BTMG-Delikte und das Fahren ohne gültigen Fahrausweis. Es ist absurd, wenn klimafreundliche Mobilität landauf landab als notwendiges Mittel angepriesen wird, ökonomisch benachteiligte Menschen aber wegen deren Nutzung sanktioniert werden und sich beim mehrmaligen Verstoß strafbar machen. Hier müssen andere Instrumente her, zum Beispiel die entgeltfreie Nutzung des Öffentlichen Verkehrs.
Wir fordern mit unserem Antrag den Einsatz der Staatsregierung für eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen auf Bundesebene und die Streichung des Straftatbestands der Erschleichung von Beförderungsleistungen aus dem Strafgesetzbuch. Ersatzfreiheitsstrafen sind ungerecht, laufen dem Grundsatz der Resozialisierung zuwider, belasten den Strafvollzug und auch den Staatshaushalt. Im Jahr 2021 sind in Sachsen dafür 9,8 Millionen Euro aufgewendet worden, davon 1,2 Millionen Euro für das Fahren ohne Fahrausweis. Eine stattliche Summe.
Nun proklamieren die Koalitionsverträge des Landes und auch des Bundes, dass Ersatzfreiheitsstrafen „vermieden“ bzw. „überarbeitet“ werden sollen. Allerdings gab es bereits in der vorangegangenen Legislatur eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich mit der Vermeidung und Alternativen zur Ersatzfreiheitsstrafe befasste. Ergebnisse sind hier nicht bekannt.
Wir müssen bei diesem drängenden Thema endlich einen Schritt vorankommen und die vielen Argumente und empirischen Belege für die Untauglichkeit von Ersatzfreiheitsstrafen ernst nehmen. Alle Bemühungen der letzten Jahre haben nicht zur Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafen geführt: im Gegenteil ist vielmehr ein Anstieg zu verzeichnen. Lassen wir uns doch von anderen europäischen Ländern inspirieren: In Dänemark und Schweden etwa darf im Fall von Zahlungsunfähigkeit keine Haftstrafe angeordnet werden – die Ersatzfreiheitsstrafe ist dort seit 1983, also nahezu vierzig Jahren, praktisch abgeschafft.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und will noch einmal unterstreichen: Mit einer reinen Abschaffung dieses Instruments ist es nicht getan. Sozialdienste und soziale Träger, die Straffällige begleiten, müssen gestärkt, und Bagatelldelikte müssen entkriminalisiert werden. Und last but not least muss es in diesem Land eine sozial gerechte Politik geben, die Armut und Wohnungslosigkeit verhindert und damit Maßnahmen in den Vordergrund stellt, die Menschen in die Lage versetzen die Spirale von Schulden, Sucht und wiederkehrender Straffälligkeit zu durchbrechen.