Wer hier lebt, gehört dazu – unabhängig vom Pass: so einer der Slogans der schon alten Bewegung für ein Wahlrecht für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Um dessen Einführung auf kommunaler Ebene ging es am Mittwoch, 10. April 2019 im Sächsischen Landtag. Hier meine Rede zum entsprechenden Gesetzesentwurf der Grünen:
Zahlreiche Menschen sind in Deutschland von Wahlen ausgeschlossen. Menschen die nach Auffassung des Gesetzgebers nicht das richtige Alter haben, also Kinder und Jugendliche, oder psychisch Beeinträchtigte. Und Menschen, die hier ohne deutsche Staatsbürger*innenschaft leben, und nicht aus dem EU-Ausland kommen, obwohl sie lange hier leben, Steuern zahlen, die hiesige Sprache sprechen und die demokratischen Strukturen kennen.
Mehr Möglichkeiten zur politischen Partizipation, finalisiert durch das aktive und passive Wahlrecht, das ist eine alte Forderungen von Migrant*innenselbstorganisationen. So zuletzt von der Kampagne „Wir wählen“ zur Bundestagswahl“. Wer hier lebt, gehört dazu – unabhängig vom Pass, so ihr Slogan. Diese Kämpfe reichen zurück in die 1970/ 80er Jahre als im Westen Gastarbeiter*innen und Gastarbeiter ihr Recht mitzuwählen einforderten. Bei den ersten freien und demokratischen Kommunalwahlen im Mai 1990 im Osten genossen Ausländer*innen, die seit mehr als zwei Jahren in der DDR lebten, dagegen das aktive und passive Wahlrecht. Diese progressive Regelung ist in den Wendeereignissen leider unter die Räder gekommen.
Während zumindest das kommunale Wahlrecht für EU-Bürger*innen durch den Vertrag von Maastricht 1992 auch in nationales Recht übernommen und nun verankert in Artikel 28 Grundgesetz ist, trifft das für über 4,5 Millionen volljährige Menschen in Deutschland nicht zu. Sie haben keinen deutschen und keinen EU-Pass, leben hier aber seit durchschnittlich 16 Jahren.
Dabei wäre es ein leichtes: Eben die Implementierung des kommunalen Wahlrechts für EU-Bürger*innen hat den Grundsatz, dass nur deutsche Staatsbürger*innen wahlberechtigt sein können, bereits durchbrochen.
Die Grundsatzfrage wer zum Staatsvolk gehört und wer nicht wird in der politischen Debatte doch sehr verschieden beantwortet. Das Meinungsspektrum konnten wir auch in der Anhörung zum Gesetzesentwurf im Innenausschuss zur Kenntnis nehmen. Die Debatte darum dagegen wird zumeist ideologisch geführt. Und die Vertreter am ganz rechten Spektrum dieses Parlaments werden uns wohl bald mit Blut-und-Boden-Rhetorik belästigen.
Die Frage wer das „Volk“ ist, ist nicht unabänderlich, sondern unterliegt in hohem Maße gesellschaftlichen Wandlungen. So waren die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Ausländerrecht von 1990 schon seinerzeit hoch umstritten. Das Gericht argumentierte damals, dass die Bestimmung im Grundgesetz, wonach die politische Macht vom Volk ausgeht, so zu interpretieren sei, dass damit nur deutsche Staatsangehörige gemeint seien und somit das Wahlrecht allein durch sie ausgeübt werden dürfe. Dem widersprechen zahlreiche Verfassungsrechtler*innen und verweisen darauf, das ein Wahlrecht auch für Menschen ohne deutschen Pass aus dem Demokratieprinzip abgeleitet werden könne. Kurz und knapp: Möglichst alle, die von der Ausübung von Staatsgewalt betroffen sind, sollen auch gleichberechtigt an der Konstituierung dieser Staatsgewalt beteiligt werden.
Der Anteil von Migrant*innen ohne deutschen Pass hat sich in den vergangenen Jahren stetig erhöht, er lag 2017 bundesweit bei 11,5 % (9,4 Mio.) und hat sich damit seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mehr als verdoppelt. Auch in Sachsen können wir auf einen kläglichen aber immerhin einen Anteil von 4,4 % schauen (178.000). Die Realität einer Einwanderungsgesellschaft befeuert die Debatten um die Entkoppelung von Staatsangehörigkeit und politischen Mitbestimmungsrechten, und dies zurecht! Die Menschen, die hier leben, sollen auch mitgestalten können. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, dass aus dem Wahlrecht z.B. auch die Berechtigung an Bürgerbegehren, Volksbegehren usw. teilzunehmen fließt. Migrant*innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft können sich beispielsweise nicht an dem laufenden Volksantrag für ein längeres gemeinsames Lernen beteiligen, obwohl ihre Kinder sehr wohl auf sächsische Schulen gehen.
Immer wieder wird in der politischen Debatte um das Wahlrecht für Drittstaatler*innen eingewendet, dass sich die Betroffenen doch einbürgern lassen können oder aber: Dass das Wahlrecht die Menschen vom Schritt der Einbürgerung abhalten würde.
Das ist Unfug: Deutschland hat europaweit die niedrigsten Einbürgerungsquoten und das hat mit den hohen gesetzlichen Hürden zu tun. Das hiesige Einbürgerungsrecht ist in den vergangenen Jahren immer wieder verschärft worden, zuletzt 2016 in Bezug auf die Erteilungsvoraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis.
Länder, die ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatler*innen schon lange praktizieren, wie bspw. Dänemark, Schweden oder die Niederlande, weisen dagegen besonders hohe Einbürgerungsraten auf.
Jenseits dessen möchte ich aber klipp und klar betonen: es ist eine sehr individuelle Entscheidung der Betroffenen eine neue Staatsbürgerschaft anzunehmen. Ich meine: es steht uns nicht zu diese Entscheidung zu bewerten oder gar zu sanktionieren.
Es ist richtig dieses Thema anzufassen, gerade als Freistaat Sachsen hier mutig voranzuschreiten und gegebenenfalls auch eine veränderte Rechtsprechung herauszufordern. Als Linksfraktion teilen wir die Grundintention des Gesetzesentwurf von Bündnis 90/ Die Grünen und werden dem auch zustimmen.
Ich möchte aber deutlich machen, dass wir als LINKE klar eine radikalere Veränderung durch Grundgesetzänderung, konkret in Artikel 28 und 38 sowie eine entsprechende Anpassung des Europawahl- und Bundeswahlgesetzes präferieren. Entsprechende Anträge zur Ermöglichung des Wahlrechtes für Drittstaatler*innen hat die LINKE Bundesfraktion in der Vergangenheit regelmäßig gestellt, zuletzt im Jahr 2014. Genau so würde eine bundesweite einheitliche Lösung für Wahlen auf allen Ebenen ermöglicht werden. Vor allem würde das Wahlrecht damit nicht „nur“ auf die kommunale Ebene zurückgeworfen werden und damit auf die Ebene, auf der keine Gesetze erlassen werden können.
Sehr geehrte Damen und Herren, der geschätzte und scharfsinnige Heribert Prantl prognostizierte im Hinblick auf das 1990er-Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die Einführung des Ausländerwahlrechts, dass man eines Tages „das Karlsruher Urteil so befremdet lesen würde , wie man heute die vergilbten Pamphlete gegen das Frauenwahlrecht liest“. Das war 1994. 25 Jahre danach und im 100. Jahr des Frauenwahlrechts stünde uns eine weitere Demokratisierung des Wahlrechts wohl mehr als gut zu Gesicht.
Rede zum „Gesetz zur Einführung des Kommunalwahlrechts für dauerhaft in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer aus Nicht-EU Staaten“ der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen (10. April 2019)