Rassistische Ressentiments vor den Feiertagen

Der Leipziger Flüchtlingsrat hat kurz vor Weihnachten einen „Offenen Brief“ publiziert, der sich in mehreren Sprachen an Geflüchtete in Leipzig richtet. Zielpunkt des Briefes ist die adressierten Menschen zu Respekt vor Weihnachten, zu Dank an Deutschland sowie zur Ablehnung von Gewalt und sexuellen Übergriffen aufzurufen. Der Brief sorgt für Kritik, zurecht. Zeitgleich beginnen ordnungspolitische Maßnahmen begleitet von medialer Stimmungsmache gegen MigrantInnen.

Mit dem Brief zeigt der Verein, der sich selbst Flüchtlingsrat nennt, wie wenig sensibel oder empathisch er sowohl bezüglich der derzeitigen rassistisch aufgeheizten Stimmung als auch in Bezug auf Geflüchtete selber ist. Der Brief (hier zum download als pdf) stigmatisiert, kulturalisiert und atmet eine starke Obrigkeits-Orientierung.

flr-briefGeflüchtete werden – ganz wie in der Debatte um die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln – vom Leipziger Flüchtlingsrat e.V. zu einer homogenen Gruppe stilisiert, die von einem deutschen Verein gesagt bekommen muss, wo es lang geht. Dies beginnt scheinbar harmlos mit einem Verweis darauf, welchen Stellenwert Weihnachten für „die Deutschen“ hat. Gerade in dieser Zeit sollen sich Geflüchtete gegenüber der „Gesellschaft und Regierung“ dankbar für „die Aufnahme so vieler geflüchteter Menschen“ zeigen. Da bleibt einem/r die Spucke weg. Dass einem Verein, der sich „Flüchtlingsrat“ nennt, in Erinnerung gerufen werden muss, dass Asyl ein Menschen- und Grundrecht ist und kein Akt der Gnade, ist ein starkes Stück.

Wenn dann im folgenden mit Verweis auf die Silvesternacht in Köln zur Ablehnung von Gewalt und sexuellen Übergriffen aufgerufen wird – nicht ohne auf die „verheerenden Auswirkungen auf die Opfer, das Ansehen aller Flüchtlinge und auch ihrer Unterstützer“ hinzuweisen – reiht sich der Flüchtlingsrat in einen zweifelhaften Kanon ein. Ein Kanon, der eine rassistisch gefärbte Kollektivhaftung aufmacht. Überspitzt liesse sich fragen: Müssen alle Bayern an Selbstverständlichkeiten – dass sexualisierte Gewalt zutiefst abzulehnen ist – errinnert werden, weil beim Münchner Oktoberfest Männer übergriffig werden? Auf diese Idee würde niemand kommen. Bei Geflüchteten dagegen schon, denn sie werden im öffentlichen Diskurs gemeinhin als „barbarisch“ und in vorzivilisatorischen Traditionen verhaftet stigmatisiert. Der Flüchtlingsrat e.V. macht es nicht besser, erst recht nicht, wenn er dann noch auf ominöse „orientalische Traditionen“ verweist, nach denen Männer zu handeln hätten.

Reaktionen auf dieses Schreiben gibt es mittlerweile unter anderem vom Initiativkreis Menschen.Würdig hier entlang zum Lesen

Der „Offenen Brief“ wird offenbar auf Weisung des Leipziger Sozialamts in den Gemeinschaftsunterkünften verteilt.

anschreiben-ordnungsamtIn diesem Zusammenhang sei auf eine weitere Begebenheit verwiesen. Im Dezember erhielten einige Geflüchtete – der Autorin sind zwei Sachverhalte bekannt, wovon ein Empfänger sich scheinbar bisher nichts zu schulden kommen lassen hat – Schreiben vom Leipziger Ordnungsamt, in denen darauf verwiesen wird, dass die Adressaten als „Antänzer“ kategorisiert sind und die Stadt darum beabsichtigt ein Aufenthaltsverbot gemäß § 21 Sächsisches Polizeigesetz für den Innenstadtbereich zu verhängen. Solche Aufenthaltsverbote gab es in den Vorjahren u.a. zu Silvester im Bereich Connewitzer Kreuz. Auch gegen Fußballfans wurden und werden sie immer wieder eingesetzt.

Nun ist das „Antanzen“ nicht zu verharmlosen, es stellt eine der zahlreichen (Taschen-)Diebstahls- und Raubpraktiken dar. Mit erzwungener körperlicher Nähe entwenden Personen so Wertsachen von anderen Personen, in einigen Fällen auch verbunden mit sexueller Belästigung. Auch in Leipzig kam es in der vergangenen Silvesternacht zu solchen Vorfälle.  Immer wieder wird von der Presse über diese aufdringliche Diebstahls-Masche, beispielsweise auch in Clubs in der Leipziger Südvorstadt, berichtet. Nichts desto trotz ist es auch in diesem Fall falsch, die Herkunft der Täter in den Vordergrund zu rücken und skandalisierend über „Ausländerkriminalität“ zu sprechen oder gar – wie im Fall der Distillery – eine Praxis der Kollektivhaftung entgegenzustellen (etwa: „Zugangsverbote für größere Gruppen von Nordafrikanern“).
Wenn wir ehrlich über die Dimension von vor allem sexualisierter Gewalt sprechen wollen, muss mensch auch die harten Fakten einbeziehen und die „Explosion“ der sexuell motivierten Straftaten von Antänzern nicht isoliert skandalisieren, wie es die LVZ am 19. Dezember 2016 tut. Im Jahr 2014 – vor der steigenden Zahl von Geflüchteten – gab es in Sachsen 2043 Sexualdelikte, die Dunkelziffer dürfte gewaltig sein. Seitdem ist die Zahl leicht rückläufig. Auch Diebstahls- oder Raubdelikte gehen jährlich in die Tausenden, auch dies ist keine Sache von spezifischen Techniken von MigrantInnen.

Ja, es muss geredet, weiter sensibilisiert und auch gehandelt werden: im Sinne der Achtung körperlicher und sexueller Selbstbestimmung, und auch gegen organisierte Kriminalität.

Ethnisierung oder gar Grundrechtseingriffe, die im präventiven Gewand daher kommen, sind jedoch keine Lösung, sondern Wasser auf die Mühlen des allgegenwärtigen Rassismus.

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Dokumentation eines Offenen Briefs an den Leipziger Flüchtlingsrat e.V.

20. Dezember 2016

Lieber Herr Uhlman, liebe Kolleginnen und Kollegen des Flüchtlingsrats,

wir sind ein Bündnis aus Mitgliedern des Migrantenbeirats der Stadt Leipzig und migrationspolitisch engagierten Leipzigerinnen und Leipzigern. Wir haben Ihren offener Brief gelesen und können Ihre Sorgen gut nachvollziehen.

Es ist schön, dass Sie und Ihre KollegInnen sich engagieren und zu einer friedlichen und respektvollen Weihnachtszeit beitragen möchten.
Nichtsdestotrotz halten wir den Weg und die Wortwahl die Sie gewählt haben für sehr bedenklich.
Zunächst einmal scheinen Sie es für angebracht zu halten Menschen anderer Herkunft darüber informieren zu müssen, welche Bedeutung Weihnachten hierzulande hat. Geflüchteten Menschen haben sicher nicht umfassende Kenntnisse über religiöse Feste oder kulturelle Bräuche des neuen Landes. Allerdings halten wir es für fragwürdig, eine solche Informationsvermittlung auf diesem Wege zu vollziehen. Solches und auch anderes Wissen eignen sich Immigranten in der Regel mit der Zeit an.
Allerdings ist es unangebracht pauschalisierend davon auszugehen, dass sie bis dahin respektlos ggenüber Sitten und Bräuchen auftreten könnten.
Anschließend appellieren Sie auch direkt an geflüchtete Menschen, dass sie der deutschen Gesellschaft und Regierung (sic!) danken sollen. Hier übernehmen Sie nicht nur in Gänze die Logik vieler Hetzer, sondern offenbaren zudem ein zutiefst bedenkliches paternalistisches Weltbild.
Nach Artikel 16a des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland genießen politisch Verfolgte Asyl. Das Asylrecht wird in Deutschland nicht nur auf Grund der völkerrechtlichen Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt, sondern hat als Grundrecht Verfassungsrang. Es dient dem Schutz der Menschenwürde. Es ist traurig, dass der Flüchtlingsrat der Ansicht zu sein scheint, Menschen auffordern zu müssen, sich dafür erkenntlich zeigen zu müssen. Die Menschen sind in der Regel zutiefst dankbar und sollten nicht von einer Institution wie der Ihrigen zusätzlich dazu angeweisen werden.
Weiterhin verweisen Sie auf die Ereignisse der letzten Silvesternacht in Köln. Leider folgen Sie auch in diesem Punkt gänzlich einer kulturalisierenden Logik. Durch die beschämenden Ereignisse wurden vielerorts Menschen in Sippenhaft genommen. Das stimmt. Sich aber dieser Unsitte in einer solchen Form zu beugen ist eine Kapitulationserklärung gegenüber jeglichem kulturalisierenden Rassismus. Besonders befremdlich erscheint es zudem, dass Sie in diese Aufzählung der Betroffenen auch den Imageschaden der Unterstützer mit aufführen. Wir möchten Ihnen dringend raten sich intensiver mit den Lebenswelten der Betroffenen auseinanderzusetzen. Sich als besorgter Helfer in eine Reihe mit den Opfern sexueller Gewalt und den Opfern von Gräueltaten und rassistischen Wahrnehmungsroutinen zu setzen ist völlig unangebracht.
Abschließend sprechen Sie von der „orientalischen Tradition“ Frauen schützen zu müssen. Diese „Tradition“ ist nicht Tradition, sondern ein Gebot der Menschlichkeit. Dabei denken wir allerdings weniger an den Schutz von als schwach imaginierten Frauen, sondern vielmehr an ein universelles Gebot des respektvollen und achtsamen Miteinanders. Für dieses Gebot setzen wir uns mit voller Überzeugung und jeglichem Engagement ein. Jederzeit. Und gegenüber _allen_ Menschen jeglicher Abstammung und Herkunft! Wenn solche Appelle explizit an geflüchtete Menschen gerichtet werden, offenbaren sie ein bedenkliches Weltbild.
So zeigen bspw. die Befunde einer repräsentativen Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland des Bundesfamilienministeriums, dass 37 % der Frauen in Deutschland körperliche Gewalt und Übergriffe ab dem 16. Lebensjahr erlebt haben. Hier ein gesellschaftliches Problem auf vermeintlich „Andere“ auszulagern halten wir für falsch!
Wir möchten Sie bitten solche sicher gut gemeinten Rundschreiben in Zukunft nicht mehr in solcher Form zu verfassen. Sie offenbaren leider ein zumindest bedenkliches kulturalistisches Weltbild und sind alles andere als hilfreich.

Mit freundlichen Grüßen,

Hassan Zeinel Abidine Leipziger Syrienhilfe e.V.
Özcan Karadeniz, stellv. Vorsitzender des Migrantenbeirats der Stadt Leipzig
Anastasia Krotova, Mitglied des Migrantenbeirats
Juliane Nagel, Stadträtin und MdL DIE LINKE
Petra Cagalj Sejdi, migrationspolitische Sprecherin der Stadtratsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen Leipzig
Kanwal Sethi, Vorsitzender des Migrantenbeirats der Stadt Leipzig

5 Gedanken zu „Rassistische Ressentiments vor den Feiertagen“

  1. Sehr geehrte Frau Nagel,
    vielleicht nehmen Sie sich über Weihnachten mal etwas Zeit und überdenken Ihr Weltbild! Sie werden von diesem Staat finanziert, also so gesehen dem Steuerzahler! Was ist so schlimm daran, diesem einmal zu danken? Sie können es ja in aller Stille tun!
    Und genau wie Ihnen, muss man auch den Menschen die hierherkommen, klar machen: Es gibt hier eine Kultur und Tradition, die zu achten ist, auch wenn man sie nicht versteht oder mag! Und sie alle leben vom Geld derer, die „schon länger hier sind“. Von denen, die dieses Land zu dieser wirtschaftlichen Stärke gebracht haben, ohne die es nämlich nicht soviel Geld vom Staat gäbe!
    Aber das verstehen Sie, Frau Nagel, scheinbar nicht! Leider!

  2. Wenn ich mich hier (jule.linxxnet) so umschaue bzw mir einige Kommentare durchlese, komme ich unweigerlich zu dem Schluss, dass Frau Nagel Geflüchtete benutzt, um sich irgendwie zu profilieren,… „irgendwie“, weil mir nicht ganz klar ist, wohin das führen soll?! Sie offenbart eine äußerst eingeschränkte Denkweise, die man sonst nur in einschlägigen Foren und Kommentaren von AfD-Verteidigern wahrnimmt, anderer Inhalt, aber gleiche Rhetorik.
    Wenn man sich für Benachteiligte (ersetze „Benachteiligte“ wahlweise mit Geflüchtete/Homosexuelle/Dumme/Behinderte/Hässliche) einsetzt, muss man nicht nur dafür sorgen, dass Nachteile minimiert werden, sondern auch dafür, dass wenige Elemente, die eine ganze Gruppe stigmatisieren (könnten), nicht zur Entfaltung kommen. Erst dadurch ändert sich eine grundlegende Wahrnehmung in der Bevölkerung, die dann wiederum dafür sorgt, dass bestimmte Gesetze erlassen werden (oder eben nicht). Nach der letzten Sylvesternacht wurden „Asylgesetze“ verschärft, dürfte allseits bekannt sein.
    Man kann natürlich überlegen, wie man etwas ändern kann, das geht freilich am leichtesten mit vorhandenen Strukturen, oder aber man versucht es wie Frau Nagel: Jedem, der mit meiner Meinung nicht konform geht, wird ans Bein gepinkelt. So erkennt mich zwar jeder und ich hinterlasse bleibenden Eindruck, aber außer auf dem eigenen Konto habe ich nichts verändern können. Scheinbar gefällts dem Wähler?!
    Wenn das linke Politik sein soll, ist es kein Wunder, dass man außer an Beine pinkeln in der Realität zu nichts kommt…

  3. Mit diesen Kommentar zeigen Sie leider einmal mehr, dass von Ihnen und den Linken insgesamt keinerlei Beitrag zur Lösung der derzeitigen Probleme zu erwarten ist. Nach Deutschland zu kommen ist ein Privileg und kein angeborenes Grundrecht. Dankbarkeit gegenüber dem Aufnahmeland und eine Achtung seiner Gesetze ist das Mindeste, was man erwarten kann. Wie man aus einem solchen völlig harmlosen Brief Rassismus herbeifantasieren kann, ist mir völlig schleiehaft. Flüchtlinge sind keine „Rasse“.

  4. Danke für die klaren Worte zu dem Schreiben des Flüchtlingsrats.

    Im Übrigen gibt s sie nicht , DIE deutsche Kultur. Menschen in Deutschland sind bedingt durch die Geschichte sehr unterschiedlich sozialisiert und aktuelle Entwicklungen zeigen wie verschieden auch auf das Thema Asylrecht reagiert wird.
    Wer so auf sogenannte deutsche Werte pocht und diese einfordert, sollte die Nächstenliebe zu Weihnachten ganz nach vorne Stellen. Sie ist christlich wie das Weihnachtsfest und erwartet keine Dankbarkeit.

  5. Sieh an, Jule. Wenn man die Kommentare hier so liest fällt mir nur eines ein: für Schnitzel müssen Schweine sterben, für den gesellschaftlichen Fortschritt Idioten. Frohe Weihnachten und denk mal über den echten Klassenkampf nach.

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