Jährlich veranstaltet die Parität Sachsen den so genannten Perspektivwechsel. PolitikerInnen legen für einen Tag ihre „Amtsgeschäfte“ ad acta und arbeiten bei einem sozialen Mitgliedsverein das Verbandes. Ich habe mich in diesem Jahr erstmals an dieser Aktion beteiligt und entsprechend meines Themas eine Einrichtung ausgesucht, die sich um die Belange von Geflüchteten und MigrantInnen kümmert: Das Psychosoziale Zentrum (PSZ) für Geflüchtete vom Mosaik e. V. in Leipzig.
Das PSZ in Leipzig wurde im August 2015 eröffnet und ist die erste Einrichtung im Freistaat Sachsen in diesem Bereich. Andere Bundesländer sind diesbezüglich weitaus länger und besser ausgestattet. Inzwischen hat Sachsen zumindest etwas nachgesteuert. Auch in Dresden und Chemnitz gibt es entsprechende Beratungsstellen.
Cirka 40 % der in Deutschland lebenden Geflüchteten haben in ihren Herkunftsländern
traumatisierende Erfahrungen gemacht und Folter erlitten. Die Rate von Posttraumati-
schen Belastungsstörungen ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung etwa zehnmal höher. Entsprechend höher ist auch das Suizidrisiko. Erschwerend kommt die Lebenssituation in Deutschland hinzu. Die Unterbringung in Massenunterkünften, die eingeschränkte
Teilhabe an Bildung, Arbeit, Gesellschaft, Diskriminierungserfahrungen und die einge-
schränkte Bewegungsfreiheit machen den Betroffenen zu schaffen. Hinzu kommt die
monate-, manchmal jahrelange Unsicherheit über den Ausgang des Asylverfahrens oder
gar Ablehnungen und die damit verbundene Angst vor Abschiebungen. Diese komplizierte
Lebenssituation verschärft Traumatisierungen und forciert psychische Erkrankungen.
Und als sei dies noch nicht genug, gibt es erhebliche Einschränkungen bei der medizinischen Versorgung. Zum einen fehlen Früherkennungs-Methoden in Bezug auf die
psychische Gesundheit im Rahmen der Erstuntersuchung. Darüber hinaus ist in den
ersten fünfzehn Monaten der Zugang zur medizinischen Versorgung eingeschränkt.
Geflüchteten wird in dieser Zeit laut Asylbewerberleistungsgesetz lediglich Zugang zu
Notversorgung bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft gewährt. Gerade psychologische Problemlagen und Traumata können so schwierig erkannt, untersucht und vor allem behandelt werden.
Die Psychosozialen Zentren versuchen, diese Lücke zu schließen. Die Wartelisten sind
lang, denn der Bedarf ist riesig. Zudem müssen die Zentren in den drei Großstädten auch
den ländlichen Umlandraum mit abdecken.
Anders als in Dresden und Chemnitz werden in Leipzig neben der Beratung auch Behandlungsmöglichkeiten angeboten. So werden unter anderem Abbrüche vermieden, die
durch die komplizierte Vermittlung zu externen weiterbehandelnden PsychologInnen
oder PsychiaterInnen entstehen.
Was sich nun genau hinter der Arbeit in einem Psychosozialen Zentrum verbirgt, konn-
te ich im November einen ganzen Tag lang erfahren.
Ganz am Anfang steht ein Clearinggespräch. In zwei Sitzungen klären je ein/e Sozialarbei-
ter/in und ein/e Psycholog/in, welche Problemlagen die Person hat. Die doppelte Beset-
zung mit verschiedenen Professionen hat den Zweck, psychische und eher lebensbezogene
Fragen wie Stress mit Behörden, Probleme im Asylverfahren etc. voneinander zu trennen.
Werden psychische Belastungen erkannt, kann eine kleine Zahl von Beratungsgesprä-
chen zur Stärkung und seelischen Entlastung angeboten werden. Auch sozialpädagogische
Unterstützung zur Bewältigung von Alltagsproblemen gehören ins Repertoire. Alle diese
Gespräche, Sitzungen und Beratungen finden zumeist zweisprachig, unter Hinzuziehung
von DolmetscherInnen statt.
Die SozialarbeiterInnen und PsychologInnen treffen regelmäßig zu einzelfallbezogenen
Besprechungen zusammen und erörtern Entwicklungen und weitere Schritte im Sinne ihrer KlientInnen. Weiterhin gibt es Gruppenangebote, beispielsweise zur Stress- und Schmerzbewältigung oder auch zu Fragen von Sucht.
Ich konnte an meinem Perspektivwechseltag an einem Clearinggespräch mit einem neuen Klienten, an einer Einzelberatung sowie an einer Fallbesprechung teilnehmen und
mich zwischendurch von neuen Formen der entspannungsorientierten Behandlung durch
Akupunktur überzeugen lassen.
Am Ende steht für mich fest, dass die im Psychosozialen Zentrum geleistete zielgruppenspezifische Arbeit ungeheuer wichtig ist.
Der Träger Mosaik e. V. bietet neben dem „Alltagsgeschäft“ zudem ein umfangreiches
Repertoire an Fortbildungen an, die sich auch an Fachkräfte aus dem Bereich der medizini-
schen und psychologischen Regelversorgung sowie an MitarbeiterInnen von Asylunterkünften richten.
Der Weg ist noch weit und die Unterstützung des Ausbaus der Strukturen zur psychosozi-
alen und psychotherapeutischen Versorgung von MigrantInnen, die aus verschiedenen
Gründen von der Regelversorgung ausgeschlossen sind, bleibt eine wichtige politi-
sche Aufgabe!
Dezember 2017