„Say their names“ („Nennt ihre Namen“) schallt es derzeit weltweit und auch auf den Straßen Leipzigs. Es geht um die Namen derer, die zu Tode kamen, weil sie nicht weiß waren, weil sie in den Augen der Täter unwertes Leben sind. George Floyd ist nur einer von ihnen. Die USA sind nicht Deutschland, das wäre zu einfach. Doch Deutschland hat seine eigene Geschichte; der Ausgrenzung, der menschenfeindlichen Ideologien, die auch gewaltsam exekutiert werden. Kassel, Halle und Hanau mahnen.
Meine Rede zum Antrag der Linksfraktion „Würdiges Gedenken an Todesopfer rechter Gewalt in Leipzig“ in der Ratsversammlung am 17. Juni 2020
Leipzig ist die Stadt in Sachsen mit den meisten rechts motivierten Morden seit 1990. Es sind mindestens acht, in ganz Sachsen werden 19 gezählt.
2010 wurde der damals 19-jährige Kamal am Hauptbahnhof erstochen, die Täter sind aktive Neonazis. Der Mord wird als rassistisch motiviert anerkannt.
1998 wurde der portugiesische Zimmermann Nuno Lourenco von einer Gruppe Neonazis, die aufgrund eines verlorenen Fußballspiels der deutschen Nationalmannschaft durch die Straßen marodieren, in Gaschwitz bei Leipzig schwer verprügelt. Er starb wenige Monate später an den Folgen. Er wird als Opfer rechter Gewalt offiziell anerkannt.
Ebenso wie Achmed Bachir, der 1996 in einem Gemüseladen auf der Karl-Liebknecht-Straße erstochen wird. Er intervenierte, als Rechte seine Kollegin rassistisch beleidigten und bezahlte dafür mit seinem Leben. Die Anerkennung als Opfer rechter Gewalt erfolgte im Falle Bachirs jedoch erst 2012, im Zuge einer Nachüberprüfung infolge der NSU-Mordserie.
Rassismus ist allerdings „nur“ ein Motiv in einem breiten Spektrum an Ideologien der Ungleichwertigkeit.
So wurde Bernd Grigol ebenfalls 1996 in Leipzig-Wahren von Neonazis aufgrund seiner sexuellen Orientierung misshandelt und getötet. Bis heute: nicht offiziell anerkannt. Ebenso wenig wie der Mord an dem wohnungslosen Karl-Heinz Teichmann, der 2008 am Schwanenteich mehrfach von Besuchern einer Neonazidemonstration malträtiert wird, woraufhin er wenig später starb. Und ebenso wenig sind es Horst K. und Klaus R., die 1994 und 1995 einen gewaltsamen Tod starben.
Die Diskrepanz zwischen offiziell anerkannten rechten Morden und den von NGO so kategorisierten ist frappierend. 109 zählt die Bundesregierung, 208 die Amadeu-Antonio-Stiftung.
Um die Frage der Anerkennung der Morde bzw. Tötungsdelikte gibt es eine lange politische Auseinandersetzung. Kritisiert werden von NGO und Journalist*innen unter anderem die von offiziellen Stellen im Zuge der Ermittlungen unterlassene Einbeziehung der Perspektiven von Angehörigen und persönlichen Umfeldern der Opfer, die mangelnde Sensibilität der Ermittlungsbehörden für rechte Tatmotive und die Verengung einer möglichen rechten Motivation auf tatauslösende und tatbestimmende Faktoren, nicht aber auf deren tatbegleitende bis tateskalierende Rolle.
Exemplarisch dafür steht der Mord an Kamal Kilade. Obwohl beide Täter der extrem rechten Szene angehörten, sah die die Ermittlungen führende Staatsanwaltschaft kein rassistisches Motiv für die Tat. Schließlich hatten die Täter als sie auf Kamal losgingen nicht „Sieg heil oder Ausländer raus“ gebrüllt. Nur durch die intensive öffentliche Begleitung des Ermittlungsverfahrens, die emphatische Einbeziehung und Sichtbarmachung von Familie und Freund*innen des Ermordeten und durch das akribische Agieren der Nebenklagevertreter*innen konnte die offenkundige rechte Gesinnung der Täter als tragend für den Gewaltakt herausgearbeitet werden und fand Eingang in den Urteilsspruch des Landgerichtes.
Die offizielle Anerkennung einer rechten Tatmotivation kann die Gewalttaten nicht ungeschehen machen, doch damit wird den Opfern ein Gesicht gegeben und Erinnerung und Mahnung ermöglicht. Zudem wird durch die Aufarbeitung dieser Gewalttaten die existenzielle Bedrohung von Menschen, die Zielscheibe von Neonazis und Ideologien der Ungleichwertigkeit werden, sichtbar gemacht.
Während die offiziellen Stellen in Bund und Land eine grundlegende Reform der Erfassung und Altfallprüfung von Tötungsdelikten unter Einbeziehung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft verweigern, sind es engagierte Menschen und Initiativen, die Zeitungsartikel recherchieren und so weit wie überhaupt möglich Akten wälzen. Auch hier in Leipzig beispielsweise der Initiativkreis Antirassismus mit seiner Ausstellung „Die vergessenen Toten“.
Mit unserem Antrag wollen wir das schwierige und schmerzhafte Thema ins Blickfeld rücken. Die Aufarbeitung der rechts motivierten Morde in Leipzig soll mit der Schaffung eines würdigen Gedenkens an die Opfer einhergehen. Dabei ist uns wichtig, soweit wie möglich Angehörige/ Hinterbliebene einzubeziehen. An die Vorarbeiten, die Initiativen in Leipzig und darüber hinaus bereits geleistet haben, soll angeknüpft werden. Es reicht uns jedoch nicht mehr, das Thema als eines von vielen Projekten in das lokale Demokratieförderprogramm abzuschieben. Es braucht mehr. Es braucht ein Anerkenntnis, dass auch in dieser Stadt rechte Netzwerke ihr Unwesen treiben, dass Rassismus, Homosexuellenfeindlichkeit, Antisemitismus oder die Abwertung von Wohnungslosen in Teilen der Stadtgesellschaft verankert sind. Es braucht Orte der Mahnung, um die Dimension menschenfeindlicher Einstellung sichtbar zu machen; es braucht nicht zuletzt auch Orte, an denen Hinterbliebene ihren Schmerz teilen können.
Der Antrag wurde nach einer heftigen Debatte im Sinne des Verwaltungsstandpunkts angenommen