Nach antirassistischer Demonstration in Rackwitz: Kritische Selbstreflexion & weitere Bemühungen zum solidarischen und menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten
Interview mit Jule Nagel, geführt von Jana Frielinghaus, Junge Welt, 17.9.13
Am Samstag hat in Rackwitz bei Leipzig eine antirassistische Demonstration stattgefunden, zu der vor allem Leipziger Gruppen aufgerufen hatten, weil in dem Ort eine Bürgerinitiative gegen ein geplantes Asylbewerberheim mobil macht. Es waren aber nur ganz wenige aus dem Ort dabei. Werten Sie die Aktion dennoch als Erfolg?
Ja, wir sind schon zufrieden, daß 200 Leute in so kurzer Zeit zusammengekommen sind, um gegen Rassismus zu demonstrieren – und auch, daß immerhin circa zehn jüngere Leute aus Rackwitz teilgenommen haben. Wir wollten zunächst auch einfach symbolisch dieser sehr homogen wirkenden Stimmung gegen das Heim etwas entgegensetzen.
Die Rackwitzer Bürgerinitiative und die Gemeinderäte haben sich von der Demo ebenso distanziert wie von der Instrumentalisierung durch die NPD und die Einwohner zum Boykott aufgefordert. War der Demoaufruf vielleicht zu harsch formuliert?
Zugegebenermaßen – auch wir diskutieren im Nachhinein, ob wir den Rackwitzern gegenüber nicht zu kraß aufgetreten sind.
Ich habe die Demo angemeldet und hatte persönlich auch Bauchschmerzen mit den sehr rüden Sprüchen, die von dem Zug ausgingen. Allerdings hat mich auch geprägt, was vorher an Ablehnung und Diffamierung uns gegenüber passiert ist. So wurde von der Bürgerinitiative behauptet, man habe uns gebeten, die Demo abzumelden. Das ist eine Lüge, die aber von der Lokalredaktion der Leipziger Volkszeitung ungeprüft übernommen wurde.
Sehen Sie künftig Möglichkeiten, diese »homogene« Ablehnungsfront, wie Sie es genannt haben, aufzubrechen?
Genau das ist ein Ergebnis unserer internen Auswertung der Demonstration. Wir haben einige konkrete Kontakte zu jüngeren Rackwitzern, und wir wollen uns jetzt mit verschiedenen Leuten zusammensetzen, wie zum Beispiel Vertretern des Mobilen Beratungsteams des Kulturbüros Sachsen, das auch im Landkreis Nordsachsen vor Ort Aufklärung leistet und Erfahrung damit hat, auf die Menschen zuzugehen. Mit denen zusammen wollen wir überlegen, wie wir anders agieren können. Auch mit Leuten vom Linke-Kreisverband sind wir in Verbindung.
Abgesehen davon ist der Plan, ein Lehrlingswohnheim für 120 Asylsuchende auszubauen, mehr oder weniger vom Tisch. Aber wir rechnen damit, daß eine kleinere Zahl von Asylsuchenden trotzdem bald in Rackwitz untergebracht wird. Deshalb wollen wir natürlich daran arbeiten, daß die Stimmung sich verändert und daß die Menschen dort friedlich leben können.
Eine Gruppe von Gemeinderäten hat sich inzwischen in einem offenen Brief an Landrat und Bürgermeister dafür ausgesprochen, eine geringere Zahl von 30 bis 40 Asylsuchenden dezentral im Ort unterzubringen … Wäre so eine Lösung auch in Ihrem Sinne?
Ja, wir verteidigen auf keinen Fall den Plan, Flüchtlinge wieder in eine Massenunterkunft zu stecken. Wir sind natürlich für das selbstbestimmte Leben in eigenen Wohnungen. Die Schwierigkeit besteht aber nach wie vor darin, daß das Land Sachsen vorschreibt, daß Asylsuchende »regelhaft« in Sammelunterkünften untergebracht werden sollen und nur in Ausnahmefällen in eigene Wohnungen dürfen, wenn sie das ausdrücklich beantragen.
In Leipzig wird am Mittwoch im Stadtrat über eine mögliche Schließung des maroden Asylbewerberheims in der Torgauer Straße diskutiert. Was erwarten Sie von der Sitzung?
Ich habe für meine Fraktion eine Anfrage eingereicht. In diesem Heim ist im Mai ein Asylbewerber zu Tode gekommen – und wochenlang hat sich der Betreiber trotz Hinweisen der Bewohner nicht dafür interessiert. Die Stadtverwaltung Leipzig hatte eigentlich geplant, das Heim Ende 2013 zu schließen und die Leute in kleineren Unterkünften unterzubringen. Aber wegen der hohen Zuweisungszahlen leben dort jetzt noch mehr Leute als vor einem Jahr, als dieser Beschluß gefaßt wurde. Wir als Fraktion fordern dringend die Schließung und die Schaffung von Alternativen.