Sachsen Regierung plant die Verschärfung des Polizeigesetzes. Im Schlepptau der Anpassungen des hiesigen Gesetzes an die neuen EU-Datenschutzregelungen soll das Polizeirecht auf den Kopf gestellt werden.
In dem geleakten Referentenentwurf, der sich derzeit in der internen Anhörung bei Verbänden, Organisationen und in den Landkreisen befindet, findet sich buchstäblich allerlei Sprengstoff.
Die Polizei soll massiv aufgerüstet werden: für Spezialeinheiten soll die Verwendung von Handgranaten und Maschinengewehren erlaubt werden. Durch diese faktische Militarisierung der Polizei würde das grundgesetzlich verbriefte Verbot des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren aufgeweicht werden. Szene wie im September letzten Jahres in Wurzen, als schwer bewaffenetes SEK ein paar Hundert Antifaschist*innen gegenüber stand oder in Hamburg, wo SEK aus Sachsen schweres Gummimutiongeschütz gegen Menschen auffuhr, könnten dann Standard werden.
Schwer wiegt ausserdem die massiv Erweiterung polizeilicher Eingriffsbefugnisse: die Videoüberwachung soll massiv ausgeweitet bzw. die Schwellen für deren Einsatz herabgesenkt werden, laut bisherigem Polizeigesetz ist dies nur an „gefährdeten Objekten“ bzw. „gefährdeten Orten“ möglich, in Zukunft soll die „deutliche Erhöhung der Kriminalitätsbelastung“ ausreichen. Im 30-Kilometer-Umkreis des Grenzgebietes, das weite Teile Sachsens ausmacht, soll die so genannte „intelligente „ Videoüberwachung mit Gesichtserkennung ermöglicht werden, die die erhobenen Daten mit einer „Gefährderdatenbank“ abgleicht. In dieser Datenbank kann sich jede und jeder schnell wiederfinden. Denn der – rechtlich nicht definierte – Begriff des/der GefährderIn wird mit dem Gesetzesentwurf massiv ausgeweitet.
Ebenso eingeführt werden die elektronische Fussfessel, die Schwellen für die Verhängung von Meldeauflagen, Kontaktsperren und Wohnungsdurchsuchungen sollen gesenkt werden. Ermächtigt wird die Polizei ausserdem zu „präventiver“ Kommunikationsüberwachung, Sprich: Dem Mithören laufender Telefongespräche oder Mitlesen von SMS und Emails. So genannte IMSI-Catcher können zudem zum Aufspüren von Kommunikationsmitteln und zur Unterbrechung von Gesprächen zum Einsatz kommen. Und das nicht wie bisher im Bereich der Strafverfolgung, wie sie in der Strafprozessordnung bereits jetzt für bestimmte Straftatkonstellationen geregelt sind, sondern im sowieso sensiblen Bereich der Gefahrenabwehr.
Der rote Faden, den das Gesetz durchzieht und der der Kern der Kritik daran, ist die Verlagerung polizeilicher Befugnisse weit ins Vorfeld des Verdachts auf eine konkrete Straftat.
Üblicherweise ist bisher eine „konkrete Gefahr“ erforderlich, um polizeiliches Eingreifen zu rechtfertigen, die aber einen nach allgemeiner Lebenserfahrung ungewöhnlichen Zustand erkennen lassen muss, der sofortigen Handlungsbedarf zur Schadensabwehr plausibel erscheinen lässt.
Bislang war das Gegenstück zur „konkreten Gefahr“ die „abstrakte Gefahr“ – hier eben besteht diese Situation der unmittelbaren Eingriffsnotwendigkeit zur Abwehr eines wahrscheinlichen Schadenseintrittes gewöhnlich NICHT und polizeiliches Eingreifen ist dadurch nicht ermächtigt. Diese Ermächtigung wird aber nun über den einer weiten Auslegung zugänglichen Begriff der „drohenden Gefahr“ erteilt, was einer inflationären Auslegung und Anwendung zur Rechtfertigung polizeilicher Eingriffe weit im Vorfeld irgendwelcher tatsächlich erkennbaren Gefahrensituationen Tür und Tor öffnet: Personen, „bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in absehbarer Zeit eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung begehen werden“ können in Zukunft ins polizeiliche Visier genommen und mit den angetippten Grundrechtseingriffen überzogen werden. Somit wird die Unschuldsvermutung und damit ein Grundpfeiler des Rechtsstaates ausser Kraft gesetzt. Jede und jeder wird zum Gefährder bzw. zur Gefährderin.
Es ist fakt: Dieses Gesetz braucht entschiedenen Widerstand.
Die geplante Verschärfung des Polizeigesetzes fällt nicht vom Himmel. Sie bettet sich ein in ein Klima der Angstmache: vor Geflüchteten, vor gewaltbereiten und so genannten extremistischen Linken und vor Terroranschlägen. Die Befugnisse von Polizei und Geheimdienst wurden bereits im vergangenen Jahr mit dem BKA-Gesetz massiv erweitert. Daran orientieren sich die vollzogenen Verschärfungen in Bayern und Baden-Württemberg und die geplanten Verschärfungen in Sachsen, Brandenburg, Niedersachsen, Bremen etcpp.
Bei aller Kritik an den Verschärfungen der bestehenden Polizeigesetze dürfen wir nicht vergessen, dass auch der Status quo nicht zufrieden stellen kann. Widerstand gegen die Polizeigesetz-Veränderungen dürfen nicht das Bestehende verteidigen, sondern die Kritik an den Befugnissen der Polizei und am Polizeiapparat an und für sich einschließen.
Nur ein Beispiel dafür sind die Befugnisse der Polizei zu verdachtsunabhängigen Kontrollen in § 19 Sächsisches Polizeigesetz. Bereits jetzt ist das ein wesentliches Einfallstor für repressives, rassistisches und intransparentes Handeln der Polizei, das im wesentlichen weder zur Verhinderung noch zur Aufklärung von Kriminalität beiträgt. Auch jetzt schon darf die sächsische Polizei die als Kriegswaffen eingestuften Mehrzweckpistolen MZP1 für das Verschießen von Reizgas und Gummigeschossen nutzen, was der Polizei per se verboten werden sollte. Auch jetzt wird insbesondere in Leipzig polizeiliche Videoüberwachung massiv eingesetzt. Eine Maßnahme, die Kriminalität nicht verhindert, dafür aber massiv in Grundrechte aller Menschen eingreift.
Sicherheit ist und bleibt ein politischer Spielball, insbesondere konservativer Schattierungen. Doch anstatt darauf hinzuweisen, dass dieses Land sicherer ist als je zuvor. Die Kriminalitätszahlen fallen in fast allen Deliktbereichen. Schwankungen und Erhöhungen sind oft auf eine erhöhte Sensbilität der Bevölkerung und ein höheres Anzeigeverhalten zurückzuführen, wie etwa bei Sexualdelikten. Statt Aufrüstung der Staatsgewalt bedarf es eines mäßigenden Einwirkens auf Kriminalitätsfurcht. Und Abrüstung und demokratische Kontrolle der Polizei.