In der Ratsversammlung am 10.12.2014 fragte die Linksfraktion nach dem Stand der dezentralen Unterbringung von Asylsuchenden in Leipzig. Während hier durchaus organisatorische Fortschritte gemacht werden, plant die Stadt die Massenunterkunft in der Torgauer Straße 290 auszubauen.
> Quote der dezentral Untergebrachten liegt höher als die Landesregierung angibt
Dezentral Wohnen bedeutet, dass Geflüchtete in eigenen Wohnungen leben können. Gesetzlich ist die Regelunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften festgeschrieben. In Sachsen können Asylsuchende nur auf Antrag beim örtlichen Sozialamt und wenn sie bestimmte Kriterien (siehe pdf Seite 11) erfüllen ausziehen.
Laut Anfrage an die Staatsregierung liegt die Quote der dezentral Untergebrachten in Leipzig bei nur 45 % . Tatsächlich dürfte sie höher liegen. Wie Sozialbürgermeister Prof. Fabian in der Ratsversammlung am 10.12.14 berechtigterweise hinwies, zählt der Freistaat nur die Asylsuchenden/ Geflüchteten, für die sie auch Kosten nach Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz erstattet. Wie vom Landkreistag und auch der Linksfraktion im Sächsichen Landtag jüngst kritisiert wird die Kostenübernahme für Personen im Sinne des § 25,5 Aufenthaltsgesetz, also Geduldete mit Soll-Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, durch den Freistaat verweigert. Dies betrifft insgesamt zirka 1100 Personen (Stand Juni 2014) und laut Aussagen des Sozialbürgermeisters in Leipzig um die 400 Personen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Personenkreis mehrheitlich in eigenen Wohnungen wohnt, was die Quote auf über 50 % steigen lässt.
> Maßnahmen für mehr Wohnraum für Geflüchtete
Um den Ansatz der dezentralen Wohnungsunterbringung auch vor dem Hintergrund des sich anspannenden Wohnungsmarktes zu unterstützen, beauftragte die Linksfraktion die Verwaltung im Zusammenhang mit der Fortschreibung des Konzeptes „Wohnen für Berechtigte nach Asylbewerberleistungsgesetz“ 2013 den Abschluss von Wohnungs-Mietverträgen mit dem städtischen Wohnungsunternehmen LWB, mit Genossenschaften und dem privaten Wohnungseigentümerverband Haus und Grund zu prüfen. In Berlin wird über ein solches Vertragswerk seit 2011 geregelt, dass die städtischen Wohnungsunternehmen jährlich ein Kontingent von 275 Wohnungen in verschiedenen Segmenten für Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Im Mai 2014 verwies die Verwaltung auf Nachfrage, dass ein Ergebnis dieses Prüfauftrages im 2. Halbjahr vorgelegt wird.
Das Ergebnis der aktuellen Anfrage (download als pdf) ergibt: Es wurde geprüft, rausgekommen ist nicht ganz so viel:
„Mit der LWB hat sich keine Notwendigkeit einer Vereinbarung ergeben. Es gibt eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Sozialamt, insbesondere der Stelle Koordinierung dezentrales Wohnen, und der LWB“. Daneben mietet das Sozialamt zunehmend Gewährleistungswohnungen an – derzeit 70 Wohnungen. Gewährleistungswohnen werden von der Stadt für soziale Härtefälle bereit gestellt, in der Regel, um Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Die Unterbringung von Asylsuchenden in diesen Wohnungen entspricht im engeren Sinne nicht dem dezentralen Wohnen mit eigenem Mietvertrag. Allerdings wird angestrebt diese durch die Stadt Leipzig angemieteten Wohnungen, wie es sie beispielsweise in Grünau, Lindenau oder Mockau gibt, sukzessive in direkte Mietverträge zwischen Asylsuchenden und LWB umzuwandeln.
Bei den Genossenschaften, denen immerhin 16 % des Wohnungsbestandes in Leipzig gehören, gestaltet sich die Sache schon schwieriger. Durch die Regularien in Genossenschaften – Mitgliedschaft und Stimmrechte – wird das Anmieten von Wohnungen für Asylsuchende durch die Stadt verworfen. Hier stellt sich die Frage, ob es nicht kreative Lösungen gegeben hätte, hier doch zu einer Kooperation zu kommen, denn schließlich ist die Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten kein Zugeständnis, sondern einen gesamtgesellschaftliche Aufgabe,
Schlussendlich verbleiben die privaten Eigentümer*innen. Auch hier wird es keine verbindliche Kooperation geben, denn es gibt keinen organisatorischen Zusammenschluss der ImmobilieneigentümerInnen, die über Mehrfamilienhäuser verfügen. So wird in diesem Fall eher auf individuelle Lösungen gesetzt. Wenn Wohnungen angeboten werden, prüft die Stadt jene auf Passfähigkeit (Kostenstruktur und Größe) und kommuniziert die Angebote entsprechend an die Berechtigten.
> Antragsbearbeitung und Sozialprognosen
Auf die Kritik von Ehrenamtlichen bezüglich der langen Dauer der Prüfung von Anträgen auf dezentrales Wohnen erwidert die Verwaltung, dass die Anträge zügig bearbeitet werden. Neben der Vollständigkeit der Unterlagen wird jedoch auch eine „Sozialprognose“ eingeholt. D.h., dass die SozialarbeiterInnen in den Gemeinschaftsunterkünften bei der Frage ob Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft oder nicht ein Mitspracherecht haben. Professor Fabian erläuterte auf Nachfrage in der Ratsversammlung, dass diese „Sozialprognose“ beinhaltet, dass die Betroffenen in der Lage sein müssen „ihr Leben in den Wohnungen selbst zu gestalten“ und sich in Leipzig zu orientieren. Dieses Verfahren ist nicht unkritisch zu sehen.
In einem Gutachten untersuchten Alexander Klose und Doris Liebscher, Büro für Recht und Wissenschaft im Auftrag der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg die so genannte „Wohnfähigkeitsprüfung“ für Flüchtlinge am Beispiel der Stadt Potsdam im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, der Brandenburgischen Landesverfassung und dem Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union sowie Internationalen Rechtsabkommen. Im Ergebnis stellen die AutorInnen heraus, dass an der Prüfung Zweifel im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot bestehen. (Link zum Gutachten)
Um die Übertragung dieser Konklusion auf Leipzig zu prüfen, müsste die in Leipzig gängige Prüfung einer nähereren Betrachtung unterzogen werden.
Nichts spricht dagegen gegen eine Unterstützung der auszugsberechtigten Personen im Hinblick auf Wohnungssuche, Mietvertragsabschluss oder Einrichtung. Genau diesen Ansatz praktizieren eine Mitarbeiterin des Sozialamtes sowie vier freie Träger.
> Gemeinschaftsunterkünfte werden größer
Steigende Flüchtlingszahlen bringen die Stadt derweil in Zugzwang. Die Abkehr von Massenunterkünften als Konsens der Debatte um das Unterbringungskonzept „Wohnen für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“ von 2012 und die Wegweisung mehr dezentrale Unterbringung zu ermöglichen, werden vor diesem Hintergrund immer mehr infrage gestellt. Mit der Fortschreibung des Konzepts wurde bereits im November 2013 die Errichtung neuer Objekte für die so genannte „Erstunterbringung“ für „zwischen 100 und 150 Personen“ beschlossen, was von der 2012 beschlossenen Maximalgröße von um die 50 Personen abweicht. In der Realität sollen in den als „Notunterkunft“ kategorisierten Häusern in der Zschortauer Straße in Eutritzsch und in der Riesaer Straße in Paunsdorf jeweils bis zu 200 Menschen unterkommen.
> Leipzig will die größte kommunale Massenunterkunft in Sachsen schaffen
Doch es kommt noch dicker: Auf der Tagesordnung des Stadtrats steht am 21.1.2015 ein Beschlussvorschlag zur Sanierung und zum Ausbau der Massenunterkunft in der Torgauer Str. 290.
Die Unterkunft existiert bereits seit 1995, zunächst als Erstaufnahmeeinrichtung des Freistaates. Inwzischen in kommunaler Trägerschaft sollte sie bereits 2009 geschlossen werden. Seinerzeit wollte die Stadt das Gelände dem benachbarten Unternehmen Amazon verkaufen und stattdessen einen neue Container-Unterkunft in der Wodanstraße bauen. Daran entzündete sich massive Kritik aus der Zivilgesellschaft. Obwohl der Beschluss den Stadtrat knapp passierte, wurde das Vorhaben Wodanstraße fallengelassen. Stattdessen wurde die Stadt beauftragte einen Paradigmenwechsel bei der Unterbringung von Asylsuchenden einzuleiten. Zweieinhalb Jahre später wurde im Mai 2012 das Konzept „Wohnen für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“ vorgelegt. Dreh- und Angelpunkt war die Schließung der Torgauer Straße zugunsten kleinteiliger Unterkünfte im Stadtgebiet. 2013 wurde die eigentlich für dasselbe Jahr geplante Schließung zwei Jahre aufgeschoben. Mit der Fortschreibung des Unterbringungskonzeptes im November 2013 wurde eine Verlängerung bis 2016 beschlossen. Mitte 2014 bekundeten OBM und der Sozialbürgermeister, dass die Unterkunft bis auf weiteres bestehen bleiben soll. Die nun geplante Sanierung samt Erweiterung der Kapazität von derzeit um die 300 auf 500 Bewohner*innen schreibt die Torgauer Straße nicht nur kurzfristig fest, sondern zementiert den Standort langfristig.
Der Initiativkreis Menschenwürdig, der sich im Zuge der aufgeheizten Diskussion um das Unterbringungskonzept 2012 gegründet hat, hält an der ablehnenden Position zur Torgauer Straße fest und erinnerte den Oberbürgermeister an sein Statement aus eben jenem Jahr: „Die Torgauer Straße ist menschenunwürdig. Sie wird zugemacht. Definitiv!“
Um die Stadtratsfraktionen zu überzeugen dem Beschlussvorschlag nicht zuzustimmen, hat Menschenwürdig eine Petition initiiert.
Auch das Bündnis Refugees welcome weist in seinem Aufruf gegen den LEGIDA-Spaziergang am 12.1. in Leipzig auf den Widerspruch hin, sich einerseits mit Weltoffenheit und einer positiven Willkommenskultur zu schmücken, die Schließung der menschenunwürdigen Massenunterkunft auf der anderen Seite aber auf die lange Bank zu schieben.
„Petition: Stoppt die größte kommunale Massenunterkunft für Asylsuchende Sachsens!
[…]
Nehmen Sie die politischen Vertreter_innen der Stadt beim Wort tatsächlich „für eine menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen [und] für eine Willkommenskultur für Einwanderer“ (Quelle!) einzustehen. Appellieren Sie an die Stadträtinnen und Stadträte, gegen die Beschlussvorlage zu stimmen! Unterschreiben Sie die Petition!
Privatsphäre ist ein Menschenrecht. Dieses soll auch in Leipzig respektiert und ermöglicht werden! Für eine ehrliche Willkommenskultur, nicht nur eine, die nach außen proklamiert und hinter den Kulissen unterlaufen wird. Für ein menschenwürdiges Wohnen – für alle Menschen, die in Leipzig wohnen!
Unsere Forderungen:
1. Keinen weiteren Ausbau der Asylunterkunft in der Torgauer Straße 290!
2. Einen konkreten Termin für eine zeitnahe Schließung der Asylunterkunft in der Torgauer Straße 290!
3. Die Festschreibung des Dezentralisierungskonzepts mit dem Ziel des Wohnens in selbstgewählten Wohnformen!
4. Die Einbeziehung von Asylsuchenden und Geflüchteten in die weitere Ausgestaltung des Konzepts „Wohnen für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Leipzig“
Ein Gedanke zu „Licht und Schatten: Zum aktuellen Stand der (dezentralen) Unterbringung von Geflüchteten in Leipzig“