Am 19. April fand in Connewitz das Stadtteilfest „Kontrollbereich 04277“ statt. Der Mitteldeutsche Rundfunk nahm dies zum Anlass ein Kamerateam vorbeizuschicken. In jene Kamera äußerte der Leiter des Polizeireviers Leipzig-Südost Sebastian Spreer angesprochen auf die Einschätzung des Stadtteils „Wir haben hier einen sehr militanten linken autonomen Teil … mit teilweise terroristischen Tendenzen“.
Diese Aussage ordnete sich passend in einen tendenziösen Fernsehbeitrag ein, der Connewitz als linkes Viertel, in dem sich die „Alteingesessenen“ abschotten und unter sich bleiben wollen würden, darstellte.
Nun ist es nicht schlimmes sich – auch gegen die Interessen von InvestorInnen – für den Erhalt des spezifischen Charakters eines Kiezes, der Platz für alternative Lebensweisen, (politische) Selbstorganisierung und Protest hat, zu engagieren.
Schlimm ist es allerdings von einem Vertreter des Staates mit der Kategorie des „Terrors“ überzogen zu werden.
Und noch schlimmer ist es, wenn der Innenminister als Dienstherr dies deckt.
„Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen.“ (Definition des Sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz.
Im besagten § 129a Abs. 1 StGB werden folgende Straftaten benannt:
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a (Erpresserischer Menschenraub) oder des § 239b (Geiselnahme).
Auf meine Kleine Anfrage nun, nach der ich nach den Erkenntnissen frage, die zu den Aussagen des Polizeirevierleiters führten, verweist der Innenminister darauf, dass der Begriff hier „umgangssprachlich“ verwendet wurde.
Verwiesen wird weiterhin auf „die Entwicklung der linksextremistischen Szene, die sich in den letzten Monaten in Aktionen und diesbezüglichen Tatbekenntnissen bzw. Grundsatzpapieren verstärkt mit der Anwendung von Gewalt auseinandergesetzt hat.“ Als Beleg dafür halten zwei Dokumente her, die vor bzw. nach dem Jahreswechsel im Internet publiziert wurden. Auch der Angriff auf den Polizeiposten in Connewitz und eine Spontandemonstration in der Leipziger Innenstadt, die zu Scheibenbrüchen führte, werden angeführt.
Doch all das ist kein „Terrorismus“. Zudem gibt es keine Belege dafür, dass die UrheberInnenschaften für diese einzelnen Vorfälle im Ortsteil Connewitz zu finden sind.
Jüngst freute sich ein Polizeibeamter in einer (noch auf ihrer Authentizität zu prüfenden) geleakten Kommunikation mit einem Neonazis, dass die Polizei „gott sei dank“ auf den Anschlag auf den Polizeiposten mit der Einrichtung eines Kontrollbereichs reagiert hätte. Wer dann in diesem Bereich kontrolliert werden würde, liegt auf der Hand: jede und jeder, der oder die alternativ = linksextremistisch = „terroristisch“ aussieht.
Ergo: Den Begriff „Terrorismus“ „umgangssprachlich“ auf eine in einem bestimmten Stadtteil angesiedelte Szene anzuwenden und dies auch noch im Kontext mit einem Stadtteilfest, das Raum zu Begegnung und zur öffentlichen Debatte geboten hat, und noch dazu durch einen Vertreter der staatlichen Exekutive in eine Kamera gesagt, geht gar nicht. So wird zur Stigmatisierung eines gesamten Stadtteils und der dort lebenden und politisch aktiven Menschen beigetragen und „nebenbei“ noch zur Verharmlosung von Terrorismus, was vor dem Hintergrund von mörderischen terroristischen Machenschaften von NSU oder Islamischer Staat besonders zum Himmel schreit.