Rede zum Sächsischen Zuwanderungskonzept „Zuwanderung und Integration gut gestalten“

Mit Verspätung ging es in die 72. Sitzung des Landtages, nachdem erst auf den Plätzen der SPD-Abgeordneten Pechkekse ausgelegt wurden und später das Mikrophon streikte:

Der Plenumstag begann mit der Fachregierungserklärung: „Zuwanderung und Integration gut gestalten – Zusammenhalt leben, Zuwanderungs- und Integrationskonzept II des Freistaates Sachsen“. Grundsätzlich begrüßen wir als LINKE das aktualisierte Konzept. Im Detail zeigen sich schnell die Grenzen des Möglichen, aber vor allem des Gewollten. Schließlich handelt sich um eine Sammlung von recht unverbindlichen Absichtserklärungen. Es kann sich also nur um einen Teil einer umfassenden Integrationspolitik handeln. Auch deshalb wollen wir ein Integrations- oder besser Teilhabegesetz, und damit weg von reinen Absichtserklärungen unter Haushaltsvorbehalt, hin zu Rechtsansprüchen, verbindlichen Strukturen, Kontinuität und Verlässlichkeit für alle beteiligten Akteure.

Inzwischen gibt es eine Pressemitteilung meiner Fraktion. Hier dokumentiert nun meine komplette Rede zum ZIK, dem sächsischen Zuwanderungs- und Integrationskonzept:

Erwiderung auf die Fachregierungserklärung der Staatsministerin für Gleichstellung und Integration beim Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, Petra Köpping (SPD)

072. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages, 30.05.2018

Anrede //

Wir freuen uns über das hier nun vorliegende Zuwanderungs- und Integrationskonzept II. Es passt die konzeptionellen Pfeiler, auf denen der Freistaat Sachsen die Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte gestalten will, an die Gegenwart an. Oder anders gesagt: Es verdient, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, den Namen Konzept.

Daher will ich an den Anfang meiner Ausführungen explizit einen Dank an das Integrationsministerium, an die Ministerin Petra Köpping und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Prozess organisiert und gestaltet haben, richten.

Rückblick auf das Zuwanderungs- und Integrationskonzept 1 und Kritik daran

Sachsen war über Jahre ein Entwicklungsland in Sachen Zuwanderung und Integration. Die Quote an Menschen ohne deutschen Pass lag über Jahre zwischen 2 und 3 %. Auch heute bewegt sie sich mit knapp über 4 %, oder in absoluten Zahlen bei 195.227 nicht-deutschen Staatsangehörigen, im Bundesvergleich auf niedrigem Niveau.

„Zuwanderung in die neuen Bundesländer erfolgte bisher fast ausschließlich per Zuweisung. Diese Zuwanderung fand statt in einer Region, die ökonomisch bisher nur wenig Chancen bietet“, so die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Karin Weiß 2013. Als tausende, ja hunderttausende Sächsinnen und Sachsen den Freistaat aufgrund fehlender Perspektiven verließen, kamen freiwillig auch kaum Migrantinnen und Migranten. Dies bildet sich auch heute noch ab. Die Zahl der Menschen ohne deutschen Pass stieg in Sachsen seit 2015 um zirka 30.000. Der Anstieg liegt an der Zuwanderung von EU-BürgerInnen – und vor allem von geflüchteten Menschen.

Schwerer ist die Erfassung von Menschen mit Migrationsgeschichte, zu denen auch die zählen, die sich für eine deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben, in 2. Generation mit deutschem Pass hier leben oder einen Elternteil mit Migrationshintergrund haben. Insgesamt lag die Zahl von Menschen mit Migrationsgeschichte, inklusive Menschen ohne deutschen Pass, laut Statistischem Bundesamt in 2016 bei 267.000 – dies macht 6,5 % der Bevölkerung des Freistaates aus und liegt immer noch weit unter dem Bundesdurchschnitt (22,5%)

Die Besonderheiten der Einwanderung in die ostdeutschen Bundesländer allgemein und im speziellen in Sachsen, haben ihre Wurzeln auch in der Geschichte der DDR und der 10 Jahre nach ihrem Ende. Vielfach wird übersehen, welche Zäsur die Wiedervereinigung nicht nur für die Ostdeutschen, sondern auch für die hier lebenden Einwanderer*innen, insbesondere die Vertragsarbeiter*innen, darstellte. Das gesellschaftliche Klima besonders der Nachwendezeit war geprägt von Ressentiments und unverhülltem Rassismus. Angeheizt von einer unsäglichen, unverhohlen nationalistischen Politik und eines ebenso ausfallenden öffentlichen Diskurses wurden unter dem Beifall der „Mitte der Gesellschaft“ faktisch national befreite Zonen geschaffen. Zu diesem Klima gehört eine Kultur des Wegschauens und Relativierens, überhaupt eine mangelnde demokratische Kultur. Das konnte bis zum heutigen Tag überdauern, wie die Sachsenmonitore der vergangenen beiden Jahre zeigen.

Und ich betone an dieser Stelle: Die Politik der CDU-geführten Landesregierung nährte die feindliche gesellschaftliche Stimmung. Migrantinnen und Migranten wurden unsichtbar gemacht, Rassismus tot geschwiegen, Geflüchtete in Sammelunterkünften kaserniert und explizit nicht als Teil der sächsischen Gesellschaft betrachtet. Das Feld der Integrationspolitik lag weitestgehend brach. Diesen Geist atmet auch das ZIK von 2012.

Davon zeugen die Wegzugsbewegungen aus Sachsen noch heute: Nach Angaben des „Monitoring Asyl“ lebten zum 31.03.2017 noch rund 47.600 anerkannte Geflüchtete in Sachsen. Demnach ist mehr als die Hälfte der seit 2013 nach Sachsen zugewiesenen Asylsuchenden nach der Anerkennung weggezogen. Nicht nur, weil viele Geflüchtete in anderen Teilen Deutschlands familiäre und andere soziale Anknüpfungspunkte und auch bessere Lebensperspektiven haben, sondern auch, weil für viele Menschen Rassismus und Diskriminierung unerträglich und Chancen auf ein würdiges Leben gering sind. Erst vor wenigen Tagen sagte mir ein Geflüchteter, dass er es hier kaum noch aushält. Dass er mit Aufenthaltsgestattung, wie auch seine Freunde mit Duldung, keinen Zutritt zu vielen Discotheken in Leipzig bekommt, ist dabei „nur“ das I-Tüpfelchen. Ausschluss, auch Alltags- und institutionelle Diskriminierung, sind die bittere Realität für viele geflüchtete Menschen in diesem Lande, die die schwächste Gruppe der Einwandernden sind.

Der Vorgänger des aktuellen Integrationskonzeptes von 2012 war Ausdruck der Ignoranz für die Interessen von MigrantInnen. Es fehlte an Anerkennung, an Chancen für geflüchtete Menschen, Teil der Gesellschaft zu werden. Der Name des damaligen Zuwanderungs- und Integrationskonzepts „Respekt, Toleranz, Achtung“ war fast schon zynisch. Sachsen war seinerzeit übrigens das Bundesland, das als letztes überhaupt ein Integrationskonzept vorlegte.

Dem vorangegangen war ein mehrjähriger Ausarbeitungsprozess unter Beteiligung von Migrant*innenorganisationen, vorrangig des Sächsischen Migrantenbeirates. Die Vorschläge der Vereine und Migrantenselbstorganisationen fanden jedoch keinen Eingang in das ZIK, was die Akteur*innen verständlicherweise echauffierte. Laut Marc Lalonde, damals Vorsitzender des Ausländerrates Dresden, war das Konzept im wesentlichen nur die Auflistung der bis dato völlig ungenügenden Integrationspolitik des Landes.

Das vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz in Auftrag gegebene Gutachten „Integration von Zuwanderern im Freistaat Sachsen“ von 2014, erstellt vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration, stützt diesen Befund. Begrüßt wird zwar grundsätzlich, dass es nun ein Konzept gibt, dieses aber letztlich in nahezu allen Punkten weiterzuentwickeln ist. Verschiedene Handlungsfelder des ZIK sollten klarer umrissen, mess- oder überprüfbare Ziele innerhalb dieser Handlungsfelder formuliert werden. Zudem sollten jeweils die für die Zielerreichung verantwortlichen Akteure benannt werden. Die Handlungsfelder gesellschaftliche Teilhabe, Antidiskriminierung und interkulturelle Öffnung sollten noch deutlicher konturiert werden. Auch die Empfehlungen zur notwendigen Beteiligung verschiedenster Interessenvertreter – aus Zivilgesellschaft, Politik und Institutionen, und das Verständnis des Konzeptes als dynamischen Prozess, können nur als Kritik am alten Konzept verstanden werden.

Paradigmenwechsel um 2014

Wenn die Lage also schlecht ist, kann es immer nur besser werden, meine ich als Optimistin. Seit der Regierungsbildung infolge der Landtagswahlen 2014 hat Sachsen nun endlich ein Integrationsministerium, zumindest ein kleines. Wie sie wissen, befürworten wir durchaus die Aufwertung des Geschäftsbereiches Gleichstellung/ Integration zum Vollministerium und würden gern aus konzeptionellen Gründen, weil es hier um Menschen geht und nicht um Ordnungspolitik, verschiedene bisher im Staatsministerium des Inneren angesiedelte Aufgaben, wie zum Beispiel den gesamten Bereich der Flüchtlingsaufnahme und -unterbringung, in diesem neuen Ministerium bündeln.

Doch auch mit ihrem kleinen, durchaus prekär aufgestellten Haus hat Frau Köpping in den letzten 3,5 Jahren so einiges auf den Weg gebracht. Es wurden Strukturen und Förderinstrumente geschaffen, die es so dringend gebraucht hat. Ich erwähne hier beispielhaft die Förderrichtline Soziale Betreuung und die Förderrichtlinie Integrative Maßnahmen. Bei einer gesellschaftlich verhärteten und sich zuspitzenden Stimmung war die Ministerin bei zahlreichen Terminen vor Ort. Sie hat Graswurzelinitiativen und Menschen Mut gegeben, hat Engagement für ein gleichberechtigtes und solidarisches Miteinander auch symbolisch unterstützt und hat Brücken gebaut.

Und wir sprechen hier nicht über gesellschaftliche Randfragen, über Orchideenthemen oder sonstiges „Gedöns“, wie es wohl auch so mancher beim größeren Partner der Regierungskoalition denken mag. Wir können uns vorstellen, wie hart es an vielen Stellen gewesen sein muss, Projekte gegen den großen Koalitionspartner und auch so manchen Verantwortungsträger vor Ort durchzusetzen, sei es aus inhaltlichen und auch finanzpolitischen Erwägungen.

Zum Zuwanderungs- und Integrationskonzept (ZIK) II

Es ist folgerichtig, dass das ZIK II mit dem Titel „Zuwanderung und Integration gut gestalten – Zusammenhalt leben“ überschrieben ist. Denn Integration kann niemals ein nur einseitiger Prozess sein, der die Einpassung der neu Hinzukommenden Menschen in die vorherrschenden Verhältnisse bedeutet. Integration muss auch von der Aufnahmegesellschaft gelebt und ermöglicht werden. Offenheit und Mut zur Veränderung müssen die Devise sein. Und dies gerade in den Zeiten, in denen mit globalisierten Produktionsketten und Märkten, weltweiten virtuellen Kommunikationswegen, Staatenverbünden wie der EU oder Reisefreiheit und Auslandsaufenthalten, für die, die sichs leisten können, Grenzen so und so erodieren. Neben den materiellen Grenzen des globalen Nordens, und in unserem Bezugsraum der Festung Europa, die schutzsuchende Menschen mit aller Gewalt abhalten sollen, sind es vor allem die Grenzen in den Köpfen, die eine wirklich offene, vielfältige und chancengerechte Gesellschaft, in der alle Menschen unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus gleichberechtigt leben können, verhindern.

Zumindest den letzteren Aspekt versucht das ZIK II mit dem Teil 4 – „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ – aufzuwerfen und zu bearbeiten. Das ist ein wichtiger Paradigmenwechsel zum ZIK 1.

Bevor ich weitere Teilbereiche beispielhaft fokussiere ein paar Worte zum Prozess.

Seit 2016 befindet sich das ZIK im Fortschreibungsprozess, so wie es auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Zahlreiche Vorschläge des bereits benannten Gutachtens des Sachverständigenrates wurden aufgenommen. Der Prozess insgesamt wurde besser gestaltet als der zum ZIK I, Frau Köpping hat darauf verwiesen.

Dass die Beteiligung nicht immer gut gelungen ist, sei hier nur am Rande erwähnt, zum Beispiel wenn beim Verbändegespräch im Juni letzten Jahres den Beteiligten vor Ort eine Printversion des Konzeptes in die Hand gedrückt wird, aber keine wirklich Zeit zur Vorbereitung auf die folgenden Diskussionen bleibt. Später wurde das fertige Konzept nicht an die Akteure rückkommunziert, überhaupt wurde das Dokument erst sehr spät öffentlích zur Verfügung gestellt. Für die Zukunft ist uns wichtig, dass zivilgesellschaftliche Akteure und vor allem die Migrant*innenselbstorganisationen stringent in den Prozess der Umsetzung involviert werden. So, dass wir tatsächlich von einem dynamischen Konzept sprechen können.

Kritische Würdigung en Detail

Wenn wir in das Dokument hineingehen, sehen wir schnell die Grenzen des Möglichen, und auch des Gewollten:

1. Bleiben die Möglichkeiten zu wesentlichen Veränderungen uns hier auf Landesebene verschlossen und der Regelungsgewalt des Bundes unterworfen. Stichworte sind hier großzügigere Bleiberechtsregelungen, ein durchlässigeres Staatsbürgerschaftsrecht, das Wahlrecht für DrittstaatlerInnen oder auch Geld für Integrationsmaßnahmen. Hier hätten wir uns auch im ZIK 2 etwas mehr Mut und die Formulierung von Forderungen in Richtung Bund gewünscht.

2. Bleibt ein Konzept ein Konzept ohne rechtsverbindliche Wirkmacht. Im ZIK II finden wir viele gut klingende Absichtserklärungen, viel guten Willen. Unterm Strich fehlen aber auch hier wieder konkrete Verantwortlichkeiten und Zeitpläne. Es fehlt der versprochene Umsetzungsplan mit Maßnahmenmatrix. Hinzu kommt der über allen aufgelisteten Willensbekundungen schwebende Haushaltsvorbehalt. Und:

3. Ist an vielen Stellen ein schlechter Kompromiss herauszulesen, es fehlt aber ein fundamentaler Richtungswechsel.

Zum Beispiel im Bereich der Bildung:

Wir wissen, dass die Schulplicht für Kinder und Jugendliche in den Erstaufnahmeeinrichtungen faktisch ausser Kraft gesetzt ist. Wir wissen auch, dass Sachsen damit seit fast drei Jahren gegen die EU-Aufnahmerichtlinie verstößt. Seit Mai gibt es nun einen Pilotversuch in lediglich einer Erstaufnahmeeinrichtung. Im Dezember letzten Jahres forderten Verbände, Initiativen und andere Akteure den Bildungszugang für Kinder und Jugendliche in den EA so schnell als möglich und vor allem im Regelsystem zu ermöglichen. Dahinter bleibt das ZIK weit zurück und zementiert lediglich den Status quo. Welch selektive und isolierende Wirkung dies mit der längeren Wohnsitzverpflichtung in den EA und den Ankerzentren für die Betroffenen haben wird, ist kaum auszudenken und hat nichts mit Integration zu tun.

Auch beim Bildungszugang für die volljährig gewordenen jungen Menschen gibt es keine fundamentale Bereinigung des selbst ja erst geschaffenen Problems, die da bspw heißen könnte, die Schulpflicht wie in Bayern zu verlängern und damit systematisch nachholende Bildungsabschlüsse zu ermöglichen, übrigens nicht nur für Menschen mit Migrationsgeschichte oder Fluchterfahrung. Wir wissen: Seit zwei Jahren sind die Berufsschulen für die über-18-jährigen Geflüchteten faktisch tabu, die vermeintlichen Alternativen bei der BA und an den Kollegs sind zu hochschwellig. Wir würdigen durchaus, dass das SMGI die heiße Kartoffel aus dem Feuer geholt hat, die infolge des Kompetenzgerangels in der Staatsregierung fast verbrannt wäre. Natürlich muss für die U-18-Kurse auch Geld rausgerückt werden, damit nicht noch mehr Zeit verloren geht. Eine strukturelle Lösung, die nicht wieder unter Haushaltsvorbehalt steht und wieder ein Sonderprogramm für Geflüchtete bedeutet, hätte allerdings anders aussehen können.

Und nur kurz angefügt: Im Konzeptentwurf vom Juni 2017 war folgende Maßnahme zu lesen: Prüfung des Einsatzes von zusätzlichen Assistenzkräften bei Kindertageseinrichtungen von Kindern mit mehr als 10 Prozent Migrationshintergrund. Im finalen Konzept heißt es dann nur noch: „Prüfen, ob Einrichtungen, in denen mehr als 10 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben, zu unterstützen sind.“ Das ist ein klarer Rückschritt zu einer sowieso nur zur Prüfung vorgesehenen Maßnahme.

Weitere Beispiele finden sich im Bereich der Gesundheitsversorgung bzw fehlen auch dort die großen Würfe. Ein wichtiger Schritt wäre zum Beispiel die landesweite Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete, die im Asylbewerberleistungsgesetz-Bezug stehen. Es würde regulären Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglichen und damit eine eklatante Benachteiligung per Gesetz zumindest abzuschwächen. Auch das akute Problem psychosozialer Beeinträchtigungen von Geflüchteten aufgrund der Erlebnisse im Herkunftsland, auf der Flucht, aber auch der prekären Lebensbedingungen hier vor Ort wird im Konzept nicht fundamental aufgeworfen. Dringend nötig wären Ausbau und institutionelle Förderung der psychoszialen Beratungsangebote.

Erwähnen muss ich auch die Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete. Diese restriktive Maßnahme, die nichts anderes als einen krassen Einschnitt in die Freizügigkeit der Betroffenen bedeutet und integrationsfeindlich ist, ernsthaft in ein solches Konzept aufzunehmen, und dazu noch im Bereich Wohnungspolitik, finden wir als LINKE gelinde gesagt fragwürdig, ohne Verrenkungen gesprochen aber unmöglich.

Richtig enttäuschend kommt der Bereich der demokratischen und politischen Teilhabe daher. Die institutionellen Schranken für Menschen vor allem aus Drittstaaten, Menschen, die die deutsche Sprache nicht perfekt beherrschen, Menschen, die auch in ihren Herkunftsländern bereits politisch aktiv waren, vielleicht in einer anderen als der formalisiert-bürokratischen deutschen Variante, mit einer handvoll Floskeln abzuspeisen ohne die Schranken zu benennen und abbauen zu wollen, ist schwach. Machen wirs konkret: In Leipzig wird seit nunmehr 2 Jahren um die indirekte Wahl des Migrantenbeirats gerungen, wie es in Dresden schon längst Praxis ist. Dagegen positionieren sich die Leipziger Verwaltung und die konservativen Teile des Stadtrats. Und überhaupt stagniert die Zahl der Migrant*innenbeiräte in Sachsen seit langem bei 4. Für beide Fälle wäre es ein leichtes, die Gemeinde- und Landkreisordnung zu ändern. Das wäre eine strukturelle Lösung! An einem demokratisch legitimierten Organ für Fragen von Migration und Integration zum Beispiel in Form eines Landesbeirats fehlt es in Sachsen auch weiterhin, seine Konstituierung ist nicht mal ein Ziel des ZIK II. Das Thema Wahlrecht für Drittstaatler*innen fehlt ganz und gar.

Es ist fakt: Politische Partizipation bleibt in Deutschland und auch in Sachsen eine Frage der Staatsangehörigkeit. Zwar geht das ZIK II in dieser Frage über seinen Vorgänger hinaus, es rüttelt jedoch nicht mal im geringsten an dieser defizitären Situation. Dabei müsste klar sein: Nur wer sich als gleichberechtigtes Mitglied einer Gesellschaft wahrgenommen fühlt, fühlt sich auch eingeladen, in ihr mitzuwirken und Verantwortung zu übernehmen. Es muss vor allem darum gehen, politische Partizipation und die dazu notwendigen Rechte von Anfang an zu gewähren und nicht erst als „Schlussstein einer gelungenen Integration“, die zwingend in der Einbürgerung münden muss.

Und um eins klarzustellen: Integration ist in unserem Verständnis eben kein Prozess, in dem Migrantinnen oder irgendwer zu funktionalen Statistinnen und Statisten normiert wird. Genauso anarchisch wie Migrationsbewegungen waren, sind und immer sein werden – mögen sich noch so viele materielle Grenzen, Meere und bewaffnete SoldatInnen in den Weg schieben – so dynamisch müssen auch Integrationsprozesse eigentlich verstanden werden. Menschen bleiben Menschen, mit ihren eigenen Erfahrungen, Sozialisationen, Vorlieben, Lebenspraktiken und Problembewältigungsstrategien. Migrantinnen und Migranten sind keine „defizitären Wesen“, die es auf deutsche Art und Weise abzuschleifen gilt. Das fängt mit der eigenen Sprache an, die eben nicht der absoluten Deutschsprachigkeit weichen sollte. Das geht weiter bei Berufserfahrungen und -abschlüssen, die zwar der hiesigen Norm in den seltensten Fällen genügen, aber natürlich einen Wert haben. Und hört bei starken solidarischen Netzwerken in den Communities noch längst nicht auf.

Ich sage es noch einmal: Auch wir müssen uns bewegen und Integration als Prozess der Veränderung von Strukturen, von Abläufen, und auch der eigenen Haltung verstehen. In diesem Sinnen plädieren wir für einen Integrationsbegriff, der Inklusion meint. Menschen sind verschieden. Die Verschiedenheit ist nicht immer nur bunt und kuschelig, sondern auch voller Reibungspunkte und Spannung. Der Politikwissenschaftler Aladin El-Mafaalani beschreibt es so: „Konflikte sind etwas Wunderbares – denn sie sind der Motor der Veränderung in der Gesellschaft. Migration und Integration beschleunigen den sozialen Wandel. Sie verstärken diesen nicht nur, sondern bringen zusätzliche Aspekte ein. So eine dynamische Entwicklung ist ein Grundstein für Modernisierung und Fortschritt.“

Ja: Migrantinnen und Migranten sind keine hilfsbedürftigen Wesen, die unser gutes Zutun benötigen, sondern Menschen mit Kompetenzen, mit Träumen und Zielen, die sie auch zu erkämpfen bereit sind. Und genau das ist gut so.

Unser Ziel, das Ziel von politischer Intervention muss sein, dass alle Menschen unabhängig von Herkunft, sozialer Lage, Religionszugehörigkeit, Alter, Geschlecht, Aufenthaltsstatus und -dauer gleichberechtigt über Zugang zu und Teilhabe an allen gesellschaftlichen Teilbereichen verfügen.

Integrationspolitik ist in diesem Sinne radikale Menschenrechtspolitik. Und auch wenn die Zeiten dafür denkbar schlecht sind: Wir als LINKE werden genau dafür weiter streiten. Und zwar nicht nur im Hinblick auf Migrantinnen und Migranten, auf Geflüchtete, sondern auch im Hinblick auf arme Menschen, auf NiedriglöhnerInnen, auf Alleinerziehende, auf Seniorinnen und Senioren, auf Frauen, auf LGBTIQ.

Integration muss als Teil einer umfassenden Gesellschaftspolitik verstanden werden, die über die Zielgruppe der Migrantinnen und Migranten hinausgeht. Denn mit Integrations- oder Desintegrationsprozessen sind potentiell alle Individuen konfrontiert.

Oder wie der inzwischen verstorbene Soziologieprofessor Michael Bommes schreibt:

„Wenn Integrationspolitik öffentlich vor allem als Sonderanstrengung begriffen wird und nicht als regulärer Teil einer ohnehin schwieriger gewordenen Gesellschaftspolitik in den europäischen Wohlfahrtsstaaten, Risiken der Zunahme von Ungleichheit und des sozialen Ausschlusses einzuschränken, dann wird die symbolische Aufladung dieser Politik den Boden dafür bereiten, dass misslingende Integration erneut einseitig zugeschrieben wird: sei es den Migranten als Verweigerung oder Versagen, sei es einer in ihren Möglichkeiten überschätzten Politik.“

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Köpping: Auch wenn das ZIK II ein Schritt nach vorn ist, geht es uns keineswegs weit genug.

Das Gutachten des Sachverständigenrates empfahl damals die Prüfung für Bedarf und Umsetzungsmöglichkeiten eines Integrations- und Teilhabegesetzes in Sachsen. Nun fehlt nicht nur das Ergebnis einer solchen Prüfung; nicht mal der Begriff Integrations- und Teilhabegesetz kommt überhaupt noch vor! Und das Anstossen einer öffentlichen Debatte reicht uns nicht. Wir sind die GesetzgeberInnen, wir können voranschreiten, zumal es viele verschiedene Akteure gibt, die sich längst für so ein Gesetz ausgesprochen haben, wenn sicher auch die Ansprüche daran verschieden sind.

Es ist kein Geheimnis: Wir wollen ein Integrations- oder besser Teilhabegesetz und damit weg von reinen Absichtserklärungen unter Haushaltsvorbehalt, hin zu Rechtsansprüchen, verbindlichen Strukturen, Kontinuität und Verlässlichkeit für alle beteiligten Akteure. Nicht zuletzt kann eine systematisch und langfristig aufgestellte und strategisch ausgerichtete kommunale Integrationspolitik sich nur dann und dort entfalten, wo diese entsprechende Rahmenbedingungen auf der Landesebene findet.

Wir und auch Bündnis 90/ Die Grünen werden diesbezüglich insbesondere der SPD-Fraktion, die sich ja zu einem Integrationsgesetz bekennt, alsbald die Möglichkeit bieten, klar Position zu beziehen und damit die Verbindlichkeit schaffen, die wir brauchen. Ein Integrationsgesetz schafft quasi die Basis, die das Zuwanderungs- und Integrationskonzept braucht.

Insofern: Lassen Sie uns das ZIK 2 als das betrachten, was es ist: ein Baustein zu einem Maßnahmebündel hin zu einer inklusiven sächsischen Gesellschaft, einem Maßnahmebündel, das der Leitlinie folgt, dass Rechte und materielle Ansprüche daran zu koppeln sind, dass Menschen schlicht „da“ sind und auch ohne Staatsbürgerschaft ein Teil dieser Gesellschaft sind.

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