Die Debatte um die corona-bedingten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in Sachsen gewinnt derzeit an Fahrt. Die (gesellschaftliche) Linke bleibt in dieser Debatte viel zu leise und beschränkt sich weitestgehend auf die Kritik an fehlenden Eingriffen der Polizei gegen Querdenker-Proteste. Warum es aus meiner Sicht eine Ausweitung der Versammlungsfreiheit in Sachsen bedarf und die Debatte nicht den Rechten und Polizei-Lobbyist*innen überlassen werden sollte. Gründe für Versammlungen gibt es derzeit viele, jenseits der dumpfen, demokratieverachtenden der Querdenker und Co.
Die Debatte um die corona-bedingten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in Sachsen gewinnt an Fahrt. Inzwischen fordert die Gewerkschaft der Polizei eine Lockerung der strengen Regeln, der Innenminister Roland Wöller lenkt ein. Die faschistische AfD hat für den 5. Januar sogar eine Sonderlandtagssitzung zum Thema beantragt.
Die Linke bleibt in dieser Debatte leise, viel zu leise und beschränkt sich weitestgehend auf die Kritik an fehlenden Eingriffen der Polizei gegen Querdenker-Proteste.
Auch ich plädiere für eine Ausweitung der Versammlungsfreiheit. Aus ganz anderen Gründen als Polizei-Lobbyist*innen oder Faschisten.
Schon seit November 2021 ist in Sachsen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt, so stark wie in keinem anderen Bundesland. Seit Erreichung der so genannten Überlastungsstufe im November dürfen Versammlungen nur noch ortsfest, also stationär, und mit maximal 10 Teilnehmenden, stattfinden. Aufzüge dürfen nicht, oder nur bei Gewährung einer Sondergenehmigung durchgeführt werden. Die Chancen auf eine solche Sondergenehmigung stehen eher schlecht und sind im Zweifelsfall mit einem Gang vors Verwaltungsgericht verbunden. Dies stellt für Veranstalter*innen eine hohe Hürde und auch ein finanzielles Risiko dar.
Die Gewerkschaft der Polizei argumentiert aktuell, dass die Polizei mit der Absicherung und Auflösung von Versammlungen überfordert ist. Darum solle die Versammlungsfreiheit wieder ausgeweitet werden (https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/polizeigewerkschaft-forderungen-versammlungsrecht-politik-100.html). Auch der Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar monierte in einem Interview mit der taz (https://taz.de/Polizeipraesident-ueber-Coronademos/!5821120/), dass die Polizei mit der Ahndung der Verstöße bei den zahlreichen Querdenker-Proteste belastet werde und die Wahrnahme des Grundrechtes keine Ordnungswidrigkeit sein dürfe, wie es in der aktuellen Verordnung geregelt wird.
Jetzt, wo die Rechten und ihr Fußvolk landesweit fast täglich auf die Straße gehen, Staat und Demokratie verhöhnen und Gesundheitsschutz mit Füßen treten, sollen die Regeln gelockert werden? Dies ist nicht nur politisch fragwürdig, sondern würde auch auch in der Praxis nicht aufgehen, d.h. nicht zur Entlastung von Ordnungsbehörden führen.
Denn: Die dringend notwendige Gewährung der Versammlungsfreiheit mit größerer Teilnehmer*innenzahl und auch als bewegte Demonstration muss zwingend mit strengen Hygieneauflagen einhergehen. Genau so handhaben es auch andere Bundesländer, indem sie für Versammlungen eine Maskenpflicht, Abstände und Hygienekonzepte mit beispielsweise Zu- und Abgangsregeln beauflagen. Unter genau dieser Prämisse sollte auch das Land Sachsen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wieder umfänglicher gewähren. Dies würde allerdings für Ordnungs- und Gesundheitsämter sowie die Polizei auf der Straße mehr oder genau so viel Aufwand bedeuten. Denn insbesondere bei den Aufmärschen der Corona-Leugner*innen werden Corona-Auflagen eben nicht eingehalten, was wiederum strafbewehrte Ordnungswidrigkeiten bedeuten würde. Ordnungsämter könnten, wenn zu erwarten ist, dass angemeldete Versammlungen die Gesundheitsschutzauflagen nicht erfüllen allerdings zu Auflagen oder gar Verboten greifen.
Von der Ausweitung der Versammlungsfreiheit würden vor allem die Vernünftigen profitieren, die die achtsam und verantwortungsvoll mit ihrer Gesundheit und der der anderen umgehen, die Masken tragen, auf Abstand achten und kooperieren.
Gründe für Versammlungen gibt es derzeit viele, jenseits der dumpfen, demokratieverachtenden der Querdenker und Co: Proteste gegen das Ausbluten der Gesundheitsversorgung und der dort Arbeitenden, Arbeitskämpfe von Beschäftigten (die in den letzten Wochen wie die Arbeitenden der des Teiglingswerks in Dommitzsch von Sachsen auf andere Bundesländer auswichen), kollektive Meinungsbekundungen aus dem Gastro- und Veranstaltungsgewerbe, deren Existenz durch die inkonsistenten Corona-Regeln akut gefährdet ist, Eltern und Kinder, die den Umgang mit Bildungseinrichtungen in Corona-Zeiten kritisieren etc. Aber auch Debatten um beispielsweise die Impfpflicht müssen auf der Straße ausgetragen werden können.
Das Versammlungsrecht ist keine Sache von rechten Coronaleugnern, sondern ein universelles Grundrecht, ein zentraler Pfeiler einer freiheitlichen Gesellschaft mündiger Menschen. Es gibt keine belastbaren Daten dazu, dass Versammlungen unter freiem Himmeln unter Einhaltung der allgemeinen Hygieneregeln zu Infektionen beigetragen hätten. Eingriffe in so wertvolle Grundrechte wie das der Versammlungsfreiheit müssen verhältnismäßig sein. Die derart strikte Reglementierung von Versammlungen ist es nicht. Im Gegenteil ist sie schädlich für die demokratische Kultur und eine lebendige Gesellschaft. Es bedarf doch gerade jetzt kollektiver Orte des Meinungsstreits jenseits der ermüdenden digitalen Formate.
Wer Grundrechte opfert, weil sie auch von Rechten, wie Querdenkern und Co wahrgenommen werden, wählt das falsche Mittel im Umgang mit Demokratiefeinden und schwächt vor allem die Vernünftigen, die Solidarischen und nicht zuletzt den demokratischen Meinungsstreit.
Bild: la-presse.org