Nicht nur, dass Politikerinnen und Politiker im Moment erst zu merken scheinen, dass es Neonazis gibt und diese Menschen angreifen, verletzen und ermorden, nein es entbrennt nebenbei auch ein Wettstreit um das repressivste Vorgehen gegen rechts. Landauf/ landab tönen die Stimmen für ein Verbot der NPD.
Der Bundesinnenminister führt die Einführung einer zentralen Neonazidatei, die stärkere Verzahnung von Daten, die von Landesverfassungsschutzbehörden und Polizei erhoben werden, sowie wie eine Zentralisierung des Verfassungsschutzes ins Feld. Auch die alte Klamotte Vorratsdatenspeicherung wird wieder aus der Kiste geholt.
Um Neonazis Herr zu werden, will der Staat seine Kompetenzen also erweitern. Ein üblicher Reflex, der im im Kampf gegen Neonazismus nichts ausrichten, dafür aber den Restbestand bürgerlicher Grundrechte weiter einschränken wird.
Doch es geht diesem Staat nicht um die Würde und Freiheit von Menschen. Er selbst ist Erfüllungsgehilfe von RassistInnen, wenn er Menschen ins Elend und in den Tod abschiebt, oder wenn sein Geheimdienst, der Verfassungsschutz, als NPD-Aufbauorganisation fungiert und zum Bestandsschutz für die Neonazi-Partei wird.
Es geht – das beweisen die aktuellen Äußerungen von führenden PolitikerInnen a la Außenminister Guido Westerwelle und Kanzlerin Angela Merkel zum Thema NSU, um das Ansehen Deutschlands in der Welt. Diesen Schein wieder herstellen und zu retten was zu retten ist ihnen jedes Mittel recht. Die Devise ist, hart durchgreifen, durchleuchten und wegsperren, Mittel, die im Kampf gegen links gang und gäbe sind.
Dass bestehende Instrumente gegen Neonazis durch den Staat nicht genutzt wurden, muss angesichts des jahrelangen, nicht beachteten Mordens des so genannten NSU stutzig machen.
Bereits seit 1992 gibt es auf Beschluss der Innenminister von Bund und Ländern die „Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/ terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte“. Zu deren Aufgaben zählen die Fortschreibung bestehender und die Entwicklung neuer Beobachtungs- und Bekämpfungskonzepte gegen rechtsextremistische bzw. rechtsterroristische Gewaltakte sowie die Intensivierung des diesbezüglichen Erkenntnisaustausches zwischen den beteiligten Behörden.
Was hat diese Informationsgruppe eigentlich in den fast 20 Jahren ihrer Existenz gemacht? Scheinbar nichts, sonst wäre die „Zwickauer Zelle“, Anschläge auf Synagogen und Wohnhäuser, Übergriffe auf Menschen etc nicht in dem Maße möglich gewesen.
Wenn es um Neonazismus ging, wurde weggeschaut, gepfuscht und bagatellisiert.
Insbesondere die Geheimwaffe des bürgerlichen Staates gegen staats- und verfassungsfeindliche Bestrebungen, der Verfassungsschutz, hat offenkundig versagt und damit die Forderung nach seiner Abschaffung untermauert. Mehr noch, er gehört scheinbar zum zentralen Problem, wenn wir über neonazistische Organisationen und deren Finanzierung reden. Mehr als 100 V-Leute bewegen sich in der rechten Szene. Ihre Vertrauenswürdigkeit ist mehr als fragwürdig, sie haben sie zur Finanzierung von Nazistrukturen beigetragen. Es ist ein Treppenwitz dass nun alle V-Leute von jeweils 12 PolizeibeamtInnen observiert werden sollen. Ein Abzug aller V-Leute ist die rationalste und pragmatischste Forderung, die derzeit in den Raum gestellt werden muss, denn damit würden die Chancen, dass die Nazi-Strukturen nachhaltig geschwächt werden, steigen.
Doch diese Debatte überlassen wir guten Gewissens den grünen, linken und sozialdemokratischen Fraktionen in den Parlamenten. Genau wie die Forderung nach einem NPD-Verbot. Dass dieses weder das Morden der NSU noch die alltägliche Gewalt von Neonazis verhindern würde, liegt auf der Hand. Im Gegenteil trägt der Ruf nach Verboten, Datenbanken und der Ausweitung der Kompetenzen des VS zur Verschleierung und zur Verhinderung einer offensiven Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen, die bekanntermaßen gesamtgesellschaftlich verbreitet sind, bei. Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus oder Homophobie brauchen keine Partei- oder Vereinsstrukturen, wie es die Hintergründe der Mörder von Kamal – ermordet am 24.10.2010 in Leipzig – nur zu gut zeigen. Beide waren weder Mitglied der NPD noch anderweitig in Vereinen organisiert, ihr Denken und Handeln wäre durch kein Verbot vereiltet worden.
Uns schert das Ansehen Deutschlands in der Welt nicht.
Uns bewegt die Gewalt von Neonazis, nicht erst seit den aktuellen Debatten um Rechtsterrorismus.
Den staatlichen Institutionen dagegen ist seit jeher der Kampf gegen links das erste Anliegen. Die jüngsten Repressionsmaßnahmen gegen AntifaschistInnen und zivilgesellschaftliche Initiativen in Sachsen sind dafür ein Paradebeispiel. Razzien, Ermittlungen nach § 129 STGB und großräumige Handydatenerfassung wurden in Stellung gebracht um linke Strukturen, alternative Projekte und Bündnisse auszuspähen und einzuschüchtern.
Um Widerstand gegen Nazis und deren Aufmärsche zu kriminalisieren, was ja erstmal nicht viel mit der Vorstellung von der Überwindung der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft zu tun hat, ist der sächsischen Staatsregierung jedes Mittel Recht. Auch vor diesem Hintergrund wird die derzeitge Skandalisierung der Dimension rechter Gewalt zur Farce. Mit der erst in dieser Woche vom sächsischen Innenminister bekräftigten Weigerung die landeseigene Extremismusklausel abzuschaffen verkommen die Betroffenheitsreden über die Nazimorde und die verbale Hofierung der Zivilgesellschaft zu reiner Makulatur. Seit über einem Jahr müssen Initiativen, Vereine etc. die gegen Neonazismus und für eine Demokratische Kultur arbeiten, wenn Staatsknete bekommen wollen, diese Klausel unterschreiben, sich damit zur FDGO bekennen und auch ProjektpartnerInnen zu diesem Bekenntnis zwingen.
Sachsen ist das bis dato einzige Bundesland, das sich die Extremismusklausel für Landesgelder zu eigen gemacht hat. Ziel der Klausel ist es zu sieben, zwischen genehmen, unkritischen Projekten und solchen, die den Finger auf die Wunde legen und staatliches Handeln in ihrer Kritik einbeziehen.
In kurzer Zeit wird sich die Aufregung über neonazistischen Terror wieder gelegt haben. Allein die Verschärfung staatlicher Repression und die Erweiterung der Befugnisse der Repressionsorgane werden übrig bleiben und können sich ganz schnell gegen links richten. Wie lange wird es dauern, bis Verbote auch linke StaatskritikerInnen treffen, bis die Behörden noch ausgefeiltere Datenbanken für so genannte Straf und Gewalttäter links schaffen als es sie schon jetzt gibt. Und wird nicht der verbesserte Austausch zwischen Polizei- und Verfassungsschutzbehörden oder die Zentralisierung und Stärkung des BundesVerfassungsschutzes den Verfolgungs- und Repressionsdruck gegen die radikale Linke erhöhen?
Wir lassen uns von diesem Staat nicht in sein Anti-Rechts-Programm einbinden. Für einen konsequenten Antifaschismus. Für eine linksradikale Organisierung!
Anmerkung: leider konnte der Beitrag auf Demonstration aus Zeitgründen nicht mehr gehalten werden.