Sicherheitspersonal in Asylunterkünften – Nachbetrachtung zur Women-in-exile-Demo und mehr

20191697669_f7b1e1dc66_zIm Juli 2016 fand in Leipzig eine Demonstration der Initiative „Women in exile“ statt. Im Vorfeld und während der Demonstration gab es – zum wiederholten Mal – Probleme mit dem Sicherheitspersonal. Grund genug für eine Anfrage im Stadtrat.

 

Am 27. und 28. Juli machte in Leipzig die „Women in exile“-Tour Station. Die aus Berlin/ Brandenburg stammende Gruppe engagiert sich vor allem für die Belange geflüchteter Frauen. In Leipzig waren Kontakte mit Frauen aus den Unterkünften in der Messehalle 17 und aus dem Zeltlager am Deutschen Platz geplant, die zu Gesprächsrunden und Aktionen eingeladen werden sollten.

Aus diesem Grund bemühten sich Engagierte aus Leipzig, die Veranstaltungen im Vorfeld den Frauen aus beiden Unterkünften nahe zu bringen. So unter anderem am 26.7. gegen 17 Uhr als vor dem Zeltlager am Deutschen Platz im öffentlichen Raum Flyer an Frauen verteilt wurden.
In dieser Situation intervenierten zum Zelt-Camp gehörende Security-Mitarbeiter harsch, versuchten den Flyer-Verteilenden diese aus den Händen zu reißen und drohten mit der Polizei. Zwei Tage vorher hatte eine Mitarbeiterin der sozialen Betreuung die Engagierten explizit auf die Möglichkeit, vor dem Lager Werbung zu machen, hingewiesen. Nach Augenzeuginnenberichten wurden den Geflüchteten, die das Lager betraten, die Flyer von Security-Mitarbeitern abgenommen. Ähnliches wurde bereits im Januar diesen Jahres berichtet. Sicherheitspersonal soll damals Wohnbereiche von Geflüchteten durchsucht und dabei Flugblätter konfisziert haben.

Einen Tag vorher, am 25. Juli, wurde versucht, auch die Bewohnerinnen der Messehalle 17 zu informieren. Eine Sozialbetreuerin sagte zu, dass sie die Flyer prüfen und sich dann wegen der Verteilung zurückmelden wolle. Dies geschah soll nach Aussage der Orga-Menschen  jedoch nie geschehen sein.

Am 28.7.2016 selbst, als die Demonstration von „Women in exile“ von dem Platz vor der Messehalle 17 vorbei am Deutschen Platz in die Innenstadt führte, kam es zu weiteren Zwischenfällen.
Ein Übersetzer der Messehalle 17 verunglimpfte die geflüchteten Frauen der Initiative in arabischer Sprache („Schlampen“) gegenüber Geflüchteten aus der Unterkunft. Am Deutschen Platz filmten Security-Mitarbeiter die Demonstration gegen deren Willen.

Ich fragte auf Grundlage der Informationen des Orga-Kollektivs (siehe auch hier im Interview) der Aktion im Stadtrat nach und erhielt die folgende Antwort:

1. Welche Erkenntnisse hat die Stadtverwaltung über oben geschilderte Vorgänge?

Die in der Anfrage zum Sachverhalt wiedergegebenen Schilderungen wurden auf Nachfrage bei den zuständigen Hausleitungen der Unterkünfte „Puschstraße 8, Halle 17“ und „Straße des 10. Oktober 40/Deutscher Platz“ nicht bestätigt.

Vom Betreiber der Unterkunft „Puschstraße 8, Halle 17“ wird folgender Sachverhalt beschrieben: Am 26.07.2016 wollten zwei Frauen Zugang zur Unterkunft. Dieser wurde durch das Sicherheitsunternehmen verwehrt. Die beiden Frauen konnten Flugblätter zur „Women in exile“-Tour auf dem Gelände vor der Unterkunft verteilen. Ein Flugblatt wurde durch eine Mitarbeiterin des Betreibers der Unterkunft entgegengenommen. Am nächsten Tag hat die Mitarbeiterin die auf dem Flugblatt genannte Nummer angerufen, um Nachfragen zu stellen und das Flugblatt in anderer Sprache oder als Poster zum Aushängen in der Unterkunft zu erhalten. Sie hat niemanden erreicht. Nach Aussage des Betreibers der Unterkunft hat kein Mitarbeiter die demonstrierenden Frauen verunglimpft. Die Demonstrantinnen sind an der Unterkunft vorbei gezogen und haben „Lasst die Frauen frei“ gerufen. Hierzu sei angemerkt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner jederzeit das Gelände verlassen können. Der Betreiber hat erklärt, dass die Bewohnerinnen nicht daran gehindert wurden, an der Demonstration teilzunehmen.

Vom Betreiber der Unterkunft „Straße des 10. Oktober 40/Deutscher Platz“ wird folgender Sachverhalt beschrieben: Am 24.07.2016 ließen sich drei Frauen als Besucher eines Bewohners am Eingang zur Unterkunft registrieren. Von den Mitarbeitern des Sicherheitsunternehmens und einer Mitarbeiterin des sozialen Dienstes wurden die Frauen dabei beobachtet, wie sie Flugblätter in einem Wohnzelt verteilten. Die Mitarbeiterin und ein weiterer Mitarbeiter des sozialen Dienstes unterhielten sich daraufhin ruhig und ausführlich mit den Frauen. Da sich die Frauen unter falschem Vorwand auf dem Gelände aufhielten, wurden sie höflich gebeten, das Gelände zu verlassen. Weder von Seiten des Betreibers noch von Seiten des Sicherheitsunternehmens wurde versucht, den drei Frauen Flugblätter „aus den Händen zu reißen“. Es wurde lediglich um ein Ansichtsexemplar gebeten. Keinem Bewohner und keiner Bewohnerin wurde ein Flugblatt durch den Sicherheitsdienst abgenommen, weder beim Betreten der Unterkunft noch in der Unterkunft. Es gab diesbezüglich auch keine Schrankkontrollen und es wurden keine Flugblätter beschlagnahmt. Auch wurde keinem Bewohner und keiner Bewohnerin eine Teilnahme an der Demonstration verwehrt. So gab es einige Familien, die sich der Demonstration anschlossen.

2. Ist das Sicherheitspersonal von Leipziger Asylunterkünften legitimiert, BewohnerInnen zu durchsuchen und persönliche Dinge zu beschlagnahmen? Auf welcher Rechtsgrundlage wurden den BewohnerInnen des Zeltlagers am Deutschen Platz am 26.7.2016 bei Eintritt auf das Gelände der Unterkunft Flugblätter abgenommen? Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte am 31. Januar 2016 die Durchsuchung von privaten Wohnbereichen der Geflüchteten im Zeltlager und die Beschlagnahmung von Flugblättern?

Die Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens sind nicht befugt, Wohnbereiche oder die persönlichen Sachen von Bewohnerinnen und Bewohnern zu untersuchen bzw. zu beschlagnahmen. Sollte das aufgrund eines begründeten Verdachtes aus Sicht des Sicherheitsunternehmens erforderlich sein, muss die Polizei hinzugezogen werden.

Nach Aussage des Betreibers und Sicherheitsunternehmens der Unterkunft „Straße des 10. Oktober 40/Deutscher Platz“ wurden den Bewohnerinnen und Bewohnern weder am 26.07.2016 noch am 31.01.2016 Flugblätter abgenommen. Auch wurden die privaten Wohnbereiche nicht durchsucht und es wurden keine Flugblätter beschlagnahmt. Grundsätzlich gilt: Sicherheitsunternehmen sind nicht mit staatlichen Organen gleichgesetzt und verfügen daher auch über weit weniger Rechte als Ordnungsämter oder die Polizei. Sicherheitsunternehmen sind dem Zivilrecht zugeordnet. Für ihre Auftraggeber setzen die Sicherheitsunternehmen das Hausrecht und die darauf beruhende Hausordnung gegenüber Dritten durch.

3. Inwieweit ist das Sicherheitspersonal von Asylunterkünften legitimiert, auch im Umfeld von Asylunterkünften – sprich im öffentlichen Raum – Kontrolltätigkeiten vorzunehmen, und wie verhält sich das konkret im oben geschilderten Fall (Verteilung von Flugblättern vor dem Zeltlager)?

Das Sicherheitspersonal ist nicht befugt, im öffentlichen Raum, beispielsweise auf der Straße vor dem Eingang einer Unterkunft, Kontrollen vorzunehmen.

4. An wen können sich Geflüchtete im Falle von Problemen mit Sicherheitspersonal wenden?

Die Bewohnerinnen und Bewohner können sich bei Problemen mit Beschäftigten der Bewachungsunternehmen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Trägers der Sozialen Betreuung sowie an die Hausleitung wenden. Ist eine Lösung mit der Hausleitung nicht möglich, steht das Sozialamt als Ansprechpartner zur Verfügung.

5. Welche Anforderungen werden an Beschäftigte von Sicherheitsdiensten in Leipziger Asylunterkünften – neben der Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß § 34 a Gewerbe­    ordnung i. V. m. § 9 Bewachungsverordnung – gestellt (z. B. Mehrsprachigkeit, interkulturelle Kompetenz, geschlechtersensibles Agieren etc.)?

Über die Regelungen des § 9 der Verordnung über das Bewachungsgewerbe hinaus stellt die Stadt Leipzig bei der Bewachung von Wohnobjekten für Geflüchtete folgende Anforderungen an die Beschäftigten der Bewachungsunternehmen: Die Beschäftigten müssen ein aktuelles eintragungsfreies erweitertes Führungszeugnis gemäß § 30a Bundeszentralregistergesetz (BZRG) vorweisen, über einen Abschluss eines Ersthelferlehrgangs verfügen und der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig sein.

Ergo:
Bezüglich der Abläufe gibt es verschiedene Wahrnehmungen. Es drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass Darstellungen der Betreiber der Unterkünfte von der Verwaltung unkritisch übernommen wurden. An einer Auswertung des von Betroffenen – ob Geflüchtete oder Aktivist*innen – selbst erlebten Fehlverhalten von Sicherheitsleuten scheint kein Interesse zu bestehen, wiewohl klar ist, dass Zweifel und Kritik begründet sein müssen. Davon bin ich in den beschriebenen Fällen überzeugt.
Laut Aussagen von Ehrenamtlichen werden zudem beispielsweise im Zeltlager am Deutschen Platz – entgegen der Ausführungen in der Antwort der Stadtverwaltung – bei den BewohnerIn beim Einlass Taschenkontrollen durchgeführt und dabei spitze Gegenstände, wie z.B. Nagelscheren beschlagnahmt.
Im Januar diesen Jahres hatten Geflüchtete aus dem Zeltlager öffentlich selbst über Probleme mit dem Sicherheitspersonal berichtet.
Ich selbst habe während der „Women-in-exile“-Demo erlebt wie Sicherheitspersonal vom Zeltlager am Deutschen Platz die Demonstration provokativ abfilmte.

Jenseits der Einzelfälle sind auch die Anforderungen an das Sicherheitspersonal von Asylunterkünften von Interesse. Hier geht selbst der Freistaat Sachsen in den in seiner Verantwortung liegenden Erstaufnahmeeinrichtungen über die Anforderungen der Stadt Leipzig hinaus. Laut dem Sicherheitsrahmenkonzept für EAE ist die Einstellung von „Personal aus den Herkunftsländern von Asylsuchenden“ ausdrücklich erwünscht. Zudem ist durch das Sicherheitsunternehmen sicherzustellen, dass das Personal einmal jährlich an einer tätigkeitsbezogenen Qualifizierungsmaßnahme teilnimmt und dass es „innerhalb von sechs Monaten nach der Aufnähme der Tätigkeit an einer Fortbildung zur interkulturellen Kompetenz“ teilnehmen muss. Laut Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir, können zur Erfüllung dieser Anforderungen allerdings noch keine Aussagen getroffen werden. Hierzu werde ich Ende des Jahress nachhaken.

Bildquelle: caruso pinguin

Weiteres zum Thema:

Sicherheitsdienstleistungen von privaten Unternehmern in den Flüchtlingsunterkünften im Freistaat Sachsen (Kleine Anfrage Nov/ 2014)

Überprüfung von Bewerbern für die Sicherheitsbranche und dort bereits tätigen Personen (Kleine Anfrage Jan/ 2016)

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