Orientierung, Empathie und Organisierung für die eigenen Rechte: Migrantisierte Stimmen aus der Arbeitswelt

Der Erste, Hassan, fängt beim Versandhändler momox zu arbeiten an, um der Obdachlosigkeit zu entkommen, erlebt bei dem Online-Buchhändler jedoch unwürdige Arbeitsbedingungen, gepaart mit Rassismus. Ein Zweiter, Ahmed, ist so fertig von seinem Job in einer Porsche-Zeitarbeitsfirma, dass er zu nichts anderem mehr kommt, außer zu essen und zu schlafen. Ein Dritter, Mohammad, wird so lang von seinen Kolleg:innen in seinem Maler-Ausbildungsbetrieb gemobbt, bis er – aufs Äußerste provoziert – entlassen wird. Eine der beiden Frauen, die in „Video Voices – On Cheap Labour“, ein Film über migrantisierte Stimmen aus der Arbeitswelt von linXXnet und Space Leipzig zu Wort kommt, ist Maria. Sie stellt fest, dass Migrant:innen und Geflüchtete lang im Unwissen über ihre Arbeitnehmer:innen-Rechte bleiben, nachdem sie in Deutschland angekommen sind. Sie selber musste ihre Rechte auf die harte Tour lernen, nach zahlreichen Jobs, unter anderem bei Gorillaz.

Der 45-minütige Film wurde am 29. September im Rahmen der Interkulturellen Wochen der Stadt Leipzig beim Best Day e.V. auf der Eisenbahnstraße ausgestrahlt.

Der Veranstaltungsraum gut gefüllt, das Interesse hoch. Und schon vorab kommt es zu interessanten Begegnungen. Denn auch Zahra Fatahnajad ist gekommen, Betriebsrätin bei momox. Einige entlassene momox-Mitarbeiter:innen erkennen sie wieder, spannende Gespräche schon vorab. Einer Protagonist:innen des Films, Muhtadi, wurde erst vor wenigen Wochen von momox entlassen. Zahra habe ihm viel geholfen, sagt er, der im Film von zahlreichen rassistischen Verletzungen berichtet. Unter anderem wollte er sich dem momox-Fußballteam anschließen. Keinen Platz hätten sie mehr im Team. Muhtadi ist sich angesichts dessen, dass im Team „nur Deutsche“ spielen, jedoch gewiss, dass er als Geflüchteter, als Iraker, nicht gewollt war.

Er und die sieben weiteren Interview-Partner:innen im Film geben darüber hinaus ein umfassendes Bild von den Arbeitsbedingungen, die Migrant:innen und Geflüchtete in Leipzig ertragen müssen. Das fängt bei teambildenden Maßnahmen wie Fußball an und hört bei der harten Währung,, der Lohnauszahlung auf. Die viel zu oft nicht erfolgt. Interessant dabei: nur zwei von acht Interview-Partner:innen sprechen offen mit Namen und Gesicht in die Kamera. Vier lassen sich ohne ihr Gesicht filmen. Alina, die in Mike‘s Pub im Waldstraßenviertel arbeitete, schickte eine Sprachnachricht. Und einer, der sich Olaf nennt, bleibt komplett anonym. Die Stimme verfremdet, im Film ohne Video.

In der Diskussion, an der auch auf dem Podium auch Maria, eine der Interviewpartner:innen, und Mohammad Okasha, Vorsitzender des Migrant:innenbeirats in Leipzig, teilnehmen, wird bestätigt, dass momox ein in vielerlei Hinsicht rassistisch handelnder Arbeitgeber ist, zu wenig gegen den Rassismus unter Kolleg:innen unternimmt. Jedoch, es gibt Menschen, die sich trotz alledem entschlossen haben, zu bleiben und zu kämpfen.
Mit der Unterstützung von verdi stellten sie und Mitstreiter:innen eine Liste für die Wahlen zum Betriebsrat auf, um Migrant:innen und Geflüchtete auch dort zu repräsentieren. Mit Erfolg. Auf Nachfrage von Moderatorin Jule Nagel, Stadträtin und Landtagsabgeordnete, zeigt sich, dass ihre Arbeit und die ihrer Mitstreiter:innen auch für verdi regelrechten Pionier-Charakter hat. Nur langsam zeige sich Veränderung im Unternehmen. Direkt spürbar sei die nicht bei jedem:r Mitarbeiter:in und leider komme es immer wieder zu Entlassungen, die mit mehr Unterstützung und dem Wissen um Arbeitnehmer:innen-Rechte hätten vermieden werden können. Gleichwohl konnten inzwischen auch schon einige Entlassungen verhindert und das Vertrauen der Arbeiter:innen wieder hergestellt werden.

Diese Lichtblicke gilt es auszubauen und bieten möglicherweise den Anlass für einen zweiten Teil des Filmes. Jedoch bleiben sie bisher punktuell und es muss davon ausgegangen werden, dass es eines langen Arbeitskampfes braucht, um systematische Veränderungen zu erreichen. Wie Maria es ausdrückt: „Ich habe mich niemals sicher an einem Arbeitsplatz hier gefühlt.“

Die Antwort indes, wie auf die Erfahrungen von Olaf zu reagieren ist – der, der komplett anonym blieb – ist klar. Er hatte in einem arabischen Supermarkt gearbeitet, illegalisiert, ohne Beschäftigungserlaubnis, ohne Krankenversicherung, ohne jegliches Recht, unter dem fiesen Gebaren seines Chefs, unter maximalen Risiko. Warum er sich den Job antut? Er darf nicht arbeiten, aber er braucht Geld. Für seine Familie, der er Geld ins Herkunftsland schicken muss, für seine Anwält:innen und nicht zuletzt für sich für sich.

Eine Beschäftigungserlaubnis für alle, die ankommen, Aufklärung über die Arbeitsnehmer:innen-Rechte in den Sprachen, die die Menschen sprechen, unproblematische Anerkennung von Erwerbsbiografien aus den Herkunfts- und Transitländern, die Öffnung der Gewerkschaften für migrantisierte Problemlagen wie es verdi in momox erfolgreich versucht – einige der Forderungen aus einem spannenden Abend in der Eisenbahnstraße. Und nicht zuletzt, so fordert es Maria, Anleitung und Empathie. Zuhören, Zeit nehmen, zur Seite stehen. Praktische Solidarität eben.

Der Film ist auf dem YouTube-Kanal des linXXnet abrufbar. Englischsprachige Beiträge sind Deutsch untertitelt, deutschsprachige Beiträge in Englisch. Bitte Untertitel aktivieren.
https://www.youtube.com/c/linxxnetleipzig

Paweł Matusz, Max Wegener, Jule Nagel, Mark Gärtner, erschienen im Mitteilungsblatt der LINKEN Leipzig Oktober 2022

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