Gemeinsam mit dem Verein „Verantwortung für Flüchtlinge“ war ich im Juli 2016 unterwegs u.a. im Kosovo und Mazedonien. Ziel der Reise war es die Lebenslagen von Roma in diesen Ländern kennen zu lernen, Unterstützungsbedarfe zu eruieren und Kontakte zu knüpfen. Im folgenden ist der Reisebericht von Florian Illerhaus dokumentiert. Auch die Möglichkeit zur – sehr notwendigen – Unterstützung durch Spenden ist aufgeführt.
Die knapp zweiwöchige Projektreise des „Verantwortung für Flüchtlinge e.V.“ war geprägt von Eindrücken, die sich in den unterschiedlichen Stationen in ähnlicher Weise strukturell wiederholten. Bereits am ersten Stopp in Budapest fiel deutlich auf, dass die lokalen Behörden die Selbstorganisation der örtlichen Romavertretungen zu zerschlagen suchen oder wenn dies nicht möglich sein sollte, deren Einfluss weitestgehend zu begrenzen sowie in Regierungsabhängigkeiten zu zwingen.
So steht der Präsident des ungarischen Romaparlaments Aladar Horvarth als Vorsitzender der einzigen selbstständig betriebenen Romavertretung vor existenziellen Problemen: Der ungarische Staat will das Gebäude des Romaparlaments abreißen, die angebotenen alternativen Räumlichkeiten sind mit unannehmbaren Einschränkungen der freien und unkontrollierten Arbeit verbunden. Horvarths Bemühungen die politische Autonomie zu wahren sind ohne internationale Solidarität zum Scheitern verurteilt. So sind die Einnahmen der geplanten Ausstellung von Bildern der Romakünstler_innen in Erfurt, evtl. Berlin und anderen deutschen Städten für den weiteren Betrieb des Romaparlaments überlebensnotwendig.
Wir vergewisserten uns über die aktuellen Entwicklungen im nahegelegenen Projektdorf Kálló, wo die erfolgreiche Kooperation des ansässigen Bürgermeisters mit den Romavertreter_innen eine positive Ausnahme im ungarischen Kontext darstellt. Der VVfF wird weiterhin den einzigen örtlichen Sportclub bei der Errichtung eines Vereinsheims unterstützen. Roma und Nichtroma spielen im FC Kálló gemeinsam Fußball und verpassten in der letzten Saison den Aufstieg in die nächsthöhere Spielklasse denkbar knapp um nur einen Punkt als Dritter der Liga. Das Vereinsheim soll aus traditionell hergestellten Lehmziegeln errichtet werden, die nach Wunsch des Bürgermeisters auch exportiert werden sollen, um Arbeitsplätze für Roma des Dorfes zu schaffen.
Ganz anders stellt sich die Situation im Roma-Slum Konik am Rande der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica dar. Seit 16 Jahren leben dort Geflüchtete aus dem Kosovo in unmenschlichen Zuständen. Teils wurde das Lager bereits aufgelöst und die Bewohner_innen in (leerstehende) Wohnungen untergebracht, nun sind die örtlichen Hilfsorganisationen mit der Beschaffung selbst der rudimentärsten Einrichtungsgegenstände, wie Matrazen oder Küchengeschirr, vollkommen ausgelastet. Währenddessen bahnt sich in dem großteils aus Holzresten, Müll und Wellblech gezimmerten Hütten des Restlagers eine humanitäre Katastrophe an: Die Wasserzufuhr zum einzigen Toiletten- und Waschhaus ist wenige Tage vor unserem Besuch zusammengebrochen. Da Hilfsgelder für Reparatur und Instandhaltung ausbleiben, sind die Menschen im Hochsommer ohne sauberes Wasser bestialischem Jauchegestank ausgesetzt, uns wurden erste Fälle von Krankheiten bei Kindern berichtet, die auf die katastrophalen hygienischen Zustände zurück zu führen sind.
Ähnlich die Lage in Fushë Kosovë, einer hauptsächlich von Roma bewohnten Siedlung am Stadtrand Prishtinas, in der viele aus Deutschland abgeschobene Roma leben. Gemeinsam mit vorwiegend jungen kosovarischen Aktivist_innen wird nun die Schwesterorganisation „Verein Verantwortung für Flüchtlinge Kosovo“ gegründet, die sich vorrangig um Einrichtung und Betrieb der ersten Krankenstation in der Siedlung kümmern wird; auch ein Objekt zur Lagerung von Sachspenden könnte angemietet werden, sodass das für viele Romafamilien unverzichtbare Brennholz-Patenschafts-Programm des Leipziger Vereins im kommenden Winter weitergeführt werden kann. Die sächsiche Landtagsabgeordnete und Asylspezialisten der Fraktion Die LINKE Juliane Nagel ließ sich über die erfolgten und anstehenden Projekte unseres Vereins vor Ort informieren und führte auch einige Gespräche mit aus Deutschland abgeschobenen Familien, die heute da mit unzureichender Sozialhilfe ausgestattet, durch Müllsammeln täglich ums Überleben ihrer Familien kämpfen.
Zusammen besuchten wir den Ort Kumanow, nahe der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Dort wurde vor 2 Jahren ein Vorschulprogramm eingestellt, durch das Kinder von Romafamilien die mazedonische Sprache erlernt hatten, um im regulären Schulunterricht teilnehmen zu können. Wir trafen dort sowohl ehemalige Lehrer_innen als auch betroffene Eltern und Schüler_innen. In den Gesprächen wurde sehr rasch deutlich, dass es neben der institutionellen Förderung selbst an vergleichsweise Kleinigkeiten wie Heften und Stiften fehlt, um den von allen Beteiligten dringend gewünschten Zugang zum Bildungserwerb zu gewährleisten.
Nach unserer Reise steht für uns fest: Nach wie vor ist die konkrete Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort ein unverzichtbarer Teil humanitären Engagements. Da sich in vielen Fällen die lokalen Entscheider_innen in der Politik aus ihrer Verantwortung stehlen, ist es für uns eine moralische Verpflichtung denen, die durch die unmenschliche deutsche Abschiebepolitik betroffen sind, wenn schon keine zufriedenstellende Lebensperspektive, so doch zumindest ein wenig Hoffnung auf Verbesserung ihrer aktuellen Situation zu ermöglichen.
Dafür sind wir weiterhin auf die Unterstützung der Leipziger_innen angewiesen, die ihre ehemaligen Nachbar_innen, die nun in „sicheren Herkunftsländern“ – teils ohne jegliche Kenntnisse von Sprache und Land in schlimmsten Umständen vegetieren müssen, nicht im Stich lassen.
Spenden sind erwünscht!
Verantwortung für Flüchtlinge e.V.
Sparkasse Leipzig
Kontonummer: 1090088457
BLZ: 86055592