Am 1. März steht der Oberbürgermeister-Showdown an. Das Umfrageinstitut INSA sagt ein Unentschieden zwischen den beiden Kandidaten Burkhard Jung (SPD) und Sebastian Gemkow (CDU) voraus. Das muss jede*n, der die für ein soziales, offenes, bewegtes Leipzig steht, nachdenklich machen und zu einer Entscheidung zwingen. Meine Entscheidung steht fest. Ich treffe sie nicht vor allem für einen der beiden Kandidaten, sondern für eine Stadtgesellschaft, die sich weiter frei entfalten kann, die miteinander kulturvoll streiten kann, in der soziale Kämpfe und dissidente Meinungen nicht klein gemacht werden und in der die Menschenwürde Richtschnur des Handelns ist. Ich treffe sie gegen einen Kandidaten, der mit seiner Partei im Rücken eine Gefahr für eine emanzipatorische Entwicklung der Stadt ist.
Blicken wir also auf Sebastian Gemkow und Leipzig, wie er es führen würde. Oder zuerst mal darauf, was so ein Bürgermeister eigentlich macht.
Was kann ein Oberbürgermeister eigentlich?
Viele wissen wenig über die Kompetenzen eines OBM. Laut § 51 Sächsische Gemeindeordnung ist der (Ober)bürgermeister Vorsitzender des Gemeinderats und Leiter der Gemeindeverwaltung. Er vertritt darüber hinaus die Gemeinde.
Die politischen Entscheidungen trifft der Stadtrat, der sich in Leipzig bekanntlich durch eine Mehrheit aus LINKE, Grünen und SPD zusammensetzt. Hinzu kommt die Freibeuter-Fraktion, die die SPD in manchen Entscheidungen der vergangenen Zeit auch mal links überholen kann. Der Stadtrat erteilt der Verwaltung Aufträge, diskutiert, ändert und entscheidet deren Vorschläge. Trotzdem ist die Rolle der Stadtspitze, die sich in Leipzig aus dem Oberbürgermeister und sieben Bürgermeistern, die für verschiedene Themen verantwortlich zeichnen und den OBM unterstützen, nicht zu unterschätzen. Er trifft in bestimmten Themen Richtungsentscheidungen (z.B. Braunkohleausstieg), er setzt die Beschlüsse des Stadtrates um (oder ignoriert oder verzögert sie, z.B. aktuell Milieuschutzgebiete), versucht dem Stadtrat Empfehlungen zu geben bzw. Entscheidungen zu beeinflussen. Seine Rolle ist also trotzdem stark, zumal er über einen Mitarbeiter*innenstab von in Leipzig über 7000 Menschen verfügt, die einem ehrenamtlichen Stadtrat von 70 Personen gegenübersteht.
Leipzig ist doch ein bisschen anders
Und der*die OBM repräsentiert und bestimmt den Ton, der in bestimmten Themen angeschlagen wird. Zum Beispiel wenn es um den Umgang mit Geflüchteten geht. Die positive Rolle, die die Leipziger Verwaltung in den vielen Infoveranstaltungen zur Errichtung von Asylunterkünften spielte, während ihr hasserfülltes Geschrei entgegen schlug, ist wohl nur unter dem aktuellen Amtsinhaber oder weiter links stehenden Stadtoberhäuptern denkbar. Die offensive Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen gegen Neonazis, für Klimaschutz, für ein inklusives Miteinander wohl auch. Ganz zu schweigen von dem unsichtbaren Schutzschirm für alternative Lebensentwürfe, den es derzeit in Leipzig gibt.
Es gibt immer mehr und konsequenter zu agieren, klar. Und es gibt in vielen Bereichen Nachholbedarf, ich meine vor allem in den Bereichen Mieten/Wohnen, Verkehr und Jugendhilfe jenseits von Kita oder aber basisdemokratische Mitwirkungsmöglichkeiten. Auch das ist klar. Aber.
Gemokw: Ohne Programm aber asymmetrisch demobilisierend
Aber: Die CDU mit Sebastian Gemkow wird hier den Raum zur progressiven Veränderung noch weiter verschließen. Der ehemalige Justizminister, der unter der neuen Regierung kurzerhand zum Wissenschaftsminister wurde, macht bilderbuchhaft vor, was die Politikwissenschaft asymmetrische Demobilisierung nennt. Polarisierung wird vermieden, inhaltliche Programmpunkte des Gegners übernommen, für unentschlossene oder gar der konkurrierenden Partei zugeneigte Wähler*innen wird eine Ununterscheidbarkeit hergestellt und so demobilisiert. Im Gegenzug schafft es in dem Fall Gemkow allerdings eigene Wähler*innen, weiter rechts stehende und unentschlossene für sich zu mobilisieren. Hinzu kommt die bei Gemkow schon vor dem ersten Wahlgang einsetzende Vermeidung von kontroversen Podien. Zu Zielgruppen, bei denen er nichts gewinnen kann, zum Beispiel Klimaorganisationen, alternativen Medien oder Bürgervereinen in Vierteln, in denen die CDU nicht die Hausmacht hat, geht er nicht. Wenn sich Initiativen dann entscheiden Veranstaltungen abzusagen, kann dies in der Tat handfest zur Demobilisierung und Entpolitisierung beitragen. Kein guter Vorbote für sieben Jahre Oberbürgermeisterschaft.
Dazu passt, dass jede kritische Frage an ihm abperlt, jede Kritik versucht wird für sich positiv umzunutzen (a la: Ich bin doch Minister, ich habe da eine verantwortungsvolle Aufgabe, da kann ich nicht zu irgendeinem Podium gehen).
Unterstützt wird der CDU-Kandidat, der in vielen Fragen öffentlich eben keine CDU-Positionen vertritt und ohne Programm für die Stadt auskommt, von der einzigen gedruckten Lokalzeitung und durch diese präsentierte Kronzeugen, wie zweifelhafte Bürgerrechtler oder nach rechts abgedriftete Ex-SPDler. Einen wahren Feldzug hat die LVZ in den letzten Wochen gegen den SPD-Amtsinhaber hingelegt und im Gegenzug Gemkow immer ein Podium gegeben, wenn es Kritik an ihm ging. Bitter und journalistisch fragwürdig. Es tut sich in der Tat die Frage auf wer sich hier mit welchen Zielen zusammengetan hat.
Zurück zum Inhaltlichen
Verkehr, Klima, Mieten und Sicherheit waren die bestimmenden Fragen im Wahlkampf. Eine Position von Sebastian Gemkow lässt sich nur aus verschiedenen öffentlichen Auftritten destillieren. Ob er in geschlossenen oder nicht dokumentierten Veranstaltungen anders argumentiert hat, ist unklar.
Wohnen
Schauen wir uns verschiedene Positionierungen an:
Schreibt die CDU in ihren „Leitlinien für eine wachsende Stadt“ von 2017 noch: „Leipzig ist eine Stadt, die bisher keinen angespannten Wohnungsmarkt aufweist.“, heißt es 2019 im Kommunalwahlprogramm „Der Ausbau des sozialen Wohnungsbestandes ist derzeit nur durch einen Ausbau des höherpreisigen Segmentes möglich, das die Kosten für Bau und Unterhaltung abfängt.“
Sebastian Gemkow dagegen geht in die vollen und will auf Wohnhäuser weitere Etagen aufstocken unter „Verpflichtung zur Sozialbindung des Wohnraums“ (Interview im Kreuzer 02/20). Ob das die von seiner Partei auf Landesebene verantwortete Förderrichtlinie zulässt? Sein Stadtratskollege Michael Weikert lehnt in einer Rede im Stadtrat 2017 solche Verpflichtungen ab und beschreibt das als Verschrecken von Investor*innen. Selbst für die Mietpreisbremse wiederum spricht sich Sebastian Gemkow im Kreuzer-Interview aus. Getan hat er über fünf Jahre in der Landesregierung nichts dafür, dass Sachsen den Kommunen die Anwendung dieses Instrumentes ermöglicht. Fairerweise muss man festhalten: Die SPD auch nicht.
Verkehr
Die CDU in Leipzig hat sich in den letzten Jahren eher als Autolobby-Partei profiliert. Sebastian Gemkow lässt sich im Wahlkampf demonstrativ auf einem Fahrrad fotografieren, eine Verkehrsform für die die CDU in den letzten Jahren wenig Herz hatte.
Sebastian Gemkows ist kein Fan des 365-Euro-Tickets. Er will zuerst den Netzausbau und dann das Nachdenken über günstigere Preise. Die CDU im Stadtrat hat mit der LINKEN einen Tarifsteigerungsstopp erwirkt und wirbt im Wahlprogramm für die Entlastung der Bürger*innen.
Jugendhilfe
Klar ist: Auch der aktuelle OBM hat die Jugendhilfelandschaft in Leipzig stiefmütterlich behandelt bzw. zum Spielball des CDU-Finanzbürgermeisters gemacht. Trotzdem war seine Partei, die SPD, dann doch immer bereit die Schließung von zahlreichen Jugendtreffs und die Kürzung von Stellen im Stadtrat abzuwenden. Die CDU war hier keinesfalls eine stabile Partnerin. In ihrem Kommunalwahlprogramm erwähnt sie wie in den fachlichen Debatte nur die „Hilfen zur Erziehung“, also die Hilfen, die zum Zuge kommen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen, also kostenintensiv außerhalb der Familie oder mit individuellen Hilfen begleitet werden muss. Auch diese notwendigen Hilfen werden von der CDU vor allem als Kostenfaktor betrachtet. Dass Offene Treffs, Kultur- Medien, Sozial -oder Bildungsarbeit verhärteten Problemlagen vorbeugen können, wird von den Konservativen zumeist ausgeblendet. Die Familie solls halt richten.
Gemkow macht auch hier eine andere Erzählung auf und sagt zur Jugendhilfelandschaft: „Die Struktur, die da ist, ist hervorragend. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, was man zusätzlich tun kann.“. Daran dass die Struktur hervorragend ist, und nachzudenken was weiter getan werden kann außer zu sparen, daran hat seine Partei keinen Anteil.
Kultur
Richtig handfest wird der Unterschied in Fragen bestimmter Kulturzentren. „Die CDU hat bislang als einzige Volkspartei die Finanzierung des Conne Island in Frage gestellt.“ so die CDU in ihrem Kommunalprogramm 2019. Auch in den Vorjahren, insbesondere 2017 vor und nach dem G20-Gipfel in Hamburg, forderte die CDU vehement den Entzug der städtischen Förderung für Conne Island und auch das Werk 2. Die Leipziger CDU ließ keine Gelegenheit aus, dezidiert linke Veranstaltungen im Conne Island zu skandalisieren und eine Einstellung der Fördergelder zu fordern. Seit die AfD präsent ist, im übrigen unsiono mit ihr bzw. radikaler als sie.
Auf den Verweis, dass seine Partei, entgegen seiner vorherigen Aussage, in Leipzig doch seit Jahren fordere, dem Conne Island die Förderung zu streichen, antwortete Gemkow im Februar-Kreuzer: „Ich bin nicht die Leipziger CDU. Ich bin Sebastian Gemkow und habe meine eigene Meinung dazu.“
Mit Blick auf die Kulturlandschaft an sich tun sich zwischen Gemkow und seiner Partei ebenfalls Differenzen auf. Während die CDU sich in ihrem Wahlprogramm äußerst zurückhaltend über die freie Szene äußert, „eine stärkere Priorisierung der Kulturförderung“ fordert und finanzielle Erhöhungen in den vergangenen Jahren konsequent abgelehnt hat, würdigt der CDU-OBM-Kandidat die Freie Kultur fast überschwänglich.
Zum Schluss
Klar muss unter dem Strich sein: Wer Gemkow wählt, bekommt CDU-Politik. Auch das weltgewandte Gebahren des Kandidaten darf nicht irre führen. Selbstverständlich wird die CDU-Fraktion im Stadtrat und die Stadtpartei Zugriff auf ihren OBM nehmen und ihn als Medium für ihre Politik nutzen. Bereits als Justizminister hat Sebastian Gemkow in den vergangenen Jahren bewiesen, dass er keine eigenen Nuancen setzt und im CDU-Mainstream mitschwimmt. Das betrifft auch sein mangelhaftes Durchgreifen gegen rechte Netzwerke im Justizvollzug, was zuletzt am Wegducken angesichts des Schließers Kerstin H. plastisch wurde. Kersten H. war Teil des neonazistischen Mobs, der am 11. Januar 2016 in Leipzig-Connewitz einfiel und wurde erst vier Jahre später vom Dienst suspendiert, während seiner Tätigkeit im Knast hatte er mutmaßlich Kontakt zu Gesinnungskameraden. Sebastian Gemkow duckt sich weg, wie bereits zuvor so oft. Aktuell hat vor allem die Gefangenengewerkschaft recherchiert, dass er als Justizminister die gesundheitliche Versorgung von Gefangenen akut vernachlässigt hat.
Nicht zu vergessen ist: „Sebastian Gemkow ist ein Kind dieser Sachsen-CDU. Sein Vater war nachder Wende Ordnungsbürgermeister in Leipzig, sein Großonkel Rudolf Krause wurde von Kurt Biedenkopf in dessen erstes Kabinett berufen. Fast zwangsläufig wurde das Eigengewächs der Partei mit nur 36 Jahren Deutschlands jüngster Minister.“ (Quelle: uebermedien.de)
Jede und jeder, der*die in einer offenen, freiheitlichen, sozialen und bewegten Stadt leben will, sollte am 1. März 2020 wählen gehen und für den Kandidaten votieren, der das garantieren kann.
Bild: CDU Wahlkampf auf der Baustelle der CG Gruppe in der Prager Straße in Leipzig