Laut Antwort auf meine Kleine Anfrage zum Thema Kontrollbereiche und Kontrollstellen wurden in Leipzig im 1. Quartal 2015 insgesamt 10 Kontrollbereiche eingerichtet, acht davon bei den Aufmärschen von Legida. Dies übersteigt die Zahl von Kontrollbereichen, die in Leipzig in den vergangenen fünf Jahren im gesamten Jahr eingerichtet wurde.
Meine Pressemitteilung dazu:
„Dies muss als Verschärfung der fragwürdigen polizeilichen Praxis gewertet werden. In so genannten Kontrollbereichen, die nach § 19 Abs. 1 Nr. 6 Sächsisches Polizeigesetz mit Zustimmung des Innenministeriums eingerichtet werden können, sind die Schwellen für polizeiliches Handeln herabgesetzt. Menschen können hier verdachts- und anlasslos kontrolliert und durchsucht werden.
Die Polizei verfügt damit per Gesetz über die Definitionshoheit, welche Personen sich an welchen Orten zu welchen Zeitpunkten unbehelligt aufhalten dürfen. Durch den (Frei-)Staat kontrolliert werden die, die nicht ins Raster einer vorgegebenen Normalität passen bzw. die, die Feindbildern entsprechen. Hierfür braucht die Polizei weder einen konkreten Anfangsverdacht noch eine konkrete Gefahr.
Verdachtsunabhängige Personenkontrollen stellen einen gravierenden Eingriff in die Rechte der informationellen Selbstbestimmung dar. Genau wie bei der polizeilichen Dauer-Videoüberwachung öffentlicher Räume wird dabei die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt. Aus dieser Praxis spricht die Logik des Überwachungsstaates. Nicht durch konkrete Personen verübte Straftaten sind Anlass polizeilichen Handelns, nein allein der Aufenthalt an definierten “gefährlichen Orten” macht verdächtig. Diese Praxis ist nicht nur aus Grundrechtserwägungen abzulehnen, ihr Wirkung für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist auch fragwürdig. Zum wiederholten Mal antwortet die Staatsregierung auf meine Frage nach der Wirkung der Kontrollbereiche auf die Verhinderung oder Aufklärung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, dass es hierzu keine Erkenntnisse geben würde. Ergo: Hier werden ins Blaue hinein Grundrechte verletzt. Nicht zuletzt wurde wie bereits beim ausgedehnten Kontrollbereich rund um den Jahreswechsel 2014/2015 nicht über deren zeitliche und räumliche Ausdehnung informiert. Es mangelt also auch an Transparenz polizeilichen Handelns.
Dass u.a. aktenkundig gewaltbereite und -suchende Hooligans Anlass für die Einrichtung von Kontrollbereichen im Zusammenhang mit Legida-Märschen gewesen sein sollen, wirkt wenig überzeugend.
Auch ohne die Einrichtung von Kontrollbereichen kann die Polizei – insofern ein tatsächlicher Anfangsverdacht besteht – Personen kontrollieren und durchsuchen. Dies wird häufig bei Demonstrationen durch Vorkontrollen praktiziert. Zudem hat sich die Polizei bei den Legida-Versammlungslagen massiv dem Instrument ziviler PolizeibeamtInnen bedient. Bei den Versammlungslagen am 23. März waren es 80 und am 30. März noch 70.Die Wirkung der Kontrollbereiche auf demokratischen Protest waren erheblich: Immer wieder wurden Personen mit Verweis auf dieses Instrument von verschiedenen Orten verwiesen.“
Dass Kontrollbereiche nicht unwidersprochen hinzunehmen sind, zeigt die Position des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts. Im Rahmen der Verhandlung der Klage einer von Identitätsfeststellung und Durchsuchung Betroffenen äußerte das OVG grundsätzliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Gefahrengebieten, dem Äquivalent der sächsischen Kontrollbereiche. Durch die Herabsetzung der polizeilichen Eingriffsbefugnisse würde die Verhältnismäßigkeit und auch das Grundgesetz verletzt werden, so die RichterInnen. Ein finales Urteil wird am 13. Mai erwartet.
Juliane Nagel appelliert an die Betroffenen von willkürlichen Polizeikontrollen dem Beispiel von Hamburg zu folgen und willkürliche Kontrollen der Polizei nicht unwidersprochen zu lassen.
Hallo Frau Nagel,
bei diesen Personengruppen wäre, aus Ihrer Sicht, ein Kontrollbereich gerechtfertigt? Oder lese ich das falsch?
„Dass u.a. aktenkundig gewaltbereite und -suchende Hooligans Anlass für die Einrichtung von Kontrollbereichen im Zusammenhang mit Legida-Märschen gewesen sein sollen, wirkt wenig überzeugend.“
Gruß Falk.
Die viele Arbeit in allen Ehren Frau Nagel, aber ich verstehe nicht, warum man sich das alles bieten lässt? Weder wird gegen die Kontrollbereiche Klage erhoben, noch gegen die Videoüberwachung, noch gegen das Versammlungsgesetz und die Auswüchse darin. Warum kann die Linke Sachsen da nicht stärker vorgehen? Müssen hier wirklich die Bürger das Prozessrisiko tragen?
@ Falk, nein, bei diesen Personen hat die Polizei doch sowieso einen geschärften Blick, zumal deren Ansammlungen mit Zivilpolizei durchsetzt waren. Aus dem Waffentrageverbot bei Versammlungen ergibt sich m.e. sowieso die Möglichkeit bei einem konkreten Verdacht zu durchsuchen.
@ KeinName: Ein Normenkontrollverfahren hat die damalige PDS-Fraktion u.a. gegen diese Regelung des novellierten Polizeigesetz bereits 1999 eingereicht. Dies wurde 2003 zumindest in Bezug auf die Kontrollbereichsregelung u.a. abgewiesen. Geprüft wurde die Kompatibilität der Regelungen mit der Sächsischen Verfassung (hier das Urteil: http://www.justiz.sachsen.de/esaver/internet/2000_043_II/2000_043_II.pdf)
Ergo: der Weg die Regelung über die individuelle Betroffenheit infrage zu stellen, erscheint aussichtsreicher. Es gibt dafür fitte RechtsanwältInnen und auch die Möglichkeit Prozesskostenhilfe oder anderen support anzufragen.