Im Februar 2015 hatte der Stadtrat den Ausbau der Massenunterkunft in der Torgauer Straße in Leipzig-Heiterblick beschlossen. Dies war auf vehemente Kritik von Initiativen gestoßen. Der Ausbau des ehemaligen Kasernenareals wird nun statt geplanten 5,7 nun 7 Millionen Euro kosten. Wie ist der Stand der Ausbaus, inwiefern bemüht sich die Stadt an tatsächlich menschenunwürdigen, kleinteiligen und individuellen Wohnmöglichkeiten festzuhalten?
Update: Am 7. und 9. Juli finden Informationsveranstaltungen der Stadt zu den Notunterkünften in der 3. und der Pablo-Neruda-Schule statt. Es kursiert bereits ein Flugblatt, mit dem rassistisch Stimmung gegen diese Vorhaben gemacht wird.
Im Juli 2012 hatte der Stadtrat nach intensiver und zum Teil aufgeheizter Debatte ein Unterbringungskonzept für Geflüchtete in Leipzig beschlossen. Dieses folgte Vorschlägen aus der Zivilgesellschaft und einem Antrag von LINKER und Grünen. Kern des Konzeptes war die Abkehr von Großunterkünften am Stadtrat hin zu kleinteiligen Heimen im Stadtgebiet und eine Ausweitung der Möglichkeit in eigenen Wohnungen zu leben. Mit Abschluss der Errichtung der kleinen Heime sollte insbesondere das Lager in der Torgauer Straße 290 geschlossen werden.
Dieser Plan wurde angesichts steigender Flüchtlingszahlen, mangelnder alternativer Häuser und zu zögerlichen Bemühungen die so genannte dezentrale Unterbringung aka selbstbestimmtes Wohnen in Wohnungen auszuweiten, fallen gelassen.
Der Initiativkreis Menschenwürdig und die neu gegründete Initiative Willkommen im Kiez kritisierten im Februar dass es genug Potentiale jenseits der Torgauer Straße gäbe, zum Beispiel bei Genossenschaften, Hausprojekten und anderen VermieterInnen.
Drei Monate nach dem Beschluss über die Erweiterung der Torgauer Straße fragte die Linksfraktion im Stadtrat nach. Wie steht es um den Ausbau der Torgauer, wie um alternative Wohnmöglichkeiten, beteiligt sich die Stadt an sachsenweiten Netzwerken und inwiefern können neue Förderrichtlinien des Freistaates bei der Verstärkung des dezentralen Wohnens genutzt werden…
Der Ausbau der Torgauer Straße beginnt Ende Juni 2015 und soll Ende 2016 abgeschlossen sein. Die Argumentation, dass es ohne den Ausbau Probleme bei der Unterbringung der neu zugewiesenen Geflüchteten geben würde – 2015 sollen bis zirka 2700 Menschen nach Leipzig kommen – haut also nicht hin. Dies zeigen nicht zuletzt die beiden Notquartiere in der Pablo-Neruda und der 3. Grundschule, die ab 1. August 2015 bezogen werden sollen. In der Schule in der Südvorstadt sollen bis 31. Mai 2016 maximal 200 Menschen unterkommen, in der Schule im Zentrum Südost bis 28. Februar 2017 maximal 130. (siehe meine Pressemitteilung zum Thema unten).
Vor den geplanten Informationsveranstaltungen am 7. Juli 19:00 im Speiseraum des Neubaus der 3. Schule, Scharnhorststraße 24 und am 9. Juli 19:00 in der Aula des Reclamgymnasiums, Tarostraße 4 kursiert ein Flugblatt, mit dem rassistisch Stimmung gemacht wird. Im Nazi-Slang werden gezielt Unwahrheiten formuliert. „Sagt nein zu „Asylunterkünften“ und „Erstaufnahmestellen“ in Wohn- und Schulgebieten!“ heißt es dort mit dem Appell diese Meinung auf den Veranstaltungen zu vertreten. Das Flugblatt ist 1:1 von einem Internetauftritt von der Nazipartei „DIE RECHTE“ kopiert.
Grund genug auf den Veranstaltungen anwesend zu sein und für Offenheit zu werben.
Weitere Unterkünfte, die in diesem Jahr in Betrieb gehen sollen, sind Wohnhäuser in der Wilhelminenstraße (Gohlis), Naumburger Straße (Plagwitz) und in der Sommerfelder Straße (Stötteritz). Ein weiteres Wohnhaus in der Wiebelstraße (Volksmarsdorf/ Anger Crottendorf) wurde vor kurzem bezogen. Auch die schon länger beschlossenen Unterkünfte in Schönefeld, Möckern und Dölitz sollen noch in diesem Jahr kommen. Mit all diesen kleinen Unterkünften, die der Idee eines menschenwürdigen Wohnens entsprechen, finden mehr als 350 Menschen Platz. Übrigens soll auch das Heim in der Riebeckstraße 63, wo jetzt 110 Menschen Platz finden, durch die Inbetriebnahme eines weiteren Hauses erweitert werden.
Wiederholt meint die Stadt in Antwort auf die Anfrage, dass das Wohnen in Genossenschaftswohnungen außer bei der „Kontakt“ und der Baugenossenschaft Leipzig aufgrund der zu erwerbenden Genossenschaftsanteile rechtlich nicht machbar wäre. Die Genossenschaften verweisen auf einen Leerstand von mehr als 3000 marktaktiven Wohnungen in Leipzig. Stellt sich die Frage ob nicht wo ein Wille ist, auch ein Weg wäre.
Eine weitere Baustelle sind die privaten VermieterInnen. Auf dem Immobilienkongress „Real Estate Mitteldeutschland“ im April zeigten die ImmobilienvertreterInnen – sicher nicht ganz uneigennützig – großes Interesse an der Unterstützung des menschenwürdigen Wohnens von Geflüchteten. An dem aus diesem Kreis initiierten Netzwerk „Ankunft – Zukunft – Sächsische Wohnungs- und Immobilienwirtschaft für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen“ beteiligt sich die Stadt nicht, weil der Mehrwert „derzeit als eher gering eingeschätzt“ wird.
Die Förderprogramme von Bund und Land zur Stadtentwicklung wurden im März 2015 vor dem Hintergrund der steigenden Zahl von Asylsuchenden auch für die Ertüchtigung von Wohnungsleerstand zur dezentralen Unterbringung geöffnet. Der Freistaat übernimmt den kommunalen Eigenanteil in Höhe von einem Drittel. Mit der Richtlinie „Nachhaltige soziale Stadtentwicklung“ können zudem integrative Maßnahmen finanziert werden. Laut Antwort ist die Stadtverwaltung bemüht die beiden Förderstränge für Leipzig nutzbar zu machen, die Erfolgsaussichten sind jedoch unklar.
Unterm Strich bleibt viel zu tun um Geflüchteten in Leipzig eine akzeptable, vor allem aber würdige und selbstbestimmte Wohnsituation zu ermöglichen. Der Beschluss über die Erweiterung der Torgauer Straße – einer Massenunterkunft am Stadtrand im Gewerbegebiet – war und ist ein Schritt in die falsche Richtung. Es gilt die Potentiale auszuschöpfen, die sich auf dem Wohnungsmarkt und in der Zivilgesellschaft in Leipzig finden. Sowohl in Sachen Bereitstellung und Vermittlung von Wohnungen als auch bei den Bemühungen zur Inklusion von Asylsuchenden in die Stadtgesellschaft. In diesem Zusammenhang kann auf die Initiative „Connewitz für Geflüchtete“ hingewiesen werden, die den Neubau eines Wohnhauses für Asylsuchende fordert.
>>> zur Antwort auf die Anfrage „Unterbringung von AsylbewerberInnen“ (17. Juni 2015)
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Pressemitteilung vom 2. Juli 2015
Unterbringung von Asylsuchenden in Schulen – eine absolute Ausnahmesituation, langfristige Planungen und bessere Kommunikation erwartet
Die Stadtverwaltung plant zwei derzeit nicht genutzte Schulen als Notunterkünfte für Asylsuchende zu nutzen. Die 3. Grundschule in der Südvorstadt und die Pablo-Neruda-Schule sollen insgesamt ca. 300 Personen aufnehmen. Dazu Juliane Nagel, Stadträtin:
„Die neu in Leipzig ankommenden Asylsuchenden müssen untergebracht werden, das steht außer Frage. Das Wohnen von so vielen Menschen in Schulgebäuden muss aber die absolute Ausnahme bleiben. Die Stadt muss auf Basis der weiter steigenden Zahlen von Geflüchteten langfristig menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten schaffen. Bezahlbare Wohnungen für diese Zielgruppe müssen in die Planungen des Wohnungspolitischen Konzeptes einfließen.“
DIE LINKE bevorzugt dabei kleine Heime im Stadtgebiet und die maximale Ausweitung des dezentralen Wohnens. Leipzig kann sich dabei ein Beispiel an Landkreisen wie Nordsachsen oder Sächsische Schweiz/Osterzgebirge nehmen. Dort werden Familien, die aus der Erstaufnahme kommen, direkt in Wohnungen untergebracht. Für dieses Modell ist die Ausweitung der aufsuchenden sozialen Betreuung notwendig. Bisher stehen in Leipzig lediglich 2 Personalstellen bei 4 Trägern für diese Aufgabe zur Verfügung.
Die Stadträtin appelliert zudem an die Stadtverwaltung die Kommunikation und Information zu verbessern. Vereine, Initiativen und AnwohnerInnen müssen so früh als möglich in die Pläne zur Schaffung neuer Unterkünfte einbezogen werden. Das war im Fall der Notunterkünfte nicht der Fall.
Laut Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion in der Stadtratssitzung am 17. Juni sollen in diesem Jahr noch sechs kleine Unterkünfte für Asylsuchende ans Netz gehen. Auch hier muss die Einbeziehung des Umfeldes eine Priorität genießen.
Liebe Jule, mich würde zuerst interessieren wie man zwischen der Erstaufnahme von Flüchtlingen und anerkannten Asylsuchenden und vielleicht noch den in der Schwebe befindlichen unterscheiden kann, da ich hörte, dass viele Asylverfahren sehr lange dauern?
Für die 1. Gruppe der Neuankömmlinge sind die beiden neuen Standorte zumindest Örtlich perfekt gelegen, im Herzen Leipzigs mit allen Möglichkeiten der Versorgung. Die Gebäude müssen entsprechend umgerüstet werden, ggf. Trennwände in zu große Räume und mehr Sanitäranlagen installiert werden. Für eine Erstaufnahmeeinrichtung sollten schon 50 bis 300 Plätze an einem Ort bereitgehalten werden, da eine Betreuung / Übersetzer, ggf. Mobiler Arzt und Security… benötigt werden.
Wurden die Asylsuchenden mit Bleiberecht anerkannt sollten sie das Recht habe in ganz normale Wohnungen zu ziehen, die sie frei wählen können und die zumindest das Existenzminimum sicherstellen. Dabei muss die Stadt auch mit Übersetzern und Betreuern helfen, sofern die neuen Bürger noch nicht ausreichend Deutsch lernen konnten. Eigene Wohnungen sind der einzige Weg zur Integration und Verhinderung der Ghettobildung, außerdem ein prinzipielles Freiheitsrecht!
Offen bleibt die Frage nach den Asylverfahren die zu lange dauern oder verschleppt werden? In Deutschland gibt es eine allgemeine Frist bei Verwaltungsvorgängen, die 3 Monate beträgt, diese sollte auch für eine erste abschließende Entscheidung im Asylverfaren gelten. Dass heißt der Staat muss innerhalb von 3 Monaten prüfen, ob ein Bleiberecht zuerkannt wird. Schafft der Staat das nicht, sollten die Asylsuchenden vorläufig mit den gleichen Bleiberechten ausgestattet werden, wie die bereits anerkannten.
Die Integration der Flüchtlinge soll gelingen, alles andere würde nicht nur zu einen Mehr an Problemen in der Gesellschaft sondern auch zu höheren Kosten führen.
Hallo Martin.
die Geflüchteten werden nach denm Königssteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt.. Nach Sachsen kommen zb etwa 5 %. In den Ländern angekommen, kommen die Menschen erstmal in die Erstaufnahme (in Sachsen hauptsächlich Chemnitz, Schneeberg.. und mittlerweile 10 weitere Interimstandorte.. einer wird im August auch in Leipzig Dölitz eröffnen). In diesen Einrichtungen, für die das Land zuständig ist, bleiben sie max 3 Monate, werden registriert, medinzinisch untersucht (in Verantwortung des Landes) und im Anschluss folgt die Aktenanlage beim BAMF (das in Chemnitz mit dem auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung sitzt) samt Anhörung.. hier wird das Asylverfahren in Gang gebracht. Die Verfahrensdauer lag 2014 im Schnitt bei 7-8 Monaten (en Detail hier nachzulesen: http://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2015/02/150203-Erg%C3%A4nzende-Asylstatistik-2014.pdf). D.h. dass die Menschen aus der Erstaufnahme, im laufenden Verfahren auf die LAndkreise und Kreisfreien Städte verteilt werden. Auch das läuft nach einem Verteilungsschlüssel, Leipzig bekommt in Sachsen ca. 12 %. Vor Ort kommt dann wiederum die Unterbringung in einem Heim, es kann – auch während des Verfahrens – in Wohnungen untergebracht werden. Das ist sinnvoll, weil menschenwürdiger, ausserdem dauern die Verfahren in vielen Fällen noch länger, einige Asylsuchende legen Rechtsmittel gegen die Entscheidung an, es kommt auch nicht selten vor, dass Abschienbehindernisse festgestellt werden.
Die, die anerkannt sind oder die Kontingentflüchtlinge aus Syrien dürfen ausziehen. Aus o.g. Gründen macht das aber auch bei Menschen im Asylverfahren und aus Menschenrechtserwägungen Sinn.
Die Unterbringung in Schulen ist suboptimal. Ich schreibe ja in meinem Beitrag, dass es brach liegende Potentiale gibt. aus meiner/ unserer Sicht.
Der Bund hat jüngst 2000 mehr MitarbeiterInnen für die Bearbeitung versprochen. Das macht Sinn, in Chemnitz sitzen zb derzeit knapp über 10. Bei zirka 1500 Asylsuchenden pro Monat seit Jahresbeginn ist das ganz schön wenig.
Mensch muss aber trotzdem die Entscheidungsgrundlagen kritisch hinterfragen: das Asylrecht wird immer weiter geschliffen: 1993 die faktische Abschaffung des Grundrechts (durch CDU/ SPD, FDP), die Erklärung von Mazedonien, Serbien und Bosnien zu sicheren Herkunftsstaaten (durch CDU/ SPD/ Grüne), das DUBLIN-System etcpp… minimieren die Chancen für viele Menschen ihr individuelles Recht in Anspruch zu nehmen geschweige denn eine faire, an menschenrechtlichen Masstäben orientierte Entscheidung zu bekommen.
Es muss endlich Veränderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein und in der Politik geben.. Migration und die Aufnahme von Schutzbedürftigen sind kein Zugeständnis, sondenr „normal“. Daraus muss aber folgen, dass die neu ankommenden als neuer Bestandteil der Gesellschaft betrachtet und aufgenommen werden.
Ich lese da herraus, dass es:
a) zu lange dauert bis ein Asylverfahren entschieden ist, und
b) auch nach einer Erstaufnahme die Flüchtlinge in Zentren zu hunderten untergebracht werden.
Das kann nicht der richtige Weg sein, a) kann wohl nur der Bund ändern? b) jedoch ist vielleicht die Verantwortung der Stadt, die wahrscheinlich zualler Erst Geld sparen möchte für eine dezentrale Unterbringung. Das zeigt wie schwierig es für Flüchtlinge ist.
Der Staat ruiniert sich damit selbst, da die Folgekosten und Probleme steigen und steigen. Die Flüchtlinge die später…. nach vielen Monaten….ein Bleiberecht bekommen, werden viel zu langsam integriert, lernen viel zu langsam Deutsch….werden viel zu spät in normale Wohnungen untergebracht und in somit in ein selbstbestimmtes Leben entlassen.
Wenn sich eine Parallelkultur entwickelt von Millionen Menschen die nur gebrochen Deutsch sprechen, wird das viel viel teurer als ein paar Sprachkurse und dezentrale Unterbringung gekostet hätten.