Der Antrag meiner Fraktion #LeaveNoOneBEhind: Jetzt erst recht -Geflüchtete aus Flüchtlingslagern in Griechenland in Sachsen aufnehmen! wurde zwar am 14. September 2020 im Sozialausschuss des Sächsischen Landtages abgelehnt. Wir haben trotzdem die Möglichkeit genutzt und den Antrag ins Plenum des Landtages gezogen und dort erneut zur Debatte gestellt.
In der Debatte äußerten sich alle Fraktionen, außer der CDU. Das ist bezeichnend, weil es gerade die Konservativen sind, die ein engagiertes Handeln des Landes blockieren. Es wurde deutlich, dass die kleine Koalitionspartner*innen mit dem was Sachsen zur Linderung der humanitären Katastrophe auf den griechischen Inseln tut, nicht zufrieden sind. Das ist zwar anzuerkennen, nutzt aber den Menschen, die insbesondere im neu errichteten Elendslager Moria 2.0 hausen, wenig.
Wir haben bewusst unseren Antrag zur Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Elendslagern noch mal herausgezogen. Nicht um die humanistisch und verantwortungsvoll orientierten Kolleg*innen vorzuführen, sondern um den dringenden Handlungsdruck, den auch wir hier in Sachsen haben zu unterstreichen. Vor allem auch vor dem Hintergrund des teuflischen Paktes der Entrechtung, dem Migrationspakt, den die EU-Kommission in der vergangenen Woche vorgestellt hat.
Unser Antrag datiert auf April diesen Jahres, schon im Januar haben wir das Thema der dringenden Aufnahme von schutzbedürftigen Geflüchteten von den griechischen Inseln hier im Plenum diskutiert. Ihr Mantra war und ist: Wir nehmen als Sachsen 70 Kinder auf beteiligen uns mit 150 zusätzlichen Aufnahmen bis 2024 an bundesweiten Ressettlement-Programmen. Jetzt kommen nochmal 75 dazu, so viele wie nach Königsteiner Schlüssel vom neu zugesagten Aufnahmekontingent des Bundes sowieso nach Sachsen zugewiesen würden.
Mit Verlaub: das ist keine Übernahme von Verantwortung in einer humanitären Notlage. Das ist ein Hohn. Vor allem vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, die wie eine tickende Zeitbombe über den völlig überfüllten Lagern mit an die 13.000 Menschen in Moria lag und liegt. Es war eine Frage der Zeit bis Corona ausbricht, in einer Situation, in der es an hygienischen Grundstandards mangelt, in der an Mindestabstände nicht zu denken und medizinische Versorgung gelinde gesagt prekär ist.
Und so kam es: am 9. September brannte das Lager Moria ab. Vorher waren eine Reihe von Corona-Fällen bei Lager-Bewohner*innen attestiert worden. Und vollkommen verständlich griff die Angst um sich.
Die Bilder und Berichte, die wir von der Brandnacht und den folgenden Tagen sehen konnten, waren erschütternd. Menschen die panisch versuchen vor den Flammen zu fliehen, überfüllte Straßen, Berichte von Straßenblockaden und gewalttätigen Polizist*innen, die nicht einmal vor Kindern Halt machen. Menschen, die obdachlos auf Feldern hausten, Kinder, die Abwasser trinken mussten und nichts zu essen haben: Und das mitten in Europa!
Die katastrophalen Zustände und die Polizei haben tausende Menschen dazu gedrängt gegen ihren Willen in das neu errichtete Ersatzlager kommen. Die Botschaft zahlreicher Proteste allerdings war: Wir wollen kein neues Lager, wir wollen endlich frei sein!
Wir sagen auch an dieser Stelle klar: Alle Menschen müssen aus Lesbos evakuiert, in Europa verteilt und das menschenfeindliche System der von der EU verantworteten Hotspots abgeschafft werden. Die humanitäre Katastrophe mitten in Europa währt bereits über drei Jahre, die aktuelle Situation ist nicht mehr und nicht weniger als eine folgerichtige Zuspitzung. Und wir müssen uns alle fragen wie wir das haben dulden können. Denn auch wir tragen Verantwortung, als Bundesrepublik, als Land Sachsen und als Kommunen.
In diesem Sinne fordern wir, dass Sachsen es den Bundesländern Berlin und Thüringen gleich tut und ein Landesaufnahmeprogramm für 500 Geflüchtete aus den Hotspots auf den griechischen Inseln auflegt und dafür das Einvernehmen des Bundes einholt. Sie kennen die Rechtsgutachten, die zum Schluss kommen, dass dies im europarechtlichen und bundesgesetzlichen Rahmen möglich wäre, sie kennen die Debatte aus dem Bundesrat um die verbindliche Änderung des Aufenthaltsgesetzes vor zwei Wochen. Dass der Weg einfach wäre, sagt hier niemand. Aber wir befinden uns in einer dynamischen Situation.
Wir wollen, dass Sachsen humanistischer Motor im bundespolitischen Gefüge ist, wie es Thüringen und Berlin, aber auch Bremen oder Nordrhein-Westfalen, wie es mehr als 170 Städte es vormachen, die sich bereit erklärt haben, Schutzbedürftige aufzunehmen. Ich appelliere an Sie, aus den demokratischen Fraktionen bei den derzeit gemachten Zusagen nicht stehen zu bleiben. Erhöhen Sie den Druck auf Kanzlerin Merkel und Bundesinnenminister Seehofer.
Und wir zählen hier vor allem auf ihr christliches Gewissen von Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU. Nehmen Sie sich ein Beispiel an den Bundestagsabgeordneten ihrer Partei, die sich nach dem Brand für die Aufnahme von 5000 Menschen aus Moria stark gemacht haben.
Und vergessen sie nicht: Wir können in Sachsen auf eine starke, empathische Zivilgesellschaft zurückgreifen, auf kirchliche Zusammenhänge und auf Wohlfahrtsverbände, die große Erwartungen an ein starkes Zeichen der Kenia-Koalition haben.
„Refugee lives don’t matter: Das ist das heimliche Motto der Flüchtlingslager in der Ägäis. Man überließ die Flüchtlinge dem Dreck, dem Virus, dem offenen Meer – zur Abschreckung.“ schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Der Heribert Prantl, den Staatsministerin Köpping kürzlich in einen Wissenschaftlichen Beirat für gesellschaftlichen Zusammenhalt berufen hat. „Handeln wir so, wie wir behandelt werden wollten, wenn wir Flüchtlinge wären. Wir würden nicht wollen, dass wir mit der Aussicht auf angebliche europäische Lösungen abgespeist werden.“, fährt er fort.
Und wenn sie mir hier gleich etwas über die gesamteuropäische Lösung erzählen, entgegne ich ihnen: Die gibt es nicht, und das wissen Sie genau. Wer jetzt nicht beherzt, humanistisch und unerwartet mutig handelt, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig!