Heute war nun das große Finale: nach inzwischen jahrelangen Debatten, Beteiligungsprozessen, Anhörungen wurde am 2. Mai 2024 im Landtag ein Integrations- und Teilhabegesetzes für Sachsen beschlossen. Als erstes ostdeutsches Flächenland würde Sachsen damit eine gesetzliche Grundlage für die Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Migrationsgeschichte schaffen. Würde.
Das Anliegen ist gut, ist durch Zivilgesellschaft und linker Opposition in diesem Landtag schon lange formuliert. Das, was die Regierung hier vorlegt hat allerdings, ist ein wirklich schwacher, ein schlechter Kompromiss, der den Stand der wissenschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und politischen Diskussion viele Perspektiven des lang angelegten Beteiligungsprozesses einfach wegwischt.
Auch darum haben wir unser linkes Migrant*innenteilhabegesetz parallel zur Abstimmung vorgelegt. Meine Rede zur Debatte um beide Gesetzesentwürfe:
Dass Sachsen ein Einwanderungsland ist, kann heute niemand mehr ernsthaft anzweifeln. Die Zahl der Menschen ohne deutschen Pass, die ihren Weg über humanitäre Fluchtzuwanderung. Als internationale Studierende, als Ehepartner*innen, als Arbeitskräfte hierher finden, ist in den letzten 10 Jahren von unter 3% in 2014 auf fast 8 % gestiegen, die Zahl der Menschen mit Migrationsgeschichte sogar auf fast 12% – mit diesen Zahlen ist Sachsen nichts desto trotz bundesweites Schlusslicht.
Während wir vor rund 10 Jahren noch gegen einen pauschalen Migrationsabwehrdiskurs angehen mussten, ist die Realität einer sich diversifizierenden Gesellschaft heute bis in konservative Kreise angekommen. Trotzdem wird Zuwanderung auch weiterhin überwiegend aus einer belastungsorientierten Perspektive betrachtet, wie es Hendrik Kreuzberg von der Parität Sachsen in der Anhörung im Sozialausschuss treffend formulierte: und dies fördert Exklusion, Ungleichbehandlung und Diskriminierung.
Ja, wie wir diese Gesellschaft gestalten und ob Integration im Wortsinne als Ein- und Unterordnung verstanden oder als Inklusion und Veränderung des Bestehenden angenommen wird, ob Menschen exklusiv davon profitieren oder Integrationspolitik universell verstanden wird, daran scheiden sich die Geister weiterhin und es ist eben nicht gelungen diese Debatte progressiv aufzulösen.
Als LINKE stehen und streiten wir für eine inklusive Gesellschaft derer, die hier leben. Mit unserem Migrant*innenteilhabegesetz meinen wir folgerichtig alle Menschen ohne deutschen Pass, unabhängig ihres Aufenthaltsstatus und die, die eingebürgert sind oder als Kinder von Eingewanderten hier leben und von Ausschlüssen immer noch betroffen sind. Die Regierungskoalition dagegen will von ihrem Gesetz im Kern nur die profitieren lassen, die sich berechtigt hier in Deutschland aufhalten. Art und Umfang der Teilhabemöglichkeiten sollen vom Aufenthaltsstatus abhängig gemacht werden. Sie schreiben Exklusion also fest und treten damit in die Fußstapfen von Bayern mit seinem äußerst restriktiven Integrationsgesetz. Das macht auch die Änderung mit der Streichung des „dauerhaft“ zum „berechtigten Aufenthalt“ kaum besser.
Als LINKE definieren wir Integration als gesamtgesellschaftlichen Prozess, an dessen Gelingen alle mitwirken sollen und der die Erfahrungen, Potentiale und Leistungen der Menschen mit Migrationsgeschichte in Sachsen inkludiert statt aussperren soll. Das Gesetz der Staatsregierung dagegen richtet den Fokus einseitig auf Assimilationserwartungen. Der Leitsatz Fordern und Fördern und der Fokus auf ökonomischen Nutzen von Einwanderung für Sachsen zeigt ein sehr instrumentelles Verständnis von Integration und läuft einem grundsätzlich menschenrechtlichen Verständnis zuwider. Wenn sie als Gesetzesziel definieren, dass „Menschen mit Migrationshintergrund zu einem gleichberechtigten Leben in unserer Gesellschaft befähigt werden“ sollen, frage ich mich ob sie die Realitäten in Sachsen auf dem Schirm haben: ein gleichberechtigtes Zusammenleben wird vor allem durch Rassismus und rassistische Diskriminierung verhindert,
Dieses Verständnis von Integration ist im Hinblick auf die Parteien, die die Koalition tragen, echt ein Armutszeugnis.
Wir wissen, dass ein Integrationsgesetz keine Wunder ausrichten kann. Wir verstehen es als eine Art Dach für die bereits bestehenden zivilgesellschaftlichen, kommunalen und behördlichen Bemühungen einerseits, andererseits als Instrument Ziele und Verfahren klar und verbindlich zu definieren und auszugestalten.
Mit unserem Gesetz definieren wir ausgehend von unserem Integrationsverständnis Prämissen, Instrumente und Strukturen, die Teilhabe von MmG in Sachsen sichern sollen.
Wir wollen unter anderem regeln, dass alle öffentlichen Stellen und Organisationen die Integration und Beteiligung eingewanderter Menschen zu unterstützen und Diskriminierung aktiv entgegenzuwirken haben. Dazu müssen die Behörden – ob in Land oder Kommune, ob Hochschulen oder Fördermittelempfänger*innen – migrationsgesellschaftlich geöffnet werden. Es reicht aber nicht, nur gezielt den Anteil an Beschäftigten mit Migrationsgeschichte zu erhöhen – nach unseren Vorstellungen soll ihr Anteil dem des Anteils an der sächsischen Bevölkerung entsprechen – wir erwarten auch, dass Behörden integrationshemmende Regelungen erkennen und an deren Abschaffung mitwirken.
Ein weiterer zentraler Kern unseres Gesetzesentwurfs sind die Kommunalen Teilhabezentren. Hier haben wir uns von Nordrhein-Westfalen inspirieren lassen, dass über 54 solcher Zentren verfügt. Integration findet im Wesentlichen in den Kommunen statt, wo Menschen leben, zur Schule gehen, arbeiten und sich beteiligen. Darum kommt diesen Zentren eine Schlüsselrolle zu: Sie sollen Integration als Querschnittsaufgabe gestalten und voranbringen. Und genau dieser Aspekt: Integration als verbindliche kommunale Aufgabe ist im Gesetz der Staatsregierung bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt. Beinah alles was in die kommunale Hoheit fällt, ist als Kann-Bestimmung formuliert. Es ist bitter, dass gerade der Sächsische Landkreistag mit Händen und Füßen gegen eine solide Grundlage in diesem Bereich gekämpft und sich durchgesetzt hat. Erwartbar ist so, dass die Förderung von Teilhabe in den Bereichen Bildung, Arbeit, Gesundheit und an demokratischen Prozessen in Sachsen weiter selektiv stattfindet und sich strukturell nichts ändert, bzw. nur an Orten, an denen eine inklusive Gesellschaft als positive Herausforderung angenommen wird.
In unserem Gesetzesentwurf sehen wir für die Aufgaben, die das Gesetz auch für die kommunale Ebene als Pflichtaufgaben formuliert, einen Mehrbelastungsausgleich vor, wie ihn die Sächsische Verfassung vorschreibt. Zudem wollen wir eine jährliche Integrationspauschale – vergleichbar mit der der Asylpauschale nach SächsFlüAG – in Höhe von 25 Millionen Euro ausschütten, um auch kommunale Infrastrukturen für die Migrationsgesellschaft fit zu machen. Genau diese finanziellen Garantien braucht die kommunale Ebene um Strukturen aufzubauen und zu verändern. Es irritiert, dass für den Gesetzesentwurf der Staatsregierung keinerlei finanzielle Garantien ausgewiesen und auch mittelfristig keine finanziellen Auswirkungen im Landeshaushalt angezeigt werden. Das ist unehrlich. Integration wird es nicht zum Nulltarif geben, Investitionen allerdings werden sich auszahlen!
Einen großen Stellenwert hat für uns die Förderung der freien Träger, die in Sachsen flächendeckend für Teilhabe und Gleichberechtigung von Menschen mit Migrationsgeschichte aktiv sind. Diese leisten seit jeher eine großartige Arbeit, seit 2015 auch auf Basis der Förderrichtlinie Integrative Maßnahmen. Wir unterstützen dieses Förderinstrument prinzipiell. Wir fordern mit unserem Gesetzesentwurf allerdings eine gesetzliche Verankerung von Förderbereichen und die Einführung institutioneller Förderungen u.a. für die Flüchtlingssozialarbeit mit einem Betreuungsschlüssel von 1:150, für Asyl- und Perspektivberatung, für die Arbeit der Psychosozialen Zentren und die Sprachmittlung. Denn bei den genannten Aufgaben handelt es sich nicht um Projekte, sondern um Strukturen der Migrationsarbeit, die dauerhafte Perspektiven brauchen. Der Landes-Migrationsrat, den wir als starkes, eigenständiges und vom Sozialministerium unabhängiges Repräsentations- und Beteiligungsgremium schaffen wollen, soll im Übrigen an den Förderentscheidungen der Freien Träger beteiligt sein. Der Landesbeirat, den die Regierung vorsieht, wird vor allem ein Expert*innengremium der Ministerin bzw des Ministers werden, in dem mehr über Integration gesprochen wird als die vertreten sind, die es wirklich betrifft, ein Beirat, der kaum Kompetenzen haben wird.
Auch die Regelungen zu kommunalen Migrationsbeauftragten und Beiräten sind in unserem Gesetz deutlicher und verbindlicher. Und ich sage klar: Im Jahr 2024 dürfen wir keine halben Sachen mehr machen. Wenn wir es ernst meinen mit einer inklusiven Migrationsgesellschaft, müssen wir die Strukturen verbindlich schaffen!
Und das betrifft zum Beispiel auch die Würdigung dessen, dass hier inzwischen viele Menschen leben, die Religionen angehören, die nicht die großen Kirchen sind. Zum Thema Arbeitsfreistellung oder Bestattungsriten finden sich im Gesetz der Regierung im Gegensatz unserem Entwurf große Leerstellen, auch ein Aspekt, der in der Anhörung kritisiert und nicht geheilt wurde.
„Nichts über uns, ohne uns“, wie es der Migrationsexperte Özcan Karadeniz über den Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe in der Anhörung zu unserem Gesetzesentwurf formulierte: Das ist der Leitsatz, den das LINKE Migrant*innenteilhabegesetz durchzieht und der ein progressives Verständnis einer inklusiven Migrationsgesellschaft modelliert. Wir bitten Sie herzlich um Zustimmung zu unserem Gesetzesentwurf. Gerade in diesen Zeiten wäre das ein starkes Symbol. Dem Gesetz der Staatsregierung können wir mit Ach und Krach eine Enthaltung zugestehen, die schwerwiegendsten Defizite aus unserer Sicht habe ich versucht zu umreißen. Jenseits von Symbolik prägt es die Handschrift einer in sich widersprüchlichen Regierungskoalition. Dieses Gesetz wird in der Realität kaum etwas ändern. Und das ist den Herausforderungen unserer Zeit eben nicht angemessen.