Ein klares NEIN zur Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung. Rede in der Aktuellen Debatte im Plenum des Sächsischen Landtags am 27.April 2015 auf Antrag der Fraktion DIE LINKE
– Es gilt das gesprochene Wort! –
Mit Thema der Aktuellen Debatte ziehen wir uns ein bundespolitisches Vorhaben auf den Tisch, das auch für die in Sachsen lebenden Menschen schwerwiegende Konsequenzen haben wird: die Vorratsdatenspeicherung, die Speicherpflicht für Telekommunikations-Verkehrs- und Standortdaten. Es ist als, wiederholte sich Geschichte.
Genau wie Bundesjustizminister Maas vor kurzem war 2010 auch die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der Ansicht, auf eine Neuregelung der EU-Richtlinie warten zu wollen. Im Vorfeld hatte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie in Deutschland für grundgesetzwidrig erklärt. Doch die CDU übte schon seinerzeit so viel Druck auf die Ministerin aus, dass sie schlussendlich einen Kompromiss vorlegte, der die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten zumindest einschränkte und die Unschuldsvermutung wahren wollte. Das war CDU und CSU nicht genug. Der Koalitions-Dauer-Zoff um die Vorratsdatenspeicherung wurde erst durch das wegweisende Urteil des EUGH vom April 2014 beendet. Der Europäische Gerichtshof stellte unmissverständlich klar, dass die massenweise anlasslose Speicherung von Daten das Grundrecht auf Schutz der Privatheit und den Schutz der privaten Daten berühre und den Verhältnismäsigkeitsgrundsatz (alles laut Europäischer Grundrechte-Charta) verletze.
Das bedeutet, dass nicht allein der Zugang zu den gespeicherten Daten und deren Weiterverarbeitung grundrechtsrelevant sind, sondern schon der Akt der Speicherung. Zudem zog der Gerichtshof die Aufwand und Nutzen-Relation in Zweifel. Es fehle demnach ein plausibler Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und der tatsächlichen Bedrohung der öffentlichen Sicherheit, und dies nach den Anschlägen in Madrid oder Oslo. Das Urteil hat Bestand, ob eine neue EU-Richtlinie kommt, steht in den Sternen. Bundesjustizminister Heiko Maas ließ noch im März diesen Jahres verlautbaren, dass es ohne Signal aus Brüssel keinen nationalen Alleingang bei der Vorratsdatenspeicherung geben würde.
Doch auch diesmal rappelte es hinter den Kulissen, der SPD-Mann fiel um und legte im April Eckpunkte für eine anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten vor: statt vorher sechs Monate sollen Telefon und Internet-Verbindungsdaten nun maximal 10 Wochen und Handystandortdaten vier Wochen statt 6 Monate lang gespeichert werden (müssen).
Was uns nun als neue „grundrechtsschonende“ Variante der Vorratsdatenspeicherung vorgelegt wird, mit neuem Image als Höchstspeicherfrist, ist nicht mehr als alter Wein in neuen Schläuchen. Vorratsdatenspeicherung bleibt eben Vorratsdatenspeicherung!
Übrigens ist „grundrechtsschonend“ an sich ein blanker Euphemismus. Entweder ein Vorgang ist konform mit Grundrechten oder er verstößt gegen diese!
Nun wird gebetsmühlenartig bekundet, dass der Staat auf die bei den privaten Diensten gespeicherten Daten nur Zugriff habe, wenn ein unabhängiger Richter auf Grundlage eines vorgegebenen Straftatenkatalogs darüber entscheidet. Doch wir wissen: einmal gespeicherte Daten wecken umfängliche Begehrlichkeiten. Zum Beispiel beim ehemaligen Innenminister Friedrich und den LKW-Mautdaten, das ist keine zwei Jahre her. Schon jetzt wird von Seiten der GDP gefordert, dass der neue Vorschlag nachgebessert gehöre: die Speicherfrist soll verlängert und die E-Mail-Kommunikation wieder einbezogen werden.
Sehr geehrter Kolleginnen und Kollegen, es gibt keinerlei empirische Belege für die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung als Ermittlungsmethode. Sowohl Studien zur Wirkung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland als auch in der EU kommen zum Schluss, dass es keine signifikanten positiven Auswirkungen auf die Aufklärung von Straftaten gebe. Die immer aufgezählten Beispiele, bei denen die VDS etwas hätte verhindern können, halten einer genauen Überprüfung nicht stand. Es wird sogar unredlich, wenn z. B. Sigmar Gabriel wiederholt davon redet, dass die VDS in Norwegen sehr geholfen hätte, Anders Breivik zu identifizieren. Dabei gibt es in Norwegen bis heute keine VDS!
Mit dem nationalen Gesetzesvorhaben sind erneute Klagen und ein erneutes Scheitern vor den Gerichten vorprogrammiert. Darum sind wir der Ansicht, dass das Vorhaben versenkt gehört. Wir appellieren an den kleinen Koalitionspartner SPD, der sich immer wieder kritisch zur Massenspeicherung von Telekommunikationsdaten geäußert hat, hier endlich mal Tacheles sprechen. Auch Sie, liebe SPD-PolitikerInnen in Sachsen, haben hier eine Verantwortung.
Spätestens seitdem der sächsische Innenminister im vorauseilenden Gehorsam die Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung begrüßte, müssten sie aufgewacht sein. Herr Ulbig bekundete, dass damit „bandenmäßige Wohnungseinbrüche“ leichter aufgeklärt werden könnten. Jenseits der Frage, ob diese ausgemachten Banden tatsächlich in den Bereich der schweren Straftaten fallen, stellt sich doch hier grundsätzlich die Frage der Verhältnismäßigkeit: Sie wollen vier Millionen Menschen in Sachsen unter Verdacht stellen, um eine handvoll StraftäterInnen auch nur eventuell zu fassen? Anstatt auf Prävention im Sinne von individuellem Schutz vor Einbrüchen zu setzen, wollen Sie, dass bei den Betroffenen – allen BürgerInnen in Sachsen – das Gefühl zu erzeugt wird, dass ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen Überwachung ist.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen sie uns dem Weg in die Totalüberwachung an diesem Punkt das Wasser abgraben. Senden wir aus Sachsen ein NEIN zur neuen Vorratsdatenspeicherung.
(Juliane Nagel, Sprecherin für Datenschutz der Fraktion DIE LINKE im SLT)