Torgauer Straße bleibt die schlechteste „Alternative – Kritik an uninformierten Äußerungen über die Lebenssituation von Geflüchteten

Bild058Am 25.2.2015 wird im Leipziger Stadtrat über Ausbau und Sanierung der Asyl-Massenunterkunft in der Torgauer Straße 290 entschieden. Die Stadt schlägt in ihrer Vorlage vor, 5.7 Millionen Euro in den Kasernenbau zu investieren und die Kapazität auf mehr als 500 Menschen zu erweitern.

 

Dieser Plan stößt auf Kritik der LINKE-Stadträtin und Landtagsabgeordneten Juliane Nagel, die zur Einreicherin eines Änderungsantrages von fünf LINKE-StadträtInnen gehört.

„In keiner Kommune Sachsen gibt es eine derart große Unterkunft.“ so Nagel. Die Stadt Leipzig, die einst Vorreiterin in Sachen kleinteiliger und menschenwürdiger Unterbringung von Asylsuchenden war, dreht das Rad zurück.“

Dass die Flüchtlingszahlen steigen oder auf hohem Niveau stagnieren werden, war bekannt. Schon längst hätten Alternativen in Angriff genommen werden können. So wurde beispielsweise das Objekt in der Friedrikenstraße 37 in Dölitz 2013 aus städtischem Eigentum verkauft, anstatt dieses selbst als Unterkunft umzunutzen. Mit den Wohnungsgenossenschaften wurde trotz explizitem Auftrag der Linksfraktion nicht ausreichend verhandelt, um Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen. Bekanntermaßen verfügen die Genossenschaften über weit mehr als 1000 leer stehende, nutzbare Wohnungen und signalisierten in den letzten Tagen explizit ihre Bereitschaft an der Unterbringung von Asylsuchenden mitzuwirken. Nicht zuletzt sperrt sich die Stadt gegen kreative Lösungen, wie WG-Modelle und lässt damit das gewaltige zivilgesellschaftliche Unterstützungspotential ungenutzt.

„Die Stadtverwaltung will es sich einfach machen. Auch darum hat sie die Forderung nach einer kontinuierlichen Mitwirkung nicht-staatlicher Akteure in Sachen Unterbringung von Asylsuchenden stets abgelehnt.“ so Juliane Nagel. „Was es braucht ist Kommunikation der verschiedenen Akteure auf Augenhöhe, denn Asyl ist keine reine Verwaltungs- sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Menschenwürdige und integrative Unterbringung ist zudem eine Frage der Menschenrechte.

Dies bedeutet auch von dem Denkmodell wegzukommen, dass Asylsuchende per se zuerst in Sammelunterkünften untergebracht werden müssen. Auch der ehemalige Ausländerbeauftragte Sachsens Dr. Martin Gillo plädierte für die dezentrale Unterbringung, damit die betroffenen Menschen hier ein ganz normales Leben führen können. Asylsuchende brauchen Orientierungshilfen und soziale Betreuung, aber keine Massenunterkünfte!

Wenn StadträtInnen vor diesem Hintergrund das Leben von Asylsuchenden in Deutschland mit dem von Studierenden in Studentenwohnheimen auf eine Stufe stellen oder aber Asylsuchenden, die ihre Rechte einfordern, unterstellen, sich zum Spielball anderer Interessen machen zu lassen, zeigt dies, dass es noch viele Wissens- und Empathiedefizite gibt. Asylsuchende können im Gegensatz zu Studierenden weder frei wählen wo sie leben, ob sie studieren oder arbeiten können. Sie sind an die harten Restriktionen der Asylgesetzgebung gebunden und werden zudem gesellschaftlich diskriminiert. Die Unterbringung in einer Massenunterkunft am Stadtrand treibt die Isolation voran. Eine Isolation, die Kontakte zur Presse und zu politischen EntscheidungsträgerInnen verunmöglicht. Es stimmt fassungslos, wenn die Unterstützung der Geflüchteten diese Isolation punktuell zu durchbrechen, als Instrumentalisierung gebrandmarkt wird.

„Die aktuelle Auseinandersetzung um die Torgauer Straße hätte vermieden werden können, wenn das Verspreche auf Schließung bereits 2013 eingelöst und die Suche nach Alternativen kooperativ betrieben worden wäre. Noch ist es allerdings nicht zu spät. Ich unterstütze die Forderung des Initiativkreis Menschen:würdig nach einem Runden Tisch aller beteiligten Akteure“ so Juliane Nagel abschließend.

PM, 18.2.2015

3 Gedanken zu „Torgauer Straße bleibt die schlechteste „Alternative – Kritik an uninformierten Äußerungen über die Lebenssituation von Geflüchteten“

  1. „Eine Isolation, die Kontakte zur Presse und zu politischen EntscheidungsträgerInnen verunmöglicht. Es stimmt fassungslos, wenn die Unterstützung der Geflüchteten diese Isolation punktuell zu durchbrechen, als Instrumentalisierung gebrandmarkt wird.“

    Drei Fragen an Frau Nagel,

    1. „verunmöglicht“ Ist es Ihnen als politischer Entscheidungsträgerin nicht gestattet, die Asylunterkunft in der Torgauer Straße aufzusuchen?
    2. „fassungslos“ Darf man daraus schließen, dass innerhalb der Fraktion der LINKE im Leipziger Stadtrat fassungsloses Schweigen herrscht und Sie reden jetzt nicht mehr mit Stadtrat Schlegel, dem die öffentliche Kritik an der „durchsichtigen Kampagne“ ja zuzuschreiben ist?
    3. „Mitwirkung nichtstaatlicher Akteure“ Bürsten Sie die Äußerungen von Sonja Brogiato jetzt als unsinnig ab, weil selbige die Investitionen in die Torgauer Straße als sinnvoll erachtet und sich entsprechend mitwirkend positioniert hat?

  2. @ Kling: Dass Sonja Brogiato Investitionen in die Torgauer Straße als sinnvoll erachtet, verklärt arg den Zusammenhang. Ein Zitat:

    „Natürlich gibt es die sehr große Unterkunft in der Torgauer Straße noch. Das erklärte Ziel war ja, dieses mangelhafte Objekt endlich zu schließen. Nun soll sie auch noch erweitert werden. Aber unter dem Druck der gestiegenen Zuweisungszahlen, sagen wir, es ist besser ein Dach über dem Kopf zu haben als ein Zelt oder eine Containerlösung auf der grünen Wiese.“

    Quelle: http://kippe-leipzig.de/15-news/themen/273-besser-geht-immer

    Die jüngsten Äußerungen von Lothar de Maiziere machten zudem einmal mehr klar, warum die Situation von Asylsuchenden in Deutschland so aussieht, wie es aussieht: Es soll sich gefälligst „rumsprechen“, dass ein Asylantrag hier mit viel Leid verbunden ist. Die Unterkünfte sind gezielte Abschreckungsmaßnahmen.

  3. In Anbetracht der heutigen/gestrigen Abstimmung im Stadtrat finde ich es extremst wichtig, dass die entsprechenden zur Verfügung gestellten Gelder auch dafür verwendet werden vernünftige, gemütliche und nutzbare Sozialräume zu schaffen, in denen sich die Bewohner*innen treffen, austauschen, beraten lassen, ihre zwangsverordnete freie Zeit angemessen verbringen und Gäste einladen dürfen und können.
    Es gab und gibt immer wieder Schwierigkeiten mit einem einfachen Treffen, sei es ein gemeinsames Essen, Spielen oder Sonstiges, was den Alltag dort vielleicht auflockern könnte.
    Liebe Jule, könnt Ihr Euch da hinter klemmen, dass die Menschen dort unkompliziert Besuch empfangen können, ohne dass sie sich für ihr Zwangszuhause schämen; dass sie Infrastrukturen bekommen wie in jeder größeren Schlafstadt, dass der Aussenbereich einem Wohnblock enstsprechend angenehm gestaltet wird (Sportplatz, Leihbücherei, Unterrichtsräume…..)

    Der Sozialschlüssel ist peinlich für eine sich weltoffen nennende Stadt. Da dafür nicht genug Geld zur Verfügung gestellt wird, dürfen denen, die diese Arbeit ehrenamtlich leisten nicht noch der Fels der unzugänglichkeit in den Weg gelegt werden.

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